Lengwede, Anfang Juni 2004
Die Sonne brannte erbarmungslos auf die Schülerschar herunter, die sich an der Einzäunung des Schulgeländes tummelte. Jeder einzelne von ihnen war darauf aus, einen der raren Plätze auf den hölzernen Balken zu ergattern, die im Schatten der mächtigen Bäume lagen und aufgestellt worden waren, damit man nicht die ganze Zeit stehen musste. Doch nicht wenige der Schüler zweckentfremdeten die Holzbohlen, um darauf zu balancieren oder sich anderweitig die Langeweile zu vertreiben. Sie alle warteten wie jeden Tag darauf, dass die Busse kamen, die sie in ihre Wohnorte kutschierten.
Hübsch nach Klassenstufen sortiert, sammelten sich von der siebten bis zur zwölften Klasse alle die, für die der Schultag bereits das Ende erreicht hatte. Während die Kleineren sich aneinander erfreuten, mit Sammelkarten spielten oder mit ihren neumodischen Handys Fotos voneinander machten, übten sich die Schüler der elften Klasse besonders auffallend darin, sich cool zu geben.
Die Jungen versuchten, einander mit Mutbezeugungen zu übertrumpfen, während die Mädchen so taten, als fänden sie das Gerede albern, doch gleichzeitig saugten sie heimlich jedes einzelne Wort gierig auf und warfen einander bedeutungsvolle Blicke zu. Ein ewig spannendes Schauspiel für all jene Schüler, denen noch etwas Zeit blieb, bis sie selbst in dieses äußerst merkwürdige Alter kommen würden.
Auch an diesem Tag ging es wieder lebhaft zu und die Jungen der elften Klasse feierten sich lautstark für einen offenbar bahnbrechenden Scherz.
Marius Förster, der siebzehnjährige und seines Zeichens einer der nicht unbekannten Unruhestifter seines Jahrgangs, kam gerade erst dazu, als seine Freunde erneut lauthals lachten.
»Was geht?«, fragte er in die Runde. Es war doch klar, dass er wissen wollte, warum seine Kumpels so feierten.
»Hey Marius ... Heinemännchen gesehen?«, wieherte Ralf, dessen Lachen zu seinem leicht pferdeartigen Gebiss gut passte, gehässig. Der Angesprochene blickte in die Runde der wartenden Schüler, machte ein ploppendes Geräusch mit seinen Lippen und schüttelte den Kopf.
»Nope ... Was soll sein mit ihm?« Ein weiteres Mal hielten die blauen Augen des dunkelblonden Teenagers nach dem genannten Mitschüler, der mit richtigem Namen Daniel Heinemann hieß, Ausschau. Es konnte ja sein, dass ihm irgendetwas entging, weil er nicht richtig hinsah.
Sein Kumpel röhrte wieder los und auch die anderen Jungs, Dennis und Karsten, stimmten mit ein. Die Mädchen der Clique, die spindeldürre Jessica und die dralle Franziska, enthielten sich etwas. Sie sahen weniger begeistert aus von was auch immer passiert sein mochte.
»Sagt ihr mir mal, was abgeht, oder soll ich dumm sterben?«
Ralf hielt einen staubigen Turnbeutel hoch und bekam kein Wort heraus, weil er halb an seinem Kichern erstickte. Marius merkte, wie er allmählich die Geduld verlor. Wollte der Klotzkorken ihm sagen, dass sie gerade Sport gehabt hatten? Das wusste er selbst!
»Alter!«, knurrte der dunkelblonde Jugendliche ungehalten und sein Freund mit dem vorstehenden Gebiss beruhigte sich allmählich.
»Sa-sagen wir, Heinemännchen wird Spaß haben, wenn er nachher nach Hause fahren will ...«, heulte Ralf wieder los vor Lachen und die anderen beiden Jungen fielen so laut mit ein, dass die Pausenaufsicht, die am Tor Wache schob, damit keiner auf die Straße rannte, ihnen etwas zurief.
