Josh schoss die Augen und ließ seinen eigenen Gefühlen freien Lauf, die er allzu lange unter Kontrolle behalten musste. Es war die letzte Zeit nicht einfach gewesen, sich aus den Auren seiner Mitmenschen herauszuhalten, besonders bei seiner eigenen Mutter, deren Farbschleier ihn ohne Unterlass umwaberten. Mit Mühe hatte er lernen müssen seine dunklen Trieben zu beherrschen und die verlockenden Nebelschleier so gut es ging zu ignorieren. Nun befreite er seinen Geist und die Welt drang ohne Gnade in ihn ein.
Die Zeit der Unterjochung hatte seine Gabe nur noch mehr sensibilisiert, zwar schwirrten keine verirrten Farben durch die Lüfte, doch er wusste, dass er nicht allein war. Er schmeckte eine bittere Präsenz im Wind, der ihm aus den Gassen entgegen blies und ein zorniges Gefühl breitete sich in seiner Magengrube aus. Es waren nicht seine Emotionen, das wusste er, aber sie waren stark genug, um seine eigenen zu verwirren. Neben der Wut spürte er auch Angst, irgendwo musste sich jemand streiten vermutete er, aber sie verbargen sich hinter Mauern und Türen.
Stirnrunzelnd atmete Josh den bitteren Duft tief ein, schmeckte ihn auf der Zunge, spürte ihn auf der Haut. Er trat eine paar unsichere Schritte in Richtung des Geruchs und bleib zögernd stehen.
Sollte er sich wirklich in Streitereien einmischen, die ihn nicht im mindesten belangten? Aber vielleicht, ganz vielleicht, hatten die Streithähne seinen Cousin gesehen? Einen Versuch war es zumindest wert.
Josh folgte den herben Winden durch eine der Gassen in Richtung Hauptstraße, und kehrte um, bevor er ihr Ende erreichte. Argwöhnisch blieb er stehen und sah sich um, der Geruch war so stark, dass seine Haut zu jucken begann und wenn er sich nicht täuschte konnte er auch gedämpfte Stimmen hören.
Sein Blick blieb an einer Bodenkammer hängen, deren schräg in die Wand gelassenen Tür einen Spalt offen stand. Er griff bereits nach dem rostigen Griff als er inne hielt und den Stimmen genauer lauschte. Sie waren kaum zu verstehen, aber eine Welle des Zorn schlug ihm entgegen, gefolgt von panischer Angst.
Für einen Moment vergaß Josh seinen Cousin und er trat näher an die stählernen Luke. Seine Neugier kämpfte wie so oft gegen seine Vorsicht und seinen Verstand und wie so oft, gewann sie auch. Leise zog er den rostigen Riegel zurück und öffnete die Tür gerade weit genug um hindurchzusehen.
Eine Treppe führte vom Einstieg hinunter in einen schummrigen Keller, dessen Wände mit Regalen und zerschlissenen Möbeln verstellt waren. In der Mitte stand ein breiter Tisch, die Farbe der Arbeitsplatte blätterte bereits ab und filigrane Glasfläschchen und andere Geräte, die Josh nur aus dem Chemieunterricht kannte, bedeckten seine Oberfläche. Die wütende Stimme wurde lauter, aber noch immer war ihre Quelle nicht in Sichtweite.
Sich selbst verfluchend stieg Josh vorsichtig durch die Tür und versuchte die Treppe mit leisen Sohlen zu betreten. Sie quietschte gedämpft, aber die Stimme brach nicht in ihrer Hasstirade ab. Josh schlich die ersten Stufen hinab und erstarrte als er die Szenerie endlich überblicken konnte.
Vier Männer standen in dem schattigen Kellergewölbe und drei davon waren Josh nicht unbekannt. An der Wand lehnte in selbstgefälliger Haltung und mit grimmigen Gesichtsausdruck der Hüne, der damals unter Dorians Fenster gewartete hatte. Seine Aura glühte auch jetzt in unverändertem, starren grün ohne jegliches Anzeichen von Regung. Man hätte ihn für eine Statue halten können, so starr lehnte er dort und beobachtete den Fremden, der in der Mitte des Raumes stand. Neben ihm, mit wild flackernder Aura, die von zahlreichen Narben verunstaltet wurde, wartete der andere Kerl, dem Josh bereits im Park begegnet war. Er biss sich auf die Lippe und Wellen der Angst und Schuld gingen von ihm auf, umwaberten seine hagere Gestalt und verblassten in milchige Farben. Auch er beobachtete den Fremden, dessen Umgebung in hellem Rot glühte, welches in alle Richtungen ausstrahlte.
Der Mann hatte sich breitbeinig aufgebaut, das Gesicht wutverzerrt und mit einem mörderischen Glitzern in den dunklen Augen. Er verzog die Lippen zu einem hämischen Grinsen, wobei er den Arm hob und eine Waffe auf den letzten Mann im Raum richtete.
Joshs Gedanken froren bei diesem Anblick ein und sein Herz setzte für einen Schlag aus. Er bemühte sich krampfhaft nicht aufzukeuchen, als Dorian, der mit erhobenen Händen und schweißnasser Stirn an die Wand gedrückt stand, beim Anblick des Revolvers zusammen zuckte. Die Angst, die Josh bereits im Innenhof vernommen hatte, strahlte wie ein Leuchtfeuer und in den verschiedensten Blautönen. Beinahe verschwamm Dorians Gestalt im Nebel der Farben, die ihn in einem hektischen, fast chaotischen Wirbel einschlossen. Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse und versuchte den fremden Mann mir einem gewinnenden Lächeln zu beruhigen. Demonstrativ hob er die Hände ein Stück höher, nur seine Augen huschten hilfesuchend durch den Raum.
„Wir sollten nichts übereilen‟, krächzte er mit belegter Stimme und deutetet auf den Fremden und die Waffe in seinen Händen. Der Mann trat einen Schritt auf ihn zu und das Lächeln verschwand aus seinen herben Zügen.
„Deine letzte Chance‟, knurrte er drohend und es klickte als er die Pistole entsicherte. Dorian schluckte schwer und schüttelte den Kopf.
„Ich habe euch bereits alles gesagt!‟
Der Fremde lachte spöttisch auf, aber eine Frau, die Josh bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgefallen war, erweckte seine Aufmerksamkeit. Sie trat aus dem Schatten des Hünen und legte dem Mann beruhigend eine Hand auf die Schulter. Er wandte sich für eine Sekunde von Dorian ab, in der sie ihm etwas ins Ohr raunte und ihn eindringlich, beinahe flehentlich ansah.
„Egal was sie gesagt hat ich bin dafür!‟; meldete sich Dorian feixend zu Wort und versuchte die Situation auf seine übliche, schelmische Art und Weise herunterzuspielen. Der Fremde sah ihn mit einem niederträchtigen Schmunzeln an und auch die Frau wandte sich Dorian mit einem kalten Blick zu.
„Dann hätten wir alle eine Menge Spaß miteinander‟, säuselte der bewaffnete Mann und ließ die Waffe ein Stück sinken. Dorian atmete erleichtert auf, aber kalter Schweiß rann ihm über die Stirn.