Es eine merkwürdige Zeit gewesen. Mehrmals hatte mich in der kurzen Zeit der Weg vierhundert Kilometer weit gen Süden geführt. Wenn ihr mich heute fragt, wie lange wir um den nahenden Tod meines Vaters wussten, muss ich gestehen, dass ich es nicht mehr weiß. Die Diagnose Lungenkrebs hatte uns überrascht, vielleicht hatten wir aber auch etwas geahnt und wollten es nur nicht wahr haben.
Ich war gerade wieder in meiner Wahlheimat Berlin angekommen, als noch am gleichen Abend meine Schwester anrief und mir den Rat gab recht zeitnah zurück zu kommen. Also klärte ich die wichtigsten Dinge, vor allem rund um meine Umschulung die gerade lief, packte neue Sachen ein und saß einen Tag später schon wieder im Auto. Damals fuhr ich noch einen sehr auffälligen Opel Corsa, in einer merkwürdigen gold-gelben Farbe, die überall auffiel. Auch wie ich mich damals im Auto gefühlt hatte weiß ich heute nicht mehr. Ich sitze gerne hinter dem Steuer. Laute Musik oder ein Hörbuch versüßen einem die Strecke auch wenn sie länger ist, aber ich machte mehr Pausen als sonst. Auf den vielen Kilometern kann viel passieren.
Vielleicht kennt jemand die Strecke, wenn man von Norden die A7 herunter fährt und hinter Göttingen irgendwann die Landesgrenze zu Hessen überquert. Der Blick auf Kassel ist schön und man kann von dem Berg den man sich mühsam hochgequält hat, weit ins Tal sehen. An diesem Tag waren gemischte Gefühle dabei. Außer meiner Familie hatte ich niemandem gesagt, dass ich schon wieder auf dem Weg nach Kassel war. Wie auch? Es war kaum Zeit gewesen. Bereits die erste Ausfahrt war meine und wie so oft brauchte ich einige Momente um mich den sittsamen Geschwindkeitsbeschränkungen der Stadt wieder anzupassen. Die nächste Ampel lies nicht auf sich warten und mir wurde immer mulmiger zumute. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde und so starrte ich einfach nach vorne.
Kennt ihr das Gefühl, wenn man etwas sieht und denkt? Das kommt mir aber bekannt vor? Genau dieses Gefühl hatte ich, als ich das schwarze Auto vor mir sah. Vor allem der Anhänger am Innenspiegel der langsam hin und her wackelte kam mir bekannt vor und dann sah ich wie das Gesicht einer Frau mit blonden Haaren im Rückspiegel erschien und ein winkende Hand. Noch heute bekomme ich allein bei dem Gedanken eine Gänsehaut. Die Frau in dem Auto vor mir, war meine beste Freundin seit damals 17 Jahren.
Mit einigen Handbewegungen gestikulierten wir einander, dass ich ihr folgen sollte und kurz danach schafften wir es, hintereinander auf einem Parkplatz zu parken. Sie war mindestens genauso überrascht wie ich es war, schließlich hatten wir uns erst ein paar Tage vorher gesehen und es war absolut unüblich, dass ich schon wieder da war. Kurz erklärte ich ihr den Grund meiner Rückkehr und wir standen noch eine ganze Zeit gemeinsam auf diesem Parkplatz. Sie gab mir Kraft, bevor wir uns verabschiedeten und ich zu meiner Familie fuhr. Am gleichen Abend fand mein Vater nach der Krankheit endlich Ruhe.
Wie kann es ein Zufall sein, dass man an so einem Tag einen wichtigen Menschen trifft, nachdem man so viele Kilometer zurück legt? An einer Ampel mitten in einer großen Stadt? Sie war auf dem Heimweg von der Arbeit gewesen, wie leicht hätte es sein können, dass sie nur 2 Minuten später von dort weggekommen wäre? Vielleicht hätte sie noch etwas im Auto gesucht oder ich wäre in einen Stau gekommen. Nein wir waren da, an diesem Abend genau zur selben Zeit ohne voneinander zu wissen.
An diesem Tag habe ich angefangen daran zu glauben, das Zufälle nicht immer Zufälle sind, sondern Schicksal.