Verzaubert starrte ich auf die in glitzernde Regenbogenfarben getauchte Stadt die sich vor mir ausbreitete, bis sich eine warme schwere Hand auf meine rechte Schulter legte. Perplex drehte ich meinen Kopf.
„Raven wir haben jetzt keine Zeit Löcher in die Luft zu starren. Vergiss nicht wo wir sind: Diese Ruhe trügt. Ich bin mir sicher sie haben uns schon längst bemerkt," flüsterte mir Magnus ins Ohr.
Besorgt sah er auf die Stadt. Neugierig betrachtete ich sein Gesicht: Sorgenfalten waren auf seiner Stirn und tiefe Schatten lagen unter seinen Augen.
„Das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt mich zu betrachten. Verschiebe deine Inspizierung doch auf einen weniger gefährlichen Ort," neckte er mich als er meine neugierigen Blicke wahrnahm und grinste mich schelmisch an. Doch sein Lachen wirkte aufgesetzt, unecht. Was war los mit Magnus?
„Du siehst heute Scheiße aus, Magnus," offenbarte ich ihm meine wahren Gedanken.
Warum sollte ich auch lügen? Ich machte mir ernsthafte Sorgen um ihn. Einen kurzen Moment sah mich Magnus erschrocken an, dann fasste er sich wieder und die spöttische Maske war zurück in seinem Gesicht.
„Du hast es wirklich drauf Komplimente zu machen, Raven. Das muss man dir lassen."
„Nein, ernsthaft Magnus. Hast du überhaupt geschlafen oder hast du wieder die Nacht mit irgendeiner Hirnlosen Schlampe verbracht?" wehrte ich seinen bissigen Kommentar ab.
Ich wollte eine ernsthafte Antwort von ihm und keine seiner spöttischen Ausreden. Wütend funkelte er mich an, packte mich an meinen Handgelenken und zog mich nahe zu sich. Mein Herz schlug augenblicklich schneller als ich meinen Kopf hob und meine Augen auf seine trafen. Etwas tierisch und Wildes lag darin. Unsere Gesichter waren nur noch wenige Zentimeter voneinander getrennt. Ich spürte seinen Atem über meine Haut streifen und hörte seinen Herzschlag. Ich hatte Angst vor ihm.
„Du weißt nichts über mich, Raven. Gar nichts," knurrte er leise und lies abrupt meine Handgelenke los. Überrascht stolperte ich rückwärts. Mit einem schnellen Griff fing mich Magnus auf und zog mich wieder auf die Beine.
„Du hattest wohl weniger Schlaf als ich oder warum bist du nicht im Stande alleine zu stehen?" zog er mich auf. Mit Hochrotem Kopf stammelte ich ein ‚Danke' und befreite mich aus seinem Griff. Zitternd blieb ich neben ihm stehen. Meine Knie fühlten sich an wie Pudding.
„Lass sie in Ruhe, Magnus. Wir haben wichtigere Dinge zu tun," erlöste mich Andrew von meiner Pein. „Wir haben ein Problem."
„Laut Karte ist dieses Gebäude direkt vor uns eines unserer Zielorte. Doch wie sollen wir jetzt in das Gebäude kommen ohne gesehen zu werden?" kam Taylor mit der Karte auf uns zu und deutete auf das verfallene Haus vor uns das aussah als würde es jeden Moment in sich zusammenfallen.
„Die Frage ist wohl eher ob das Haus noch so lange steht," murmelte Magnus neben mir ungläubig.
„Oder noch schlimmer: über uns zusammenkracht," stimmte ihn Taylor mit gerunzelter Stirn zu.
„Uns wird nichts anderes übrigbleiben als es zu probieren," seufzte ich als ich mich langsam wieder gefangen hatte. Konzentrier dich auf deine Aufgabe, Raven! rief ich mir in Erinnerung.
„Da bliebe aber immer noch die Frage wie wir hinüberkommen." warf Andrew die ungeklärte Frage in die Runde. „Wir können schlecht fliegen."
Zustimmendes Gemurmel kam von den zwei anderen. Genervt sah ich mich um. Etwa zwanzig Meter hoch war die Mauer. Die Häuserzeile war ungefähr zwischen zehn und fünfzehn Meter von der Mauer entfernt. Also viel zu hoch und zu weit um zu springen.
Nur die Ruhe, Raven. Es gibt für jedes Problem eine Lösung! beruhigte ich mich in Gedanken und atmete einmal tief durch.
Konzentriert sah ich mich wieder um. Vor mir war eine lange Häuserreihe mit flachen Dächern die alle ungefähr auf derselben Höhe lagen. Alle hatten einen Zugang zum Dach. Das Problem war nur, dass sie zu weit von der Mauer entfernt waren um hinüber zu springen. Ich ließ meinen Blick weiter hoch wandern.
Da sah ich es: „Das ist eine Sackgasse!" sprudelte es aus mir heraus.
