Unfähig sich zu bewegen spannte Orion seinen Kiefer an und blickte Lika möglichst teilnahmslos entgegen.
„Wieso schläfst du noch nicht? Wir müssen morgen früh raus“, entgegnete er nur und hoffte einfach, dass Sezuna in ihrem Zimmer verschwinden würde und Lika das Thema nicht weiter vertiefen würde. Doch keins von beiden schien der Fall zu sein.
„Ich kann nicht schlafen und wollte mir ein wenig die Beine vertreten“, erklärte sie und blickte von Orion zu Sezuna und runzelte die Stirn.
Die rothaarige Vampirin beobachtete die Werwölfin genau. Irgendwie mochte sie das Mädchen. Sie strahlte eine gewisse Verletzlichkeit aus, die Sezunas Mutterinstinkte reizten. Ein Problem, dass sie schon sehr lange hatte und für weibliche Vampire in ihrem Alter nicht unbedingt unnormal war.
Unabhängig von der momentanen, unangenehmen Situation, erinnerte sich Orion doch noch gut was vorhin passiert war. Ihm gefiel der Gedanke überhaupt nicht, dass Lika dasselbe zustoßen könnte.
„Nein, wirst du nicht. Wir kennen dieses Schloss nicht. Es können überall Gefahren lauern“, entgegnete der Werwolf und bereute seinen feindseligen Ton bereits. Lika konnte nicht wissen, was passiert war, es war schließlich nicht ihre Schuld.
Die Blauhaarige zuckte ein wenig zusammen, ob der schon fast strafenden Worte und senkte den Blick. Es hatte etwas unterwürfiges, was Sezuna fast knurren ließ. Sie hasste es, wenn sich Frauen so unterwürfig zeigten. Auch wenn Orion es sicher gut gemeint hatte, so war sein Ton doch nicht passend. Dennoch hielt Sezuna den Mund. Sie wollte sich nicht in die Angelegenheiten der Werwölfe einmischen.
Er seufzte leise und rieb sich über die Augen.
„Geh bitte in dein Zimmer, ich komme gleich nach. Dann können wir reden“, schlug Orion nun einen sanfteren Ton an und schien sich etwas beruhigt zu haben.
Er sah wieder zu Sezuna und zurück zu Lika, die wohl immer noch vor Schock wie gefroren war. Wieder wandte er den flüchtigen Blick zu Sezuna.
„Nacht“, entgegnete er distanziert und ging keine Sekunde später auf Lika zu, um diese in ihr Zimmer zu führen.
„Nacht“, murmelte Sezuna sowohl an Orion, als auch an Lika gewandt und verschwand dann ebenfalls in ihrem Zimmer.
Das war eine wirklich seltsame Begegnung.
Der Tag der Abreise erwies sich unangenehmer, als Kaden ihn erwartet hatte. Sezuna und Lika liefen vorne und Orion und Kaden direkt hinter den beiden. Er war zwar froh, nicht neben Sezuna herlaufen zu müssen, doch der Werwolf schien wohl auch nicht die beste Wahl zu sein. Gelangweilt sah sich der Vampir um, während sie von einigen Leuten des WeVa, zum Portal befördert wurden. Wieder landete sein Blick auf den blauen Haarschopf der Werwölfin, deren pulsierende Nervosität langsam sogar ihn ansteckte.
Ohne es beabsichtigt zu haben, fiel sein Blick nun auf Sezunas kirschrotes Haar, das rechts neben Lika auf und ab wippte. Was sie wohl noch mit Orion geredet hatte?
*Vermutlich haben die nicht mal geredet*, hallte es in Kadens Kopf wider und er schielte unabwegig zu seiner rechten, an der Orion stand.
„Hör auf damit“, gab Orion leise, aber bestimmt zurück, der Kadens wandernde Blicke bereits gespürt haben musste. Nach einigen provokanten Sekunden wandte der Vampir dann doch seinen Blick wieder nach vorne und entdeckte das Portal, das ähnlich wie ein Wasserfall zu wirken schien. Jedoch sprudelte das klare Wasser wie aus dem Nichts aus einem goldenen Bilderrahmen und entschwand auch schon wieder am Boden des Rahmens, als würde es gar nicht existieren.
