Ein Blitzschlag erhellte die Dunkelheit der Nacht und tauchte die Frau, die schon seit Stunden vor dem Fenster stand und hinaus starrte, in helles Licht.
Das elegante Kostüm, das sie trug, verriet, dass sie eine wichtige Position innehatte. Auch wenn sie aufrecht da stand und scheinbar gelassen wirkte, so spielten ihre Hände doch ohne Unterlass mit ihren Manschettenknöpfen.
Schon seit Tagen tobte dieser Sturm, der einfach nicht aufhören wollte. Er verwüstete das Land und brachte die Bevölkerung dazu, dass sie in Panik verfielen.
Doch es würde nicht mehr lange dauern, dann würde er nachlassen. So wie immer.
Eine Drohung, die sie nicht mehr ignorieren konnten.
Das erste Mal, als sie diesen seltsamen Brief bekommen hatten, indem die Regierung erpresst wurde, hatten sie ihn ignoriert und die Folge war ein Schneesturm gewesen, der wichtige Gebäude für mehrere Tage lahm gelegt hatte. Damals gab es zum Glück keine Opfer, doch die nächsten Angriffe waren noch schlimmer geworden.
Und das Schlimmste daran war, dass es sich um magische Wesen handelte.
Magische Wesen in ihrer Welt, in der es eigentlich nichts Magisches gab.
Die langen Flure des Schlosses schienen kein Ende zu nehmen. Orion spazierte gelassen, in Gedanken versunken, durch die eleganten Gänge, während er über die vorherige Besprechung nachdachte. Dies war dann wohl seine letzte Nacht... für die nächsten Monate jedenfalls. Er hatte Lika in ihr Zimmer geschickt, damit sie sich beruhigte. Der Grünäugige konnte deutlich ihre Nervosität und ihre Scham spüren, als Cyril ihre Fähigkeiten erwähnte. Auch wenn Orion selbst nicht wusste das Lika unabhängig von ihm mit auf den Auftrag kommen sollte, empfand er dennoch eine Art von Stolz. Es hatte sich also doch gelohnt. Die letzten fünf Jahre waren wie im Flug vergangen und sie entwickelte sich langsam zu einer selbstbewussten, jungen Frau. Jedoch nur, wenn sie in Orions Nähe war. Doch nun, da das hier ihr erster selbstständiger Auftrag war, würde sich ihr ständiger Begleiter vornehmen, sie öfter sich selbst zu überlassen. Er konnte nicht immer da sein, wenn sie ihn brauchte. Sie war eine sehr intelligente Werwölfin und auch ihre Instinkte waren mehr ausgereift, als die eines Menschen, dennoch würde sie sich immer auf die Sicherheit von Orions Präsenz verlassen. Der junge Mann mit dem dunkeln Bart hielt inne, als er aus einer der geöffneten Glastüren blickte und eine junge Vampirin im Dunkeln entdeckte, deren kirschrote Haare schienen wie ein Feuerball.
Hinter dem sanften Licht einiger Teelichter, die im gesamten Innenhof verstreut standen, hob sich ihre Silhouette besonders gut ab.
Für einen kurzen Moment, dachte er, dass sie keine Kleider trug, doch dann erkannte er den Stoff, der sich an sie schmiegte, wie eine zweite Haut und einfach nur so dunkel war, wie ihre Hautfarbe.
Sie trug einen Cat-Suit, oder ein Gymnastikdress. Orion hatte den Unterschied nie begriffen, aber es war im Grunde auch nicht wichtig.
Wichtig war eher, dass sie sich mit einer Eleganz bewegte, die der Werwolf ihr nicht zugetraut hatte.
Er hatte sie, nach ihrer ersten Begegnung und auf Grund der Tatsache, dass sie ein magisches Archiv war, als Bücherwurm abgestempelt, doch hier demonstrierte sie ihm gerade, wie falsch er lag.
Orion erkannte, dass es sich nicht um bloße, gymnastische Übungen handelte. Es hatte etwas Kämpfendes an sich, das ihn faszinierte.
Selbst das Band, das sie schwang, während sie einige Bewegungsabläufe durch ging, täuschte nicht darüber hinweg, das es gefährlich werden würde, wenn er sich zu sehr in ihre Nähe traute.
