Es war zum verrückt werden! Dieses dämliche Kleid hatte sie jetzt schon bestimmt 100 mal in die Änderungsschneiderei gebracht und heute passte es ihr schon wieder nicht richtig. Mit kritischem Blick drehte sie sich vor dem Spiegel. Es passte einfach an keiner Stelle richtig und Julia fragte sich, wer auf die Idee gekommen war, so ein hässliches Hochzeitskleid auszusuchen.
„Ich sehe aus wie ein Walross“, schimpfte sie genervt. Am liebsten hätte sie alles abgesagt, wer wollte denn schon ein Walross heiraten?! Dann würde ihr Mann ihr gleich wieder weglaufen bei so vielen hübschen Frauen überall.
„Stimmt, ja. Jetzt sehe ich es auch, vor allem dein gigantischer Hintern“, stimmte mir Liv zu und kam mit dem Schleier zu ihr. Sie ertrug die Launen ihrer Freundin mit stoischer Ruhe, das ging aber auch nur mit der Hilfe von Salome.
„Hab ich doch schon die ganze Zeit gesagt! Ich seh aus wie eine…ach!“. Julia stampfte auf und ihr liefen Tränen aus den Augen. Liv musste sich ein Grinsen verkneifen.
Die Tür ging auf und Salome kam herein. „Zickst du schon wieder rum wegen deinem Kleid?“, fragte sie grinsend und setzte sich auf den Stuhl am Esstisch.
„Jep, tut sie. Sie ist wieder ein Walross“, antwortete Liv statt Julia. Sie verdrehte die Augen und heulte noch mehr. Es war zum verrückt werden mit den beiden, Julia fühlte sich überhaupt nicht ernst genommen.
„Ah… na dann halt dem Walross mal den Schleier an, wir wollen schließlich, dass Steppi wenigstens ein zurechtgemachtes Walross heiratet.“
Seit sich Liv und Salome kennengelernt hatten, hatten sie sich quasi gegen Julia verbündet, was sie manchmal unglaublich nervte. Meistens waren sie einer Meinung, die nicht Julias entsprach. Und meistens kamen sie sogar damit durch.
Liv trat hinter Julia und hielt ihr den Schleier an die Haare. Der Schleier war ungefähr schulterlang und sollte an Julias Dutt sitzen, den sie im Moment nicht hatte. Probeweise klappte ihr Liv den Schleier vor das Gesicht und Julia versuchte genervt, ihn wegzupusten – vergeblich.
„Doch, ja, der passt, denke ich. Wenn auf der Höhe der Dutt ist, sieht der Schleier richtig gut aus. Müssen wir der Frisöse unbedingt zeigen.“
„Walrossfrisöse… hm. Sollen wir noch einen Kakao trinken bevor die alle kommen? Letzte Chance, wir haben noch 20 Minuten.“
„Spinnst du? Ich hab mein Kleid an?!“, fauchte Julia in Richtung Esstisch, aber Salome zuckte nur mit den Schultern.
„Stimmt, Walrösser sind ja zu fett, um das nochmal auszuziehen, hab ich ganz vergessen. Man, stellst du dich an heute.“
Julia war getroffen von der Aussage, sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann, zu weinen. Etwas hilflos tauschten Liv und Salome Blicke, aber Liv erbarmte sich schließlich seufzend und umarmte ihre Freundin.
„Hey, Julia, du bist überhaupt nicht fett, okay? Du siehst toll aus heute, also zumindest dann, wenn du nicht heulst. Entspann dich mal und komm runter, vielleicht ist ein Kakao genau das Richtige zum Entspannen“, hörte ich sie sagen.
Dann umarmte sie auch noch Salome. „Mensch Kind, jetzt mach aber mal halblang. Du siehst toll aus in dem Kleid und da ist auch nirgendwo ein Gramm Fett zu viel, okay? Nicht heulen, das sieht nachher auf den Fotos nicht gut aus“, tröstete sie Julia. Langsam beruhigte sich Julia wieder und wischte vorsichtig mit den Händen ihre Tränen weg.
„Weißt du, was ich glaube, Salome?“.
„Nein, was denn, Liv?“.
„Ich glaube, die Heulattacke kam nur von dem Zwerg in ihrem Bauch, wir müssen uns da nicht allzu große Sorgen machen.“
„Der Bauch sieht grässlich aus in dem Kleid! Ich seh aus wie… wie... wie ein Nilpferd“, unterbrach Julia die beiden und legte ihre Hände auf den Bauch.