Marius zog die Augenbrauen hoch. »Was habt ihr gemacht?« Da er merkte, dass er aus den dreien kein vernünftiges Wort herausbekommen würde, da die noch immer an ihrem schadenfrohen Lachen zu verenden drohten, wandte er sich an die Mädchen. »Also?«
Jessica, die so dünn war, dass man ihre Taille fast mit den Händen umfassen konnte, verzog missbilligend den Mund, was ihre ohnehin recht große Nase etwas unvorteilhaft erscheinen ließ. »Die Blödmänner haben Heinemännchen nach dem Sport die Klamotten geklaut ...«
»Also hat er gar nix mehr?«
»Neeee ...«, jaulte Ralf dazwischen, »der geht doch immer duschen nach dem Sport ...«
Marius’ über diesen miesen Scherz geschocktes Gesicht ging bei seinen Freunden in der Hektik unter, als in der Sekunde der Bus einbog, der sie die paar Kilometer nach Lengwede fahren würde. Die Jugendlichen rafften ihre Rucksäcke und Sporttaschen zusammen und stellten sich an der Schlange an, die darauf wartete, in das Fahrzeug steigen zu können.
»Ihr habt sie doch nicht alle!«, rief der dunkelblonde Teenager seinen Kumpels zu. »Ihr könnt den nicht ohne Klamotten hier lassen. Gib die Tasche her, Mann!« Mit diesen Worten riss Marius Ralf den Turnbeutel aus den Händen, der augenscheinlich nicht ihm gehörte, da sein eigener an seinem Rucksack befestigt war.
»Was wird das jetzt, Marius? Willst du den Spaßbremser spielen?« Der Junge mit dem ausgeprägten Gebiss verzog angepisst das Gesicht und betrachtete seinen Freund.
»Ich möchte dich mal sehen, wenn du ohne Sachen irgendwo festhängst, du Penner. Da hört der Spaß auf, verstehst du? Wenn der deswegen zu seinen Eltern rennt, brennt die Luft und ich kann nicht noch mehr Terror von meinem Alten gebrauchen. Denkst du eigentlich auch nach, bevor du was machst, Mann?«
»Das haben wir euch gesagt, ihr Blödmänner«, wetterten nun auch die beiden Mädchen los. »Den Sohn des Bürgermeisters nackig machen und auch noch so, dass er weiß, dass ihr das wart. Bescheuert!«
»Ach ihr feigen Hühner macht doch eh nie bei was mit ...«, schmollte Ralf und auch die anderen beiden, Dennis und Karsten, sahen angefressen aus.
Marius schüttelte den Kopf über seine Freunde. Die waren doch sonst nicht so dämlich. Wenn das rauskäme, könnten sie allesamt von der Schule fliegen. Sein Vater war zwar von Anfang an dagegen gewesen, dass er nach der zehnten Klasse noch weiter die Schulbank drückte und hätte es lieber gehabt, wenn er was lernen und Geld verdienen würde, aber wenn er jetzt wegen so was fliegen würde, würde er ihm trotzdem den Arsch aufreißen.
»Na was jetzt, Marius? Kommst du nicht mit? Der Bus fährt!«
»Äh nein, ich bügle aus, was ihr angestellt habt. Wenn der schon beim Rektor hockt, dann ist die Kacke am Dampfen. Kriege ich deswegen Ärger, ich sags euch, dann polier’ ich euch die Fresse!«
Der Teenager machte kehrt und rannte mit dem Turnbeutel, der Daniel gehörte, auf den Schulhof zurück, in der Hoffnung, dass dieser sich noch in der Sporthalle aufhielt, sich vielleicht in der Dusche versteckte oder sich maximal dem Lehrer anvertraut hatte, damit dieser ihm eine Decke geben konnte.
Diese grenzdebilen Idioten. Die hatten Daniel schon auf dem Kieker gehabt, seit er, Marius, denken konnte.
Kein Wunder, immerhin war der doch der Sohn des Bürgermeisters von Lengwede und einigen anderen Gemeinden drumherum. Die Heinemanns hatten viel Land, viel Geld und viel Einfluss und Friedrich Heinemann war einer dieser Menschen, die alle anderen wissen ließen, was er hatte, ohne Scham und ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, welchen Eindruck er damit machte beziehungsweise welche Auswirkungen das für sein Umfeld haben mochte. Die Lengweder Dorfprominenz scharrte sich zu den Füßen des Bürgermeisters und strebte danach, etwas von dem vermeintlich glanzvollen Stück Kuchen abzubekommen, erhoffte sich zinsgünstige private Darlehen oder einfach nur etwas mehr Selbstwertgefühl, weil Friedrich einen als »Freund« bezeichnete.