Schließlich ließ sie ihren Tanz mit einer eleganten Bewegung ausklingen und ihre goldenen Augen richteten sich direkt auf Orion. „Kann ich dir helfen?“, fragte sie mit ihrer freundlichen Stimme, die sich von der unterschied, mit der sie Kaden angefahren hatte.
Vollkommen aus dem Konzept gerissen, drehte sich der Angesprochene um, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich ihn meinte. Er wendete sich wieder zu der Rothaarigen um und vergrub seine Hände in seinen schwarzen Hosentaschen. Er spielte einige Sekunden mit dem Gedanken einfach weiterzugehen. Sein Vater sah ihn nicht gerne mit Vampiren kooperieren. Er musterte sie noch einen Moment, während sie bereits anfing von seinem Zögern irritiert die Stirn zu runzeln.
*Naja, du wirst mit ihr arbeiten müssen. Da ist doch nichts falsches dran...*, beschwichtigte Orion sein Gewissen und lehnte sich gegen den Türrahmen.
„Nein nur... ich wollte nur einen kleinen Spaziergang machen“, antwortete er endlich und deutete auf den langen Flur zu seiner rechten.
Die roten Lippen der jungen Vampirin verzogen sich zu einem Lächeln. „Ach so. Dann viel Spaß. Ich wollte dich nicht von deinem Spaziergang abhalten“, erklärte sie und begann ein paar Dehnübungen zu machen, als wäre nie etwas gewesen.
Orion richtete sich verwirrt wieder zu seinem Gang und hielt inne. Sie schien wohl auch kein Interesse an einem Gespräch zu haben. Aber wieso konnte er nicht einfach weiter gehen? Er drehte sich wieder zu ihr und ging einige Schritte auf sie zu.
„Du und der Vampir... ihr kennt euch nehme ich an?“
Erneut umspielte ein Lächeln ihre Lippen, als hätte sie genau das erwartet.
„Wir waren Freunde“, erklärte sie, während sie weiter ihre Dehnübungen machte. „Also ja, wir kennen uns“, damit richtete sie sich auf und blickte Orion fragend an. Dabei hatte sie ihren Kopf ein wenig schief gelegt und der Werwolf musste sofort an eine Katze denken.
Ihre Augen schienen in der Dunkelheit schon beinahe golden zu leuchten. Der Grünäugige schien wie hypnotisiert den Blick nicht mehr von ihren Augen abwenden zu können. Plötzlich wurde ihm bewusst, wie lange er sie schon angestarrt hatte, ohne etwas zu sagen. Er zwang sich den Blick auf das umliegende Gelände zu richten und räusperte sich.
„Nur... naja. Es sollte ja nicht... wegen der Mission. Es sollte euch nicht von eurer Arbeit abhalten“, versuchte Orion sich wieder zu fassen, ohne die richtigen Worte zu finden. *Du Trottel hättest einfach weiterlaufen sollen!*, führte Orion wieder sein stummes Selbstgespräch.
„Ja, da gebe ich dir Recht. Ich hoffe, es wird unsere Arbeit nicht behindern. Es war keine gute Idee, uns beide in ein Team zu stecken und das habe ich auch nicht erwartet“, stimmte sie ihm zu und schien alles andere, als zufrieden. „Ich verspreche, ich werde mir Mühe geben.“
Er musterte sie noch einige Sekunden und wusste nicht genau wie oder ob er dieses Gespräch noch am Laufen halten konnte, da Sezuna es bereits abgeschlossen hatte. Mit aufeinandergepressten Lippen nickte er kurz.
„Gut, dann muss ich mir ja keine Sorgen machen“, mit diesen Worten wandte er sich wieder ab, um zur Tür zu laufen.
Sezuna belächelte sein Verhalten. Sie konnte an seiner Art und der Körperhaltung erkennen, dass er nicht der Typ war, der lange Gespräche führte, doch seltsamer Weise, schien er es bei ihr versucht zu haben. Vielleicht lag es daran, dass sie eine Vampirin war und er sich normalerweise nicht mit solchen abgab und daher herausfinden wollte, wie sie so war. Oder vielleicht lag es auch an etwas anderen.
Sezuna wusste es nicht, aber sie war recht froh, dass er ging, denn sie wollte ihren Kopf frei bekommen und das ging nur, wenn sie ungestört ihre Übungen machen konnte.
