»Nicht dein Ernst?« Rondal strich mit seiner linken, flach gehaltenen Hand über einfachstes Mobiliar. Es war nicht nur schlicht, es war anspruchslos. Ein buntes Durcheinander wahllos herbeigeschleppter Dinge, die als Wohngegenstand herhalten mussten.
Ein Eimer als Tischlein am Nachtlager, worauf eine nahezu vollends abgebrannte Talgkerze in einem halb zersprungenen Tonbecher stand. Der Platz, der der nächtlichen Ruhe diente, war nichts weiter als ein Strohlager mit einer Decke darüber. Einen Tisch an sich gab es nicht, wobei ... ein umgedrehtes Fass, erfüllte auch hier denselben Zweck. Gräulich verschlissener Segelleinen bedeckte eine schief eingesetzte Luke, die ein Fenster sein sollte.
»Es reicht und lehrt Demut, mein Freund.«
Mit erhobener Braue besah er Alric. Jenen Mann, der ihn einst aus einer Liturgie befreite und einen Weg offenbarte, Dinge zu tun, die er für richtig hielt. Merkwürdigerweise musste er ungewollt an Serfem denken, der ihm ebenso ein lebenswerteres Leben zu verdanken hatte. Ein Schnaufen entwich seiner Nase und sein Kopf nickte ohne sein Zutun. »Schlicht, einfach und hoffentlich deinen Plänen dienlich.«
Eine Hand drückte seine Schulter. »Es wird alles andere als leicht, noch dazu ein steiniger Weg.« Alric wandte sich ab. »Es wird Opfer geben.«
»War es das jemals?« Er stockte für zwei Atemzüge, um dann fortzufahren. »Leicht?«
»Vermutlich nicht«, gestand ihm sein Gegenüber.
»Ich frage erst gar nicht, was du all die Zeit über hier getrieben hast. Das ist einzig deine Sache, aber mit was für seltsamen Leuten umgibst du dich? Wieso nennt er dich Maskenmann?« Er hob den Finger, so als befürchtete er bei einem immens wichtigen Gedanken unterbrochen zu werden. »Ich glaube, etwas in der Art gehört zu haben, dass dieser laufende Muskelprotz Bedeutsames gegen dich in der Hand habe. Gegen dich und den deinen? Also ... wir?«
»Du hast mir bisher stets vertraut, tust du es auch jetzt noch? Vorbehaltlos?« Alric bemerkte, wie der Adamsapfel seines Gegenübers zu hüpfen begann. Gleichermaßen erkannte er aber auch, dass Rondal weder nervös noch nach Ausflüchten suchte. Dessen Augen zucken nicht einmal.
»Du hast mir nie Anlass gegeben an dir zu zweifeln. Aus welchem Grunde sollte ich jetzt damit beginnen?«
Dem Anführer der Schattenjäger stahl sich ein Lächeln auf die Lippen. Zweifelsfrei, dieses war echt.
Alric bedeutete seinem Weggefährten ein gemütliches Plätzchen zu schaffen. Er hingegen wühlte eine hölzerne Kiste hinter seinem Nachtlager hervor.
»Ein Schatz im trostlosen Lager?«
Flach legte er seine Hand über dessen Inhalt, der laut klapperte.
»Ja noch dazu ein recht Teurer. Eigentlich wollte ich hiermit ein paar Unkosten decken, aber da du nun einmal hier bist.«
Eine Flasche wurde entkorkt und ein süßliches Aroma durchzog die Luft.
»Was treibt dich her? Du sprachst davon, dass Kay dich geschickt hat.«
Rondal sah auf und musterte den Anführer der Schattenjäger. Ursprünglich wollte er von ihm die eine oder andre Frage erklärt bekommen. Sei's drum, dann fing er halt an.
»Veyed vertraut mir nicht«, gestand er. »Von Serfem erfuhr ich über Umwegen, dass der Junge meint, er könne allein an den Glanz meiner Augen erkennen, dass ich etwas im Schilde führe. Man Alric, ich vermisse meine Frau ...« Ein bitterer Kloß zwang ihn, schwer zu schlucken. Mit hörbarem Schmerz sprach er weiter. »... und mein Kind. Da darf man doch mal gedanklich abschweifen.«
Angesprochener verharrte in halb sitzender Position und schien zu überlegen. Besann sich sodann und korrigierte das hinter ihm liegende Stroh.