Doch so sehr die Erwachsenen sich danach sehnen mochten, mit dem alten Fritz Hand in Hand zu gehen, so sehr lehnten die meisten Jugendlichen im Ort dessen Sohn ab. Die Jugend belächelte das Gebaren der Heinemanns als aufmerksamkeitsgeil, als selbstverliebt und überheblich und all diese negativen Eigenschaften übertrugen sie auf Daniel.
Doch Marius wusste, dass das auf den nicht zutraf. Sie kannten einander alle bereits seit dem Kindergarten, sie waren alle im selben Jahr geboren worden, waren in der gleichen Krabbelgruppe. Es war unmöglich, einander nicht ein stückweit kennenzulernen über die Jahre.
Es stimmte zwar, dass Marius Daniel nicht zu seinen Freunden zählen würde, trotzdem waren sie seit der ersten Klasse Mitschüler. Privat hatten sie allerdings nicht den gleichen Kreis.
Daniel umgab sich eher mit seinesgleichen, mit den Sprösslingen derer, die in Lengwede jemand waren oder meinten, es zu sein. Seine Freunde waren die Nachkommen des örtlichen Tierarztes, des Bäckers, des Pfarrers, des Besitzers des größten Gestüts und dergleichen. Teenager, die mit Geld aufgewachsen waren und eher im Garten ‚Teegesellschaft a la Alice im Wunderland’ gespielt hatten, anstatt sich beim Spielen im Matsch richtig dreckig zu machen, wie Marius und seine Freunde, Kinder einfacher Landwirte oder Arbeiter, es getan hatten.
Ihn und Daniel verband also nichts außer der Tatsache, dass sie im gleichen Ort lebten und aufgewachsen waren. Eigentlich hätte es dem Jugendlichen egal sein können, ob Heinemännchen den Weg bis nach Lengwede nackt hätte zurücklegen müssen, praktisch von Busch zu Busch huschend, damit ihn niemand sah.
Doch Marius fühlte sich schlecht bei dem Gedanken, stellte sich vor, wie er sich fühlen würde und war einfach der Meinung, dass Daniel das nicht verdient hatte. Er war nicht so ein verwöhnter Trottel wie die anderen dachten.
Der Schulhof war leer, da es vor zwei Minuten zur nächsten Stunde geklingelt hatte. Marius wusste, dass seine Klasse an diesem Tag die Letzte war, die die Sporthalle genutzt hatte. Zielstrebig bewegte er sich auf das flache Gebäude zu und zog beherzt an der gläsernen Tür.
»Scheiße!«, fluchte er, als er feststellen musste, dass sie abgeschlossen war. Er hämmerte mit der Faust gegen das Glas, doch drinnen tat sich nichts. Hatte der Idiot sich einschließen lassen oder hatte er sich in Luft aufgelöst? Der hatte doch immerhin nichts an, oder?
Gereizt und sauer auf Ralf und die anderen, machte Marius sich daran, langsam um die Turnhalle drumherum zu gehen. Die war von dichten Büschen umgeben und er wollte sichergehen, dass sich Daniel nicht dort irgendwo versteckte und sich den Tod holte. Noch mochte es warm sein, aber irgendwann nicht mehr.
Es war gespenstisch still, wie immer auf dem Schulhof, wenn keine Schüler da waren. An der hinteren Seite der Turnhalle war ein eingezäunter Platz, wo Freiluftunterricht gemacht wurde. Auch dort wuchsen dichte Büsche und Bäume an der Mauer und rund um den Zaun. Die Tür zu dem Areal stand zum Glück offen und der Junge konnte dieses ungehindert betreten. Dort hinten war es noch ruhiger, so abgewandt vom Schulgebäude.
Sich wie ein Trottel vorkommend, stand er schließlich auf dem Bolzplatz und horchte. Es war unmöglich, das Grünzeug mit den Augen zu durchdringen und er wusste, was es für eine Scheiße war, einen Ball aus dem Gestrüpp herauszufischen.
Ein Geräusch in der Stille zog Marius’ Aufmerksamkeit auf sich und er näherte sich dem Ursprungsort. Es klang wie ein verrotztes Wimmern oder ein Vogel, der etwas hochwürgte.
