Es war Morgen. Ich machte mich auf den Weg zur Arbeit, wieder nach Hause und fragte mich, ob das mein Leben war.
Alles hatte seinen festen Rhythmus; es gab nichts, was die stetige Monotonie des Alltags unterbrochen hätte.
Doch dieser Tag war anders. Ein falscher Ton in der Melodie, die sich täglich wiederholte.
So kam es, dass ich auf einen Berg stieg. Die vielen Stufen hinauf. Oben traf ich einen Jungen. Es dämmerte bereits, wurde Nacht und die Stadt am Fuße des Berges fiel in einen tiefen Schlaf, mit ihr die Menschen, die sich tagein, tagaus in ihr bewegten.
Er nahm meine Hand und meine Blicke trafen die seinen. Es schien, als wären unsere Gedanken ineinander verwoben, verschieden und doch gleich. Wir verloren uns in ihnen und trafen uns, in den Gedanken. Wir waren in einer Welt, die so klein erscheint und doch war sie so groß, dass wir uns verlaufen konnten.
Es traf mich dumpf wie ein Schlag auf den Hinterkopf. Der Junge löste seine Hand aus meiner, legte seinen Arm auf meine Schultern. Sanft, doch fühlte ich mich darunter erdrückt. Ich zitterte. Die kalte Luft des anbrechenden Morgens ließ meine Haut jene winzige Hügel bilden, die nunmehr meinen gesamten Körper bedeckten. Schlagartig wurde mir kalt, meine Gedanken erstarrten. Der Junge schien die mich langsam auffressende Kälte zu bemerken. Die ganze Nacht hatten wir ausgeharrt, nur gewärmt von den eigenen und des anderen Gedanken. Er schaute mich an, sein Blick traf mich tief im Innern, strahlte etwas so Zerbrechliches, und doch Vollkommenes aus. Ich wandte mich von seinem Gesicht ab, plötzlich getrieben von einer inneren Unruhe.
Die ersten Sonnenstrahlen verdrängten zögernd das Tau der Wiesen. Es hätte phantastisch sein können, nahezu perfekt, und doch wollte ich plötzlich nicht mehr sein. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht mit ihm. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich wollte weg. Weg von ihm, von jeglichen Erinnerungen an die Nacht. Die Monotonie meines Lebens holte mich ein, klopfte an die Tür meines Bewusstseins und ich machte bereitwillig auf. Ich ließ sie Besitz von mir ergreifen. Und als wäre die Nacht nie da gewesen, verdrängte ich jeden Gedanken, wir lebten zu schnell. Zu laut. Zu einsam. Zu gleich.
Ich schob seinen Arm von mir, stand auf. Er schaute mich an. Verwirrt zuerst, doch dann mit einem kleinen Schmerz im Blick. Plötzlich ließ es mich kalt. Ich stand einfach nur da, mit den Gedanken schon weiter, kehrte seinem Blick den Rücken zu.
Ich lief, ich rannte. Die vielen Stufen hinab. Du musst schneller sein, hallte es in meinem Kopf. Ich war unten. Völlig außer Atem. Ich setzte meinen Weg zu der kleinen Wohnung, die ich mein zu Hause nannte, fort.
Es war Morgen. Alles vergaß ich, was in jener Nacht geschehen war, und dann machte ich mich auf den Weg zur Arbeit, wieder nach Hause, und fragte mich, ob das wirklich mein Leben war.