Christina Kemper war eine attraktive Person, etwa einsfünfundsiebzig groß, schlank, mit blonder Kurzhaarfrisur und überdurchschnittlicher Intelligenz, was wieder einmal beweist, dass blond nicht gleich dumm ist.
Christina war gebürtige Deutsche, beherrschte aber vier Sprachen fließend und mehrere exjugoslawische Sprachen ausreichend, um sich zielführend zu artikulieren. Mit achtundzwanzig Jahren war sie in ihrem Job absolut top und wurde sehr gern, trotz fast ausschließlich männlicher Konkurrenz, gebucht.
Nun sollte man vielleicht erwähnen, dass ihre Dienste nicht von Jedermann gebraucht wurden und für einen Normalverbraucher unbezahlbar waren.
Auch war es nicht einfach, sie zu kontaktieren, weil ihre Identität den möglichen Klienten nicht bekannt war. Sie hatte einen guten Namen in der Branche, was aber nicht zwangsläufig für Erreichbarkeit sorgte. Wer sie buchen wollte brauchte Zeit und Geld für die Recherche ihrer Person und wenn der Kontakt einmal hergestellt war, wurde nach ihren Regeln gespielt!
Als sie der Auftrag, bzw die Anfrage, erreichte, oder besser gesagt, in Form einer SMS ihres Auftragsdienstes zugestellt wurde, saß sie gerade beim Frühstück. Nun verhält es sich nicht etwa so, dass in solch einer SMS irgend ein Detail preisgegeben würde. Ihre Arbeit verlangt absolute Diskretion sowohl für Auftraggeber, wie auch für Auftragnehmer. Aus diesem Grund verriet ihr die Nachricht nur, dass auf ihr Schließfach in ihrer Hausbank per Nachttresor eine versiegelte Dokumententasche eingegangen war.
Christina arbeitete unter dem Pseudonym "Mantodea". Es ist dies eine bestimmte Form der Heuschrecken, bzw "Fangschrecken" zu deren Vertreterinnen auch die europäische Gottesanbeterin gehört. "Mantis religiosa", wie die lateinische Bezeichnung der Gottesanbeterin lautet, ist vielen Menschen ein Begriff, weil sie dafür bekannt ist, das Männchen nach der Paarung zu töten und in manchen Fällen sogar zu verspeisen...
Christina mochte das Wort Auftragskiller nicht, so wie sie auch keine Auftragskiller mochte. Sie sah sich als finale Problemlöserin, die in der verschleierten Eliminierung der Zielperson eine kunstvolle Aufgabe sah, deren Ausführung sie zur Perfektion trieb. Ihr Ziel war es nie gewesen zu morden! Sie besaß auch keine Waffe. Weder einen Revolver, noch ein Kampfmesser oder ähnliches. Der perfekte Mord, der niemals nachgewiesen wird, der keinen Rückschluss auf den Auftraggeber zulässt, weil er von Beginn an als tragischer Unfall oder normaler Todesfall protokolliert wird, das war für sie der Sinn ihrer Tätigkeit, die sie zur Kunstform erhoben hatte und die der Welt der Killer Respekt abverlangte. Deshalb hatte sie in ihrer Branche einen guten Namen. Mantodea war auch den hartgesottensten Auftragskillern ein Begriff! Sie wurde respektiert, ja bewundert! Um so wichtiger war es, ihre Identität geheim zu halten. Auch in der Welt der Auftragskiller, war sie nicht mehr als eine Sagenumwobene, viel bewunderte Unbekannte, über die niemand wirklich je etwas persönliches erfahren hatte.
Es gibt viele Arten von Auftragsmord. Jene Aufträge, die Mantodea erhielt, waren die kompliziertesten, denn die Frage nach einem Fremdverschulden, durften sie gar nicht erst zulassen...