Der Junge entschied, dass es wohl ersteres war, versuchte, mit den Augen das Blattwerk zu überblicken und glaubte tatsächlich, hinter den Büschen jemanden kauern zu sehen.
Seufzend bewegte er sich an die Hausecke, wo die Turnhalle endete, und schlüpfte hinter den Bewuchs. Leise fluchend, weil sein Shirt ständig hängen blieb, arbeitete er sich vor und sah seine Vermutung bestätigt.
Daniel hockte tatsächlich da, an die Wand gekauert, die Beine an die Brust gezogen, das Gesicht auf den Knien und die Arme um die Waden geschlungen, splitternackt, zitternd und bitterlich heulend. Marius näherte sich langsam, weil er den anderen nicht erschrecken wollte.
»Hey, Heinemännchen«, sprach er den dunkelhaarigen Jungen an, der ertappt zusammenzuckte und ihn wie ein gehetztes Tier anstarrte. Marius hob die Hände und zeigte ihm den Turnbeutel.
»Ich glaub, du vermisst da etwas, oder?«
»Bist du gekommen, um über deinen grandiosen Scherz zu lachen?«, murmelte Daniel mit verstopfter Nase und wischte sich zutiefst verlegen über die Augen.
Der Angesprochene hockte sich neben ihn. »Das war nicht meine Idee. Wenn es so wäre, würde ich dir deine Klamotten ja wohl kaum wiedergeben, oder? Nee, ehrlich. So was würde ich nie machen. Hier, zieh’ dich an.«
Zögernd griff der dunkelhaarige Junge nach dem Turnbeutel, seine dunkelgrünen Augen wirkten durch die Rötung selbiger intensiver als sonst. Marius konnte, als Daniel aufstand, Kratzer auf dessen Haut erkennen, an den Beinen, am Rücken und am Gesäß, die er sich geholt haben musste, als er sich hier vor den Blicken der anderen Schüler hatte verstecken wollen.
»Tut mir leid wegen der Verletzungen. Du hast überall Schrammen«, murmelte er, sich sonderbar verlegen fühlend, während er dem anderen dabei zusah, wie dieser in seine Klamotten stieg.
Marius wurde warm, ein Gefühl, dass er schon oft verspürt hatte, wenn seine Mitschüler sich vor oder nach dem Sportunterricht umgezogen hatten. Generell, wann immer er einen anderen Mann sah, der nur spärlich bekleidet war. Ein solcher Anblick berührte etwas in ihm, das nicht sein durfte und er unmöglich würde zulassen können.
Sich mit seinem Trainingsshirt das Gesicht abwischend, ließ sich Daniel wieder neben Marius in den Staub sinken.
»Warum hast du mir wirklich die Sachen zurückgegeben? Weil du Schiss hast, dass ich euch beim Direx ankacke deswegen?«
Marius grinste, was Grübchen auf seinen Wangen erscheinen ließ. »Na ja, verdient hätten wir es ... oder die anderen ... ich hab keine Ahnung. Ich würde wahrscheinlich eh mit drin hängen.«
»Ich würde es mir überlegen, wenn deine Freunde mich künftig in Ruhe lassen würden. Ich weiß gar nicht, was euer Problem mit mir ist. Ich tue euch doch gar nichts. Passt euch meine Nase nicht?«
»Weiß nich‘ ... ist wohl eins der Geheimnisse des Lebens, die man erst versteht, wenn man kurz davor ist, den Löffel abzugeben. Ich persönlich hab nix gegen dich.«
»Dann ... ist es mein Name? Ich hab mir meine Eltern nicht ausgesucht ...« Der Jugendliche blickte mit bekümmertem Gesicht auf seine wiedererlangten Schuhe und versuchte, etwas von dem Staub abzureiben. Dabei seufzte er tief.
Marius erhob sich und reichte Daniel die Hand. »Das hat keiner von uns und wenn ich könnte, würde ich meine auch umtauschen. Damit müssen wir wohl leben. Komm, wir suchen deinen Rucksack und gehen nach Hause ...«
Der dunkelhaarige Junge ergriff die dargebotenen Finger und ließ sich auf die Beine ziehen. Weil es hinter den Büschen so eng war, stießen die beiden beinahe mit den Köpfen zusammen, was dazu führte, dass sie lachen mussten.