„Wow, wie hübsch“, sagte Sezuna in ihrer faszinierten Art, wie sie immer mit Dingen umging, die sie nicht auf Anhieb verstand. Das hatte Kaden schon früher an ihr toll gefunden, was nun dafür sorgte, dass er seinen Blick auf Lika heftete, um Sezuna nicht weiter anzusehen. Ihre Freude schlug ihm entgegen und ließ ihn leise knurren.
„Das ist das Portal, das euch direkt auf die Erde bringen wird“, erklärte Cyril, die ebenfalls anwesend war und Kaden nun einen kurzen, warnenden Blick zuwarf. „Dort werdet ihr bereits erwartet und bekommt alle anderen Anweisungen bezüglich des Auftrages.“
Angegriffen hob Kaden eine Augenbraue.
*Als wäre Sezuna ein Unschuldsengel. Wie ich es hasse!*, dachte Kaden nur stumm und hätte am liebsten den Raum verlassen und den Auftrag abgegeben. Jedoch wäre das nur eine Genugtuung, die er Sezuna nicht gönnen würde. Schließlich hing auch seine Karriere davon ab.
„Die Regeln sind einfach“, ertönte nun die Stimme der ehemaligen Direktorin der Dark Knight. Von ihrer verdrehte Kaden schon fast instinktiv die Augen. „Einer nach dem anderen geht ihr durch“ Nun richtete sie ihren scharfen Blick abwechselnd auf Sezuna und auf Kaden. „Und keine Komplikationen, wenn sie verstehen.“
Cyril legte der Direktorin eine Hand auf die Schulter, als Zeichen dafür, dass sie nun wieder übernehmen würde.
„Es werden auch einige vom Hohen und vom Ältesten Rat dort sein und sich unters Volk mischen. Sie werden eure Kontaktmänner sein, falls es denn Schwierigkeiten geben sollte.“ Nach einer kurzen Pause fing sie an zu seufzen und trat noch einen Schritt vor. „Nun... wer will zuerst?“
Sie hatte die Worte kaum ausgesprochen, da war Sezuna auch schon durch den Wasserfall verschwunden.
Lika machte große Augen, als sie nicht auf der anderen Seite wieder raus kam, sondern wirklich verschwand. Instinktiv wich die Werwölfin einige Schritte zurück und stieß dabei an Kaden, der hinter ihr stand.
„Bereust du es schon den Auftrag angenommen zu haben?“, flüsterte der Vampir grinsend und blickte auf Likas blauen Scheitel.
Orion dagegen zog Lika sanft etwas von Kaden weg, da er nicht wollte, dass er sie noch mehr verunsicherte, als sie es ohnehin schon war. Er packte Lika an den Schultern und fixierte sie mit seinem Blick.
„Hör zu, bleib ganz ruhig und geh einfach durch. Ich bin direkt hinter dir. Okay?“. Nun richtete er kurz den Blick zu Kaden. „Und du lässt sie in Zukunft in Ruhe, hast du verstanden?“, sagte er mit einem finsteren Blick, der Kaden jedoch nicht abzuschrecken schien.
Stattdessen grinste er. „Sie ist doch in mich reingerannt“, erklärte er gut gelaunt, während Lika all ihren Mut zusammen nahm und auf das Wasserfallportal zulief. Sie warf noch einmal einen kurzen Blick zu Orion, der noch immer Kaden fixierte, sich aber nun mit einem Nicken zu Lika drehte. Also schluckte sie und trat vorsichtig durch das Portal.
Nachdem auch noch Lika verschwunden war, drehte sich der Werwolf wieder zu Kaden.