„Nilpferde sind cooler als Walrösser- ist okay. Ich geh Kakao machen, hilfst du ihr aus dem Kleid, Liv?“. Diese nickte und Salome verschwand nebenan in der Küche.
Liv legte ihre Hände ebenfalls auf Julias Bauch, der sich schon ziemlich deutlich in ihrem Kleid abzeichnete. „Ach Julchen. Ich kenne das mit den Heulattacken, das gibt sich wieder. Und jetzt hör auf wegen deinem Bauch über deine Figur zu meckern. Du hast nicht zu viel Eis gegessen, da ist ein Kind drin von dem Kerl, den du nachher heiratest. Also reiß dich zusammen.“
Der Gedanke an Steppi beruhigte Julia wieder halbwegs. Der Vater ihres Kindes und in wenigen Stunden auch noch ihr Ehemann. Da brachte sie sogar ein kleines Lächeln zustande.
„Siehst du, geht doch. Soll ich dir aus dem Kleid helfen, damit wir den Kakao noch trinken können? Du kannst das doch sicher nicht alleine.“
„Ja… na gut, ich hoffe nur, ich muss nachher nicht auf die Toilette… auf dem Standesamt gibt es welche, oder? Ob ich vor der Trauung vielleicht sicherheitshalber nochmal gehe? Währenddessen ist es ja total peinlich… Oh man… hoffentlich geht das gut.“
Liv verdrehte die Augen und machte sich dann an Julias Reißverschluss am Rücken zu schaffen. „Als ob du deshalb aufs Klo musst. Hör mal auf, dir über alles, was sein könnte, Gedanken zu machen und genieße deine Hochzeit wenigstens ein bisschen."
Vorsichtig stieg Julia aus dem Kleid und Liv hängte es an seinen Bügel, an dem es schon die ganze Nacht verbracht hatte. „Es könnte auch ein Meteorit einschlagen, nur so theoretisch“, schlug sie vor und grinste.
Als sie sich umdrehte und Julias leicht panischen Blick sah, nahm sie aber davon Abstand. „Nein, es wird kein Meteorit einschlagen… mein Gott. Komm, wir gehen in die Küche zu Salome.“
Liv nahm sie an der Hand und führte Julia in die Küche, wo Salome schon drei Tassen dampfenden Kakao bereitgestellt hatte. Amüsiert musterte sie Julia von oben bis unten.
„Hm, Stützstrümpfe und Schwangerschafts- BH, das ist ja mal eine Kombi. Da wird er sicher drauf abfahren“, grinste sie und ich Julia kurz davor, wieder zu heulen.
„Er wird sicher drauf abfahren, ganz sicher“, ruderte Salome zurück und Liv setzte Julia auf einen Stuhl.
„Trink deinen Kakao, das ist ja kaum auszuhalten. Bin ich froh, wenn du verheiratet bist“.
Sie setzte sich ebenfalls in die Mitte von den beiden und nahm ihren Kakao in die Hand.
„Na dann, auf die Braut!“, meinte Salome und wir stießen mit den Tassen vorsichtig an.
Inzwischen erging es Steppi allerdings kaum besser. Lexi, sein Trauzeuge, band sich neben ihm gerade seine Krawatte, während ihm eigentlich nur noch der Sakko fehlte. Allerdings schwitzte Steppi schon so genug, deshalb hatte er bisher darauf verzichtet ihn anzuziehen.
„Lexi, sag mir bitte, dass du damals genau so nervös warst wie ich jetzt“, stöhnte er und tupfte sich mit einem Handtuch Schweiß von der Stirn.
„War ich, keine Panik. Das gibt sich, wenn die Trauung vorbei ist und die Feier kommt.“ Er band sich konzentriert seine Krawatte zu Ende, dann klopfte er Steppi auf die Schulter. „Du musst dir noch die Haare machen, komm. Steini wollte das doch übernehmen, oder?“.
Mit dem Arm um die Schultern führte er ihn aus dem Bad zu seinem Esszimmer, wo die Jungs versammelt waren. Glücklicherweise hatten Lexi und Eivor ihr Haus für seine Vorbereitungen zur Verfügung gestellt, sonst wäre es bei Steppi verdammt eng geworden.
