Katzen und Misanthropie
Würde
sich die uns vorliegende Szenerie in einem Comic oder einem dieser
tausenden Zeichentrickserien, die es auf dieser Welt gibt, abspielen, so
ließe sich in diesem Moment eine tiefschwarze Gewitterwolke über dem
Kopf des, knapp ein Meter achtzig großen, dunkelhaarigen Mannes
zusammenbrauen und sich, begleitet von beinahe schon orkanartigen Böen
und peitschendem Regen, in Form von grell zuckenden Blitzen über seinem
Haupt entladen sehen lassen. Die tatsächlichen Wetterbedingungen
erreichten allerdings nicht annähernd das Niveau des Spektakels, das
seine durchweg negative Stimmung hätte auch nur im Ansatz ausdrücken
können. Trotz des von schweren, tiefgrauen Wolken verhangenen Himmels,
kletterte das Thermometer seiner Nachbarn, das sie so dreist am Eingang
des Wohnblockes platziert hatten, um auch jeden auf die tatsächliche
Außentemperatur aufmerksam zu machen, gefährlich nah an die
Vierzig-Grad-Marke heran. Als würde es irgendeine Rolle spielen, wie warm
es in dieser Betonhölle, in der sie verdammt waren zu leben, wirklich
war. Die Hitze war unerträglich, das reichte als Temperatureinschätzung
für ihn vollkommen. Und wenn es für ihn reichte, hatte es das gefälligst
auch für alle anderen zu tun.
Michael Casper war durch und durch
Misanthrop. Sein Leben und seine Einstellung gegenüber seinen
Mitmenschen erfüllte die Definition der Misanthropie in mehr als
vollständigem Maße, übertraf sie laut seines eigenen Erachtens sogar mit
der Leichtigkeit, die von einem durch den Wind in die Lüfte gewehten
Blattes an den Tag gelegt wurde. Sofern denn überhaupt Wind wehte,
verstand sich. Michael hatte kein Herz aus Stein, keines, das von
irgendeinem gelangweilten Steinmetzt zurechtgeschlagen und dann in den
unüberschaubaren Pool von Seelen geworfen worden war, sondern eines aus
High-tec-Technologie. Es war geformt aus diesem neuen, super reißfesten
Stahl, dazu noch mit Spinnenseide umwickelt und in eine ordentliche
Portion Beton getaucht. Sicher war sicher.
Mit weiterhin in
tiefer Dunkelheit liegender Miene, von der er sich kaum entsinnen
konnte, zu welchem Zeitpunkt er das letzte Mal töricht genug gewesen
war, sie abzulegen, stütze er sich mit der einen Hand an der Brüstung
seines viereinhalb Quadratmeter Balkons ab, während er mit der anderen
in der Tasche seiner verschlissenen Jeans nach einer Schachteln
Zigaretten kramte. Ohne ein großes Gefühl von Triumph zog er die Packung
aus der schützenden Dunkelheit seiner Hosentasche an das, trotz der
verdeckten Sonne, viel zu grell erscheinende, Tageslicht, beraubte sie
mit beiläufigen, beinahe gelangweilten Bewegungen ihres Inhalts, um sie
daraufhin mit nicht weniger gleichgültigen Griffen in ihr Gefängnis
zurück gleiten zu lassen. Ähnliche Prozedur wurde mit seinem Feuerzeug
vollführt, nur in Anbetracht des kleinen, aber dennoch relevanten
Unterschiedes, dass dieses nicht in seiner rechten sondern in seiner
linken Hosentasche zu finden war.
Genüsslich nahm er einen
kräftigen Zug, füllte seine Lungen mit nikotinhaltigem Rauch und entließ
diesen daraufhin in dichten Schwaden wieder in die Freiheit. Diese
Prozedur wiederholte Michael immer und immer wieder aufs Neue, während
er seinen Blick über die Trostlosigkeit unter sich schweifen ließ. Die
Straße, die sich unterhalb seines Wohnblocks erstreckte war
menschenleer, nicht einmal ein Insekt wagte es in der brütenden
Mittagshitze sein Versteckt zu verlassen, geschweige denn ziellos, nur
von einem unerklärlichen inneren Instinkt getrieben, durch die
Landschaft zu schwirren. Alles ächzte im Stummen und doch gleichzeitig
so laut nach Schatten, dass es unmöglich war, das Bitten zu überhören.