»Ist er Fremden gegenüber immer so abweisend oder liegt es wirklich an mir? Serfem ist weit mehr ein Fremdling, als ich.« Es schien dem gestandenen Mann sichtlich zu bekümmern, dass Veyed ihm kein Vertrauen schenkte. Zu keiner Zeit gab er dem Jungen Anlass so zu denken gar an ihm zu zweifeln.
»Kays Bruder? Nicht dass ich wüsste. Serfem gegenüber könnte ich es nachvollziehen aber bei dir?«
»Wir teilen dasselbe Schicksal.«
Alric schnaufte, nahm einen großen Schluck aus der Flasche und reichte diese weiter. »Alle zur Pflicht gezwungene teilen dasselbe Schicksal. Sie werden von ihren Familien ferngehalten. Notfalls mit Gewalt.«
Rondal führte die grünliche Flasche an die Nase und schwenkte diese. Seine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. »Wenn es schmeckt, wie es riecht, wird es ein langer Abend.«
Neben ihm klapperte es. »Neun sollten reichen, was denkst du?«
Die beiden tauschten Belanglosigkeiten und Geschehnisse aus und brachten den jeweils Gegenüber auf aktuelle Kenntnisse.
So erfuhr Rondal das Dolvi kein alter Haudegen oder vergrämter Seebär sei, sondern der Erbe der fünf Inseln. Sein Volk litt wie jene des Festlandes an den Übergriffen der thulenischen Heerscharen. Sie zerstörten ihre Boote und Schiffe; schliffen ihre Vorposten und Weiler.
Den Jarls war es seither nicht mehr möglich dringend benötigte Güter wie Holz zu handeln, um ihre Siedlungen zu umfrieden, noch ihre einstmaligen Befestigungen wieder zu errichten.
Für deren Beistand versprach Alric ihnen das, was sie am meisten Begehrten, die Inseln aber nicht in ausreichender Menge hergaben.
»Holz gegen Eisen und Muskeln«, sprach er sich aus.
»Wie willst du es anstellen, diese Piraten zu beliefern? Der einzige Seehafen in Agrea ist Holmfirth und niemand wird uns dabei unterstützen geschweige denn gewähren lassen. Der Hafenmeister wird uns die Scharen auf den Hals hetzen und diese den Obristen mit seinen Schergen.«
»Du kommst wie gerufen mein Freund.« Ein vielsagendes Grinsen umschmeichelte seine Züge.
»Botengänge«, mutmaßte er und führte die Flasche ein weiteres Mal an die Lippen.
Es sollte seine Aufgabe werden, Falkenhorst von dem Vorhaben zu unterrichten. Rund um Falkenau wuchs das benötigte wie begehrte Baumaterial dicht und üppig. Das geschlagene Holz solle am nordöstlichen Strandstreifen deponiert werden. Auch wenn die Korallenriffe kein Boot zu passieren vermochte, solle man davon ausgehen, dass die Ladungen den Empfänger erreichten. Als Ausgleich würden Eisen in verschiedenster Form und Güte abgelegt werden.
Darunter Barren, Spangen und Krampen. Auch würde man Waffen und anderweitiges Rüstzeugs vorfinden, welches anderenfalls über gefährliche Umwege herbeigeschafft wurde. Es wurde an der Zeit, die Beschaffenswege zu ändern. Die Routen wurden zu offensichtlich und oftmals verloren sie wertvolles Material und sogar Leben dabei. Die Schattenjäger gehen mittlerweile sogar so weit zu behaupten, dass man bewusst ihre Unterfangen sabotierte, gar verriet.
Rondal berichtete von jenem Tag, als Kayden vor Zorn und Trauen den ›Ruf des Falken‹ ausstieß. Kein Laut war zu hören. Nur dieser klägliche Versuch einen Schrei zu formen. Dass seinem Halse fürwahr etwas entwich, blieb für alle anwesenden nicht nachvollziehbar. Er sprang aus seiner Deckung und wir übrigen folgten ihm ohne Widerspruch.
Seither seien die Vögel in Aufruhr und nicht minder wenige wagten sich erstmals weit über die Baumgrenze hinaus.
Die Neuigkeit, das Alna für ein junges Mädchen ihr Leben ließ, schmerzte nach wie vor und Alric rang mit einem bleiernen Kloß, der ihm die Luft zum Atmen raubte.
»Nach der Beerdigung ihrer Mutter, zwei Tage darauf, beschloss Kayden auszureiten. Er und Veyed wollten mit dem Bauern Klarich gemeinsam trauern. Serfem und ich begleiteten sie.«