„Ich will eins zwischen uns klarstellen“, flüsterte dieser leise, aber dennoch eindringlich. „Ich kenne Typen wie dich und solltest du versuchen so eine Nummer bei Lika abzuziehen, dann bereite dich schon mal drauf vor im Rollstuhl zu sitzen.“
Einige Sekunden starrten sich die beiden bloß an, bis Kaden sich grinsend dem Portal zuwandte.
„Ach ja? Ich kenne dich auch besser, als du denkst. Ich bin mal gespannt was der Hohe Rat dazu sagen würde, wenn sie erfahren, dass du mit einer Vampirin liebäugelst. Dein Vater wäre bestimmt begeistert.“ Mit diesen letzten Worten trat auch Kaden durch das Portal und verschwand hinter dem gleisenden Wasser.
Orion zögerte kurz und dachte über Kadens Worte nach. Egal wie sehr er ihn auch hasste, musste er sich dennoch eingestehen, dass ein Fünkchen Wahrheit in seinen Worten steckte. Er atmete noch einmal tief durch und folgte dann den anderen durch das Portal.
Alle vier landeten in einem Raum, der sich kaum von dem Raum unterschied, in dem sie gestartet waren. Zumindest, wenn man von den ganzen Überwachungskameras absah.
Lika blickte sich staunend um und war von der ganzen Technik unglaublich fasziniert. Sie konnte sie förmlich spüren und das leise Summen auf ihrer Haut, sorgte dafür, dass sie sich unglaublich auf diesen Auftrag freute. Kein Wunder, dass man sie ausgesucht hatte. So viel Technik hatte sie in ihrer Welt noch nie gesehen.
Auch Sezuna blickte sich neugierig um, doch im Gegensatz zu Lika registrierte sie auch die Personen, die sich im Raum befanden.
Es waren zwei breitschultrige Männer, die bis an die Zähne bewaffnet waren und eine Frau in einem dunkelgrünen Kostüm.
Diese schien etwas beunruhigt zu sein, jedoch lag das wohl nicht an der Anwesenheit der vier Neuankömmlinge. Die blonde Frau mit den kurzen Haaren trat einige Schritte vor, worauf Kaden verwundert die Stirn runzelte. Er spürte die aufgewühlte Verzweiflung, die die Frau ausstrahlte und den Druck der auf ihren Schultern lag.
Das war also die Erde... auch wenn der Raum nicht wirklich auf Unterschiede zur magischen Welt schließen ließ, so spürte Kaden doch ziemlich deutlich, dass auf diesem Planten wenig bis gar keine Magie vorhanden war.
Es war wohl bekannt, dass einige wenige sich dafür entschieden hatten auf die Erde auszuwandern, um hier ein neues Leben anzufangen. Unabhängig von der Magie.
Kaden wollte gar nicht wissen, wie ein Leben ohne Magie wohl sein mochte, und dennoch war er nun im Inbegriff genauso das herauszufinden.
„Es freut mich, dass so schnell auf meine Bitte geantwortet wurde. Ich bin Anemeka Grell. Herzlich willkommen auf der Erde“, grüßte sie die Neuankömmlinge und Kaden spürte ein wenig Enttäuschung. Warum?
Frau Grell musterte die jungen Menschen, die für ihren Geschmack viel zu jung waren, um ein solch schwieriges Problem zu lösen. Sie konnte irgendwie nicht glauben, dass ihr eine Gruppe Kinder helfen konnte. Dennoch durfte sie nicht vergessen, dass es sich hierbei um magische Wesen handelte. Sie konnte verborgene Talente besitzen, die hilfreich waren.
„Gehören sie sowas wie dem Rat der Menschen an?“, fragte Orion und konzentrierte sich vollkommen auf die Dame, die sich als Frau Grell vorgestellt hatte, um diese einschätzen zu können.
Er konnte nicht deuten, ob seine Verstimmtheit immer noch Kaden galt, oder doch der Frau, die ihm gegenüber stand.
Frau Grell schien verwundert. „Ich bin die Bundeskanzlerin“, erklärte sie und runzelte etwas die Stirn.