Paul war geflohen. Von seiner eigenen Hochzeit. Er hatte seine frisch angetraute alleine am Buffet zurück gelassen und war regelrecht geflüchtet. Ihm war auf einmal alles zu viel. Die vielen Menschen. Freunde, Bekannte, Familie. Die laute Musik, die vielen Lichter. Das alles. Zu viel, zu laut. Er presste seine Hände auf die Ohren und stützte seine Ellenbogen auf den Tresen vor ihm. Er war die Straße entlang gelaufen und in irgendeine Bar gegangen. Na ja, Kneipe traf es vielleicht eher. Es war schmuddelig hier. Nur ein paar wenige Menschen hielten sich zu so später Stunde noch in den Räumlichkeiten auf. Er trank einen Schluck des schalen Biers vor ihm und starrte sein Glas an. Er hatte diese große Fete doch gar nicht gewollt. Ihm hätte eine kleine Feier mit ein paar wenigen, ausgewählten Gästen aus dem engsten Freundeskreis gereicht. Aber seine Frau wollte die große Party. Er war nie ein großer Freund solcher Veranstaltungen gewesen. Aber er konnte seiner Marie auch nichts abschlagen. Nur deshalb gab es die Feier überhaupt. Was das alles gekostet hatte! Er durfte nicht mal daran denken. Er seufzte leise. Er sollte glücklich sein. Alles was er je gewollt hatte war Marie zu heiraten. Und jetzt, wo sie seine Frau war ... Er wusste es ja selbst nicht. "Sie sind ja ganz schön schick angezogen, für so eine Spielunke." Hörte Paul eine Stimme neben sich sagen. Er schaute von seinen Glas auf. Neben ihm saß ein junger Mann ende Zwanzig und lächelte ihn an. Er trug eine Jeans und dazu ein lässig geöffnetes dunkelgrünes Hemd. Seinen Hals zierte ein schwarzes Band an dem ein silberner Drache hing. Sein Blondes Haar trug er verwuschelt. Der hatte wohl keine Probleme eine Frau ab zu kriegen.
"Da drüben findet wohl so eine hochfeine Schikimickihochzeit statt." Sagte der Typ.
Paul räusperte sich.
"Ja," sagte er dann. "Das ist meine Schikimickihochzeit."
Der Blonde schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
"Oh!" meinte er. "Ich hätte nicht gedacht, dass du einer von denen bist." Paul schaute verärgert .
"So? Und warum nicht?", fragte er.
"Oh, du siehst einfach viel besser aus als die da drüben", meinte er feixend. Das nahm Paul als Kompliment und sein aufgekommener Ärger verrauchte wieder. Da fragte sein Gegenüber: "Wenn das deine Hochzeit ist, warum bist du dann nicht bei deiner Braut?"
"Ist mir zu viel geworden", antwortete er.
Dann starrten beide Männer vor sich hin. Schweigen entstand.
"Hey! Ich will den Laden dicht machen!", durchbrach schließlich der Wirt die Stille.
Paul sah sich um. Er und der Fremde waren die Einzigen die noch in der Kneipe waren. Ihm wurde bewusst, dass das bedeutete, dass er wieder zurück auf die Party musste. Er seufzte wieder. Dann bekam er eine Idee. "Weißt du wo es ne Kneipe gibt die so spät noch offen hat?", fragte er den Blonden Schönling.
Dieser schüttelte den Kopf.
"Nein," sagte er. "Aber du könntest mit zu mir kommen. Ich wohne nicht weit von hier und hab noch Bier zu Hause."
Sollte er das tun? Einfach so mit einem völlig Fremden mitgehen? Was soll`s. Dachte er schließlich. Er war schließlich keine Frau. Er war ein Mann. Er konnte sich bei einem Übergriff wehren. Immerhin hatte er in seiner Jugend geboxt. Klar, das war schon um die 17 Jahre her, aber verteidigen konnte Paul sich.
"Warum nicht," sagte er zustimmend. "Die Party geht bestimmt noch 2 Stunden. Minimum."
Gemeinsam verließen sie die Kneipe. Sie gingen ein paar Meter die Straße entlang, vorbei an dem Gebäude in dem Pauls Hochzeitsfeier noch in vollem Gange war, über eine kleine Kreuzung, ein kurzes Stück durch einen Park und dann standen sie auch schon vor einem kleinen Einfamilienhaus. Es war ein Neubau, blau gestrichen. Das konnte er bei der Dunkelheit natürlich erst erkennen als sein Führer die Haustür aufschloss und das Licht im Flur anschaltete. Sie gingen hinein. Paul schloss die Tür hinter sich und schaute sich um. Der Flur war klein. Die Wände waren in einem seichten Gelb gestrichen. Eine Wendeltreppe führte ins Obergeschoss, eine Andere in den Keller. Zwei Türen gingen vom Flur ab. Eine war geöffnet und gab den Blick in das geräumige Wohnzimmer frei. Die andere war verschlossen. Da der Flur so klein war befand sich in ihm nur eine kleine Garderobe und ein Schuhschrank. Ein Foto hing an der Wand. Darauf zu sehen war ein kleines Mädchen im roten Kleid.