Und jenen, denen dieser Wunsche nicht erfüllt werden konnten, strebten
umso mehr nach dem kühlenden Nass. Gras verdorrte, Büsche und Bäume
ließen ihre Blätter hängen und jegliche Blume, die im Frühjahr den
winzigen Vorgarten vor den Wohnblöcken geziert hatte, war schon lange
verwelkt. Wenigsten würde man ihn so mit diesem albernen Wald-, Wiesen-
und Blumengeplänkel in Ruhe lassen, dachte er sich, wenigsten das.
Im
gegenüber ragte eine weitere, acht Stockwerke hohe Hausmauer in luftige
Höhen, die in dem gleichen schmutzigen Gelb ihre Äußere sowie Innere
Hässlichkeit zum Vorschein brachte. Einst war sie sicherlich einmal
freundlich gewesen, hätte jedem, der sie sah, ein Lächeln aufgezwungen,
ob er es hatte haben wollen oder nicht, aber inzwischen war sie von dem
Staub aus Abgasen, Zigarettenrauch und Grillfeuern so vergraut, dass
nichts mehr ihrer ursprünglichen Berufung zu erkennen war. Dazu zog sich
von den Erdgeschosswohnungen und schmalen Kellerfenstern, die sich noch
grade so auf der Höhe der Straße befinden konnten, eine grünliche
Schicht aus Moos die triste Fassade hinauf in Richtung des vor Hitze
flimmernden Himmels, die ebenfalls den aktuellen Wetterbedingen zum
Opfer gefallen war und nun mehr braun als grün ihr Dasein fristete.
Micheals
Zigarette war an das Ende ihrer Kapazität gekommen, als er seine
finstere Miene wieder in den Bereich seiner eigenen vier Wände richtete.
Sich ausreichend Zeit lassend, drückte er besagtes Stück in der
trockenen Erde seines Blumenkübels aus, mit dem er, auf das Drängen
seiner Nachbarn, den lächerlichen Versuch gestartet hatte, seiner Wohnung
ein kleines bisschen Mehr an Leben einzuhauchen. Doch er konnte sich
nicht mehr entsinnen, an welchem Tag er aufgehört hatte sie zu gießen und
zu dem Entschluss gekommen war, dass ein Kübel voll Geranien deutlich
mehr unnütze Arbeit als Lebensfreude bedeutete.
Er seufzte und
wendete der unmenschlichen Hitze, die schwer zwischen den Häuserreihen
lag, den von Schweiß nassen Rücken zum Gehen zu. Die Zigarette hatte er
zuvor zu seiner eigenen Befriedigung nach unten auf die Straße
geschnippt und sie dort, direkt vor dem Thermostat seiner aufdringlichen
Nachbarn aus dem Erdgeschoss, aufkommen sehen. Das war seine Art von
nachbarschaftlicher Liebe und der daraus resultierenden, fürsorglichen
Aufmerksamkeit. Jeder andere hätte sich wahrscheinlich ein weiteres Mal
dorthin umgedreht, sich heimlich ins Fäustchen gelacht und sehnsüchtig
auf den Moment gewartet, in dem man sein kleines Geschenk finden und
kopfschüttelnd beiseite räumen würde. Micheal tat das nicht. Er stand
über solchen Dingen, über diesem kindischen Maß an Schadenfreude und
Gekichere. Micheal schritt, ohne seiner Handlung auch nur eine Hauch von
weiterer Aufmerksamkeit zu schenken, in seine angenehm kühle Wohnung
hinein, schloss die Balkontüre hinter sich und lächelte sanft, als eine
kleine, grau getigerte Katze liebevoll um seine Beine strich.
Ich kann mich Thoronris nur anschließen. Ein sehr guter Text!
Hey, dein Text gefällt mir außerordentlich gut. Ich fühlte mich irgendwie an "Ingrid Babendererde" von Uwe Johnson erinnert, ein DDR-Romane, den wir in der Abi-Stufe gelesen hatten. Dein Schreibstil ist ausführlich, wortgewaltig und doch so, dass man sofort die Distanz, die solche großen Wohnviertel, wie du sie beschreibst, spürt. Auch die Distanz, die der Mann zu seiner Umwelt aufgebaut hat, tritt nicht nur aus dem, was du beschreibst, sondern auch aus dem Wie hervor. Das gefällt mir wirklich gut. Vielleicht kannst du nochmal genau drüber lesen, ich meine, einige kleinere Rechtschreib- oder Zeichensetzungsfehler gefunden zu haben, aber nichts, was sich wirklich zum Aufzählen lohnt. Ich freue mich auf mehr von dir!