„Das wir hier feststecken haben wir auch schon verstanden, Raven," raunzte Taylor genervt.
„Nein, du verstehst nicht...," begann ich zu erklären doch Andrew unterbrach mich abrupt.
„Hör auf zu meckern, Taylor. Du hattest auch keine bessere Idee in diese Stadt zu kommen, also hör auf deine Wut auf Raven loszulassen. Sie kann nichts dafür das wir jetzt einen Weg von dieser Mauer herunter suchen müssen."
„Nein, Jungs. Ihr versteht mich falsch. Wir müssen...,"begann ich wieder, doch Taylor schob mich einfach beiseite und trat mit vor Wut funkelnden Augen auf Andrew zu.
„Ach ja? Wir haben jetzt fast eine halbe Stunde unserer wertvollen Zeit verschwendet um einen Weg in diese verfluchte Stadt zu finden und sind immer noch nicht weiter." keifte er.
„Was dachtest du? Das wir einfach hier hereinspazieren und den Dolch auf der Straße finden? Taylor, das ist eine Prüfung! Wir sind die Jahrgangsbesten. War doch klar, dass sie uns keine einfache Aufgabe geben, wie einer Oma über der Straße helfen," erwiderte Andrew im kalt.
„Jetzt hört mir doch mal zu," rief ich verzweifelt, doch es war als würde ich gegen eine Wand reden. Sie schienen mich vollkommen auszublenden.
„Ich bin nicht blöd. Natürlich wusste ich das die Aufgabe nicht leicht wäre," knurrte Taylor.
„Deinem Benehmen nach dachtest du das aber," bemäkelte Andrew mit hochgezogener Augenbraue.
„Habt ihr euch jetzt ausgesprochen? Darf ich jetzt etwas anmerken?" meldete sich plötzlich Magnus zu Wort. Erschrocken drehten wir uns um. Lässig kam er auf uns zu. Aus der Richtung in der ich die Lösung unseres Problems gesehen hatte.
„Was heißt hier...?" motzte Taylor sofort doch Magnus unterbrach ihn sofort.
„Wenn ihr zwei ein wenig Verstand und Benehmen besitzen würdet, dann hättet ihr einmal Raven zugehört. Sie hat nämlich unser Problem heute schon zum zweiten Mal gelöst. Da ihr aber beides nicht besitzt habt ihr euch lieber wie zwei hirnlose Gorillas gestritten," stellte Magnus gelassen fest. „Zu Ravens Glück besitze ich beides und während ihr euch also gefetzt habt wie zwei drei Jährige um ihr Lieblingsspielzeug, habe ich nachgesehen. Raven, es funktioniert. Wir kommen hinüber. Allerdings müssen wir uns beeilen," wandte er sich nun an mich und drehte sich zum Gehen. Taylor und Andrew sahen ihm geschockt nach.
Nach einem kurzen Schockmoment beeilte ich mich ihm zu folgen. An dem Mauerstück wo ein Haus nur noch zwei Meter von der Mauer entfernt war und ein breites Holzbrett beides verband, wartete Magnus schon ungeduldig auf mich.
„Magnus, ich... Danke!" bedankte ich mich kleinlaut bei ihm.
„Du brauchst dich nicht bei mir zu bedanken. Die zwei sind Idioten. Hätten sie dir zugehört, wären wir schon längst auf der anderen Seite. Aber sie streiten sich ja lieber," murrte Magnus und starrte dabei auf das Brett vor uns.
„Danke, dass du mir zuhörst."
„Kein Problem. Auch wenn du es mir nicht glauben willst, ich bin ein anständiger Typ," murmelte Magnus und hob seinen Kopf. Seine grünen Augen glänzten in der untergehenden Sonne. Ein warmer Schauer lief mir über den Rücken. Ungewollt trat ich näher an ihn heran.
„Ich will es dir glauben, wirklich. Lass mir einfach Zeit um es dir zu glauben," flüsterte ich ihm zu. Hoffnung schimmerte in seinen Augen auf. Plötzlich räusperte er sich.
„Dir steht es zu als erstes hinüber zu gehen aber betrete auf keinen Fall das Haus ohne uns," stellte er im neutralen Ton klar als Taylor und Andrew zu uns traten und machte mir Platz.
Ich schluckte meine Angst hinunter und nickte zustimmend. Vorsichtig trat ich auf das wackelige Brett und balancierte vorsichtig darüber. Auf dem Flachdach angekommen beobachtete ich mit angehaltenem Atem wie die drei nacheinander über das wackelige Brett gingen. Als schließlich Magnus als letzter das Dach betrat atmete ich beruhigt aus. Er bemerkte es und grinste.
"Hattest du etwa Angst um mich, Raven?" neckte er mich. Als Antwort verdrehte ich nur die Augen und folgte ihn zum Rand des Daches. Der Abstand war gering, die Häuser standen sehr nahe beieinander, so kamen wir ohne Anstrengung schnell voran bis zu unserem Zielort.