»Was meinst du mit ‚Gehen’? Willst du den ganzen Weg laufen?«
Über die Äste schimpfend, kämpften die beiden Jungen sich hinter dem Gestrüpp vor. Marius wandte sich zu dem Anderen um.
»Na klar. Was sind denn schon die paar Kilometer. Die laufen wir in nicht mal einer Stunde. Oder hast du keine Kraft in den Beinen, Heinemännchen?«
Daniel verzog den Mund und Marius stellte fest, dass dessen Lippen sehr ansprechend geformt waren. Eilig wandte er den Kopf ab und biss sich auf die Zunge, wie immer in solchen Momenten. Er versuchte an sich selbst die Aversionstherapie anzuwenden, doch es wollte nicht so recht funktionieren.
»Könntest du vielleicht aufhören, mich so zu nennen? Ich hab immerhin einen Namen!«
Marius grinste seine Verunsicherung weg, wandte sich zu seinem Mitschüler um und flötete: »Warum sollte ich? Dazu müssten wir so was wie Freunde sein. Ich betrachte das hier gerade als Zweckbündnis. Du willst nach Hause, ich hab keinen Bock, auf den nächsten rappelvollen Bus voller verschwitzter Kinder zu warten und wir beide können uns so beim Laufen Gesellschaft leisten.«
Nickend wandte Daniel sich ab und seufzte. Es war klar gewesen, dass Marius so was sagen würde. Dass sie keine Freunde waren, nicht mal im Entferntesten. Sie waren Mitschüler und hassten sich zufällig nicht. Mehr auch nicht. Dennoch traf es den Jugendlichen unangenehm, als er diese Worte hörte.
Er hätte bereits als kleiner Junge beinahe alles dafür gegeben, zu diesen Kindern gehören zu dürfen, die Abenteuer erlebten, die wild waren, dreckig, laut und fröhlich. Doch seine Eltern hatten dem immer einen Riegel davor geschoben, weil sich ein Heinemann sicher nicht mit dem Bengel des alten Förster herumtreiben würde, der seine Emotionen nicht im Griff hatte, im ganzen Dorf als Säufer verschrien war und dessen Sohn ein fürchterlicher Unruhestifter war, der zwar noch etwas Niedliches, Reizendes an sich hatte, aber garantiert einmal genauso unleidlich wie sein Vater werden würde.
In den Augen seines Vaters und besonders seiner Mutter war Daniel immer ‚zu gut’ gewesen, um mit den Kindern zu spielen, mit denen Marius sich umgeben hatte. Das hatte dazu geführt, dass dieselben Leute heute als Jugendliche ihm die Kleider gestohlen hatten und ihn hatten zwingen wollen, splitterfasernackt nach Hause zu laufen. Dass sie ihn für einen Trottel hielten, mit dem man es ja machen konnte, der zu fein für sie war, den sie schnitten und ins Lächerliche zogen, indem sie seinen Nachnamen zu einem Schmähspitznamen geformt hatten.
Diese Leute wollten nichts von ihm wissen, weil er war, wer er war. Und das nur, weil seine Eltern ihn von allem ferngehalten hatten, während die Leute, die sich seine Freunde nannten, bei der ersten kleinen Krise die Biege machen würden, weil sie nur solange für ihn da sein würden, wie das Wetter schön war.
Der dunkelhaarige Teenager straffte die Schultern. Nun gut, er würde sicher nicht um diese Freundschaft betteln, obwohl er Marius schon immer bewundert hatte und ein Stück weit so sein wollte wie er. Etwas, über das jemand, der immer so selbstsicher war, bestimmt lachen würde. Und trotzdem war es nett von Marius gewesen, einfühlsam, ihm die Klamotten zu bringen, extra den Bus zu verpassen und ihn zu suchen, damit ihm, Daniel, diese fürchterliche Peinlichkeit erspart bleiben würde, sich nackt nach Hause durchzuschlagen oder auch nur ins Sekretariat, um zuhause anzurufen. Vielleicht war das alles an Freundschaft, was er von Marius würde erwarten können.
Daniel lächelte. »Nun dann ... laufen wir.«