Steini unterhielt sich gerade mit Niklas, unterbrach das Gespräch aber, als er Steppi sah. „Ah, da bist du ja. Setz dich auf einen Stuhl, ich hab was für dich.“
Auffordernd klopfte er an eine Stuhllehne und Steppi kam seiner Bitte nach und setzte sich. In seiner Tasche, die auf dem Tisch stand, wühlte Steini kurz herum und förderte dann eine Schraubdose zu Tage.
„Tada! Anti-Falten-Creme. Damit du nach der Hochzeit noch gut aussiehst.“
Er grinste, als er Step skepisptischen Blick sah. „Och Steppi, lach doch mal, du bist heute ein richtiger Miesepeter.“
„Der kommt unter die Haube, was erwartest du?“, rief Niklas von hinten. Lexi massierte Steppi die Schultern. „Lasst den armen Mann doch mal in Frieden, der ist nervös genug.“
„Wieso denn? Da gibt es nichts, um nervös zu werden. Das einzige, was passieren kann ist, dass jemand tot umfällt“, bemerkte Harry ebenfalls hinter mir.
Dann konnte Steppi es nicht mehr aushalten- die Jungs machten ihm noch nervöser. Den ganzen Morgen hatte er geschwiegen und die Sorgen in sich hineingefressen mit der Hoffnung, dass schon nichts passieren würde.„Oder sie sagt einfach nein!“, jaulte er und zappelte sich von Lexis Händen frei.
Statt Zustimmung gab es aber nur Gelächter. „Steppi du bist dämlich, echt. Die Frau erwartet ein Kind von dir, wieso sollte sie dann nachher nein sagen?“. Aron, der die ganze Zeit nichts gesagt hatte und sich sonst eher zurückhielt, stand vom Sofa auf und schüttelte missbilligend den Kopf.
„Gerade deshalb?“, schlug Steppi grummelig vor.
Niklas kam zu ihm geschlendert und gab Steppi eine Schelle auf den Hinterkopf. „Ich glaube, der ist nicht nur Co-Schwanger, was das Essen betrifft. Steini, mach ihm die Haare, dann stecken wir ihn ins Sakko und nehmen ihn mit, dann ist hoffentlich Ruhe.“
„Aye, Sir, wird gemacht.“
Steini griff nach seiner Dose und präsentierte sie allen. „Das, meine Freunde, ist ultimativ! Wasserfestes Haarwachs, dann kann Steppi so viel schwitzen, wie er will, die Frisur hält.“
Missmutig zappelte Steppi auf dem Stuhl herum, aber Aron und Harald hielten ihn jeweils an einer Schulter fest.
„Jetzt hör auf, rumzuzappeln und so ein Theater zu machen, sonst kann Steini seine Arbeit nicht machen“, tadelte ihn Aron und Steppi schnaubte beleidigt.
Steini brauchte nicht lange, um die Haare zu richten, sodass er zufrieden war. Allzu viel gab es bei Steppi ja auch nicht zu richten, die Haare waren sehr kurz.
„Jungs, was sagt ihr?“, fragte er in die Runde und begutachtete sein Werk.
Lexi schaute ihm über die Schulter und nickte. „Sieht gut aus, kann man lassen. Gute Arbeit, Steini.“
Nach allgemeiner Zustimmung zu Steppis Frisur ließen ihn Harald und Aron endlich los und Steppi bewegte seine steifen Schultern. Mit sich zufrieden nickte Steini, packte seine Dose weg und verschwand dann, um sich die Hände zu waschen.
„Dann wäre alles erledigt oder? Trägt jeder alles, was er tragen muss?“.
Haralds Frage erzeugte nur Zustimmung, außer- „Halt, Steppis Sakko fehlt!“, rief Steini, der wieder zurück war, und reichte es ihm.
Nachdem er das Sakko angezogen hatte, brach allgemeines Gemurmel aus. Musste man in dem Ding eigentlich so schwitzen wie nach einer Laufeinheit bei 50 Grad?
„Gut, jeder ist angezogen, was ist mit dem Ring?“.
„Hab ich!“, rief Lexi und präsentierte die schwarze, kleine Box.
„Wunderbar, dann los zur Kirche.“
Lexi und Aron hakten sich bei Steppi ein, weil ich er weigerte, sich zu bewegen. Steini ging voraus, Harald und Niklas hinter ihm.