Mit langsamen und zögerlichen Schritten setzte der Werwolf seinen Weg fort. Jedoch konnte er dieses merkwürdige Gefühl in seiner Brust nicht ganz deuten, das er meist nur bekam, wenn er von seinen eigenen Leistungen frustriert war. War er enttäuscht? Aber wieso? Er wusste ja noch nicht mal worüber er mit ihr reden wollte und dennoch wurde er wütend auf sich selbst, weil es hätte anders laufen können. Plötzlich, wie aus dem Nichts, wurde sein vertiefter Gedankengang von einem Gefühl unterbrochen. Er horchte auf. Dasselbe Gefühl, das er immer hatte wenn etwas nicht stimmte. Das selbe Gefühl, das ihn überkam, wenn es ihn vor etwas warnte. Mit einem Satz drehte er um und sprintete in einigen großen Schritten zurück zu Sezuna, um nach dieser zu sehen.
Er bog in den kleinen Innenhof ein und blickte sich suchend um, doch er konnte die roten Haare nirgendwo erkennen.
Dazu war es auch dunkel geworden, weil die Teelichter ausgegangen waren und das irritierte ihn. Wieso waren sie erloschen? Hier wehte kein Wind.
Ein seltsames Geräusch drang an sein Ohr. Wasser, das aufgewühlt wurde.
Er hatte vorhin im hinteren Teil des Gartens einen kleinen See ausgemacht und auf diesen lief er nun mit großen Schritten zu.
Auch wenn es kaum Licht gab, so war er, als Wolf, doch in der Lage das wenige Licht zu nutzen. Und auch, wenn er nicht alles sah, so erkannte er doch genug. In seiner Wolfsgestalt würde er noch besser sehen, doch diese würde ihm vielleicht bei dem Problem nicht helfen.
Erneut erklang das seltsame Geräusch. Er blickte hinab und entdeckte eine Hand, die sich in das Gras am Seeufer krallte.
Mit aufgerissenen Augen und einem verwirrten Gesichtsausdruck, ließ er sich vor der dunklen Hand auf die Knie fallen, um nach dieser zu greifen. Nach und nach bildete sich kühler Tau auf dem Gras, das an den See grenzte und mit jeder Sekunde kälter wurde, bis ein großer Umkreis am Ufer mit vereistem Schnee bedeckt war. Verwirrt blickte sich der Werwolf um und sah seinen weißen Atem empor steigen. Er richtete seinen Blick vor sich, auf die ungewöhnlich ruhige Wasseroberfläche, die inzwischen ebenfalls mit einer dicken Eisschicht bedeckt war.
*Was zu Hölle?!* Mit einem Ruck wurde ihm die Hand entrissen. Ohne lange zu zögern, stand der Werwolf auf, nahm einen großen Atemzug und sprang hinterher.
Er durchbrach die Eisschicht und schoss in das kalte Wasser. Sein Blick suchend umherwandernd, doch er konnte kaum etwas im trüben Wasser des Sees ausmachen.
Kälte erfasste ihn, doch er ignorierte sie.
Werwölfe besaßen eine sehr hohe Körpertemperatur, daher würde er nicht so schnell erfrieren, doch er wusste nicht, wie das bei Vampiren war. Und es war sicherlich nicht gut, wenn er noch vor dem Auftrag eines seiner Teammitglieder verlor.
Er tauchte immer tiefer und ignorierte dabei die Tatsache, dass dieser See wohl größer war, als er aussah. Leise vernahm er dumpfe Geräusche, einige Meter unter ihm. Mit übermenschlich, schnellen Bewegungen schoss Orion in die Richtung, wo er die Geräusche vernahm und entdeckte einen Rotschopf, wie ein leuchtendes Signalfeuer.
Er schwamm die letzten paar Meter zu ihr runter, um sie hoch zuziehen, doch bemerkte schnell, dass sie an etwas zu hängen schien. Auch ihm schien sich etwas um die Taille zu schlängeln und breitete eine gefrierende Kälte an der Stelle aus, an der das unbekannte Wesen Orion berührte. Ohne lange abzuwarten fuhr der Werwolf seine Krallen aus und durchtrennte die Lianen, die sich gleich wieder ängstlich zurückzogen und somit auch endlich von Sezuna abließen. Langsam ging selbst ihm der Sauerstoff aus, wie er feststellen musste. Er griff Sezuna mit dem linken Arm unter ihren Brustkorb herum und zog die junge Frau mit sich nach oben. Selbst diese hatte von der beißenden Kälte, trotz ihrer dunklen Haut, einen leichten Blauschimmer angenommen.