"Deine Tochter?", fragte Paul neugierig.
Sein Gastgeber, der sich grade die Schuhe auszog und in den Schuhschrank räumte lachte kurz auf.
"Nein," sagte er. "Meine Nichte. Die Tochter meines Bruders." Paul nickte. Er zog sich ebenfalls die Schuhe aus und stellte sie neben die Haustür. "Ich bin übrigens Sven", stellte sich sein Gastgeber jetzt vor.
Dann ging er ins Wohnzimmer. Paul folgte ihm.
"Ich heiße Paul", meinte er nur und begann sich im Wohnzimmer um zu sehen.
Der Raum war beinahe vollständig von einer riesigen schwarzen Ledereckcouch ausgefüllt. Vor dieser stand ein Couchtisch aus Glas und an der gegenüberliegenden Wand hing ein großer Flachbildfernseher. Darunter stand ein Beistelltisch. Ebenfalls aus Glas. Darauf stand eine Spielekonsole und eine Telefonstation. Zwei Videospiele lagen daneben.
"Setz dich ruhig", bot Sven an. "Ich hol nur schnell das Bier aus dem Kühlschrank." Dann verschwand er durch eine geöffnete Tür die vom Wohnzimmer abging. Dann war die verschlossene Tür im Flur wahrscheinlich die Badezimmertür. Paul ging zur Couch und setzte sich. Ein wenig mulmig war ihm ja schon. Er war schließlich noch nie einfach mit einem Fremden Mann mit nach Hause gegangen. Aber Sven wirkte völlig normal. Also kein verrückter Psycho, der Fremde auf der Straße aufließ und sie dann in seinen Keller lockte und ermordete. Zumindest hoffte er das. Neben dem Beistelltisch stand ein altmodisches CD-Regal in schwarz. Paul überlegte ob er aufstehen und sich die CD-Sammlung ansehen sollte, da kam Sven auch schon aus der Küche zurück. Er bemerkte seinen Blick zum CD-Regal. "Was hörst du für Musik, Paul?", fragte er und reichte Paul eine geöffnete Flasche Bier.
Dieser nahm es dankend entgegen und antwortete: "Nichts besonderes. Aber Rockig sollte es sein. Und du?"
Sven setzte sich neben ihn.
"Rock. Ausschließlich. Gern härter. Ich steh auf so ziemlich alles was hart ist." Die Zweideutigkeit seiner Worte schien ihm nicht bewusst zu sein. Paul war sie dafür um so deutlicher. Er grinste breit. "Was?", fragte Sven.
"Du hast grade gesagt du stehst auf alles was hart ist", klärte Paul ihn auf. Da musste auch Sven grinsen.
"Wenn du das sagst muss es wohl stimmen", meinte er und sein Grinsen wurde zu einem flirty Lächeln.
Paul wurde rot. Das hatte er auch noch nie erlebt. Das ein Mann mit ihm flirtete. Und er selbst hatte die Vorlage dafür geboten. Irgendwie schmeichelte ihm das.
"Und auf was stehst du noch so?", fragte er mutig.
Irgendwie fand er die Situation amüsant. Und was schadete es denn ein bisschen zu flirten. Seine Frau würde nie davon erfahren und er war nicht schwul. Wahrscheinlich war er deshalb auch so locker. Deshalb und wegen des Alkohols, der schon seit ungefähr 4 Stunden in ihn floss. Nur in Form von Bier versteht sich. Er war schließlich ein echter Mann.
Sven räusperte sich.
"Auf vieles," sagte er. "Auf so schnucklige Kerle wie dich zum Beispiel."
Paul lächelte verlegen. Sven war also schwul. Na gut. Hatte er nichts gegen. Generell war Paul ein ziemlich offener und toleranter Mensch. Er war für Flüchtlinge. Und für die Homoehe! Ganz klar. Was sollte überhaupt dieser Quatsch von wegen heiliger Ehe und der Blödsinn. War Liebe nicht immer gleich? Egal welches Geschlecht sie betraf? Seiner Meinung nach schon.
"Das ist schön zu wissen", sagte er.
Sven stellte sein Bier ab und lehnte sich nach hinten.
"Soll ich dir zeigen auf was ich noch so stehe?", fragte er Paul und schaute ihn mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen an.
Paul hoffte, dass er damit nichts eindeutiges meinte. Trotzdem nickte er.
Sven stand auf und bat Paul ihm zu folgen. Paul stellte sein Bier ab und folgte Sven die Kellertreppe hinunter. Unten angekommen betraten sie einen großen Kellerraum. Sven knipste das Deckenlicht an. Was Paul nun sah ließ ihn staunen.
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