"Na, los. Finden wir den Dolch und verschwinden so schnell wie möglich wieder. In dieser Stadt sind wir nirgends sicher. Haltet also die Augen offen," knurrte Magnus als wir das Dach des eingezeichneten Gebäudes erreichten und drehte sich zur Tür die innen in das Gebäude führte.
Schnell folgten wir ihm nacheinander die schmale Eisentreppe hinunter in das Innere des Gebäudes, darauf bemüht keinen allzu großen Lärm zu machen.
"Da wären wir," raunte Magnus vor mir als er die Tür am Ende der Treppe öffnete und wir in ein langes, spärlich beleuchtetes Treppenhaus traten. Aufmerksam sah ich mich um. An den Wänden hing in Fetzen eine gebleichte verschimmelte Blumentapete. Der Holzboden unter uns knarrte bei jedem Schritt den wir machten.
"Was außer Ratten haust hier, bitte? Ein Werwolf?" flüsterte Taylor neben mir fassungslos.
"Wie meinst du das?" fragte ich ihn verständnislos.
"Hast du dir die Fetzen der Tapete nicht angesehen? Das sind Kratzspuren."
"Taylor hat recht. Wenn hier nicht eine übergroße Katze mit einer Vorliebe für Blumentapete wohnt, stehen wir hier mitten im Nest eines Werwolfclans," brummte Magnus verärgert und fluchte leise vor sich hin. „Hoffen wir das es sich nicht um Werwölfe handelt sondern um etwas Anderes."
"Hoffen wir das es die Katze ist, ich habe nämlich eine Hundehaar Allergie," scherzte Andrew und kassierte dafür prompt einen sauren Blick von Magnus. "Ich bin wirklich Allergisch dagegen," murmelte Andrew eingeschnappt. Taylor und ich verdrehten die Augen.
"Wir müssen so schnell wie möglich raus hier," zischte Taylor. "Wir wissen nicht wie viele es sind. Gegen ein Rudel haben wir keine Chance." Magnus nickte zustimmend.
"Aber was ist mit dem Dolch?" warf ich meine Bedenken ein.
"Ja. Was ist, wenn er hier ist? Wir können nicht ohne den Dolch gehen." stimmte mir Andrew zu.
Magnus seufzte.
"Ihr wollt also gegen ein ganzes Werwolfsrudel kämpfen? Seid ihr vollkommen übergeschnappt? Das sind Killer," fauchte Taylor leise.
"Willst du die Prüfung bestehen, Taylor, oder nicht? Wir brauchen den Dolch," wies ich ihn bestimmend zurecht. „wir sind nun mal Krieger. Das ist unsere Bestimmung."
"Sie hat recht, Taylor. Es ist leider so, dass wir den Dolch brauchen. Ob wir wollen oder nicht, wir werden hierbleiben und suchen müssen," pflichtete mir Magnus bei.
"Aber..."
"Es gibt kein 'aber', Taylor. Willst du ein Krieger sein, oder willst du es nicht? Dann wirst du mit Situationen wie diesen hier leben müssen," schnauzte Magnus ungehalten.
"Magnus beruhige dich," versuchte ich ihn zu besänftigen.
"Nein, Raven. Ich habe die Schnauze voll von ihren Extrawünschen. Das sollen die besten in unserem Jahrgang sein? Das ich nicht lache," bellte Magnus und drehte sich zum Weitergehen. „Prinzessinnen sind das. Flennen bei jeder Art von Gefahr. Wie sollen sie den Krieger Alltag überleben, frag ich mich," maulte Magnus ungehalten während er weiter ging.
Schnell griff ich nach seinem Arm und zog ihn zu mir. Nun standen wir von Angesicht zu Angesicht. Seine Grünen Augen blitzten bedrohlich.
"Was?" schnauzte er mich ungehalten an und drehte sich ruckartig um. Erschrocken zuckte ich zusammen. Ließ seinen Arm aber nicht los.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und hielt seinem Blick stand.
"Wir sind ein Team, Magnus. Wir müssen jetzt entscheiden wie wir vorgehen. Alle zusammen," wies ich ihn zurecht. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. „Wir müssen Zusammenarbeiten."
Bewundernd hob er eine Augenbraue.
"Du hast mehr Mut als dieses Fliegengewicht," knurrte er anerkennend und grinste mir ins Gesicht. Seine Augen betrachteten mich voller Wärme. „Du bist wirklich eine echte Kriegerin."
"Danke." murmelte ich und lies ihn langsam los. Meine Hände zitterten und waren schweißnass. Immer noch raste mein Puls wie verrückt.
"Gut. Raven hat recht. Wie gehen wir vor? Wir brauchen so schnell wie möglich einen Plan," schaltete Magnus sofort in den Anführermodus.
"Das würde ich auch sagen." ertönte aus der Dunkelheit des Korridors plötzlich eine knurrende bedrohliche Stimme. Mein Herz machte einen Satz. Waren wir dem Werwolf in die Falle getappt?