Lustlos zog Kayden sein Bier heran und nippte. Seine Augen versuchten das wenige, was er zu sehen imstande war als ein Gesamtbild zusammenzufügen.
Ein alter ausgekühlter Kamin, auf dessen verunstalteten hölzernen Stiegen er bereits eingangs stierte. Eine aufsteigende Treppe, die in die zweite Etage führte. Vermutlich der Wohnraum von Breide und dem Wirt wie auch die im Schatten liegende Nische, an deren Tisch nach wie vor diese unheimliche Person saß und ein reges Interesse an ihm zu haben schien. Unentwegt blieb dessen Kopf in seiner Richtung, ebenso wie der stete Rauch seiner Pfeife zu ihm hinüber wehte.
Dem Ursprung nach waren sie gekommen, um Informationen zu sammeln. Neuigkeiten, die das Umland betrafen. Geschichten und Gerüchte hören. Gab es noch Nachkommen der alten Familienbande? Wie stand es mit der Moral der Ortsansässigen Soldaten? Wie waren deren Truppen aufgestellt? Einfach alles, was sie verwerten und mit jenen Informationen beibringen konnten, die ihnen durch die Schattenjäger beigeführt wurden. Bisweilen stellte er sich jedoch reichlich ungeschickt an und es war überdeutlich. Dieser Abend brachte ihnen wenn überhaupt nur schererrein.
Er nestelte ein dünnes Büchlein aus seinem Umhang hervor und tat als wolle er darin lesen. Da die Hauswirtin ihm sein Dasein erlaubte, beschloss er dieses auszukosten und mit etwas Glück gelang es doch noch irgendetwas mitzubekommen, was für ihr Unterfangen nützlich werden könnte. Seine Rechte glitt über eine der eng beschrieben Seiten und sollte Beobachtern in der Annahme bekräftigen er lese wahrhaftig. Ein weiteres Mal bemerkte er seinen Fehler viel zu spät.
Schon wieder war er mit Anlauf ins Fettnäpfchen getreten. Ein golden funkelnder Ring am Finger sagt nicht immer nur aus, dass man vergeben ist. Mitunter vermittelt ein solcher, dass man über ausreichend Mittel verfügte oder schlicht ein Dieb sei.
Kayden roch ihn, dennoch erschrak er besseren Wissens. Sein Bier ergoss sich in kleinen Kaskaden auf den Boden, wohin auch sein Buch viel.
Krachend schlug der Betrunkene seine schmuddelige Hand auf die Tischplatte und riss ihm mit der anderen die Kapuze vom Kopf.
Speichel troff diesem von den Lippen, als er lauthals verkündete, was er von Kayden hielt. »Isch mach disch nisch, Junge. Du bisch keiner von unsch. Geh, woher du kommscht, sonscht schnei isch dir die schunge raus.«
Obwohl sturzbetrunken, verfügte die Hand des Mannes über ungeahnte Kräfte. Wie in einem Schraubstock gefangen, behielt er seine Rechte umklammert und stierte auf den Ring, der matt schimmerte. Begierde stand in seinen Augen geschrieben.
Kayden sprang auf und zuckte gerade rechtzeitig zurück, als die freie Hand seines ungebetenen Widersachers vorschnellte, um ihm eine schallende Ohrfeige zu verpassen.
Ihm blieb nicht einmal ausreichend Zeit, sich zur Wehr zu setzen, als dieselbe Person ihm grob am Kragen packte. Gerüche nach Vergorenem und Fäulnis ließen ihm die Wangen aufblasen, als ein Würgereiz sich anschickte, ihm das wenige Bier und die gegessene Brotkruste, den Hals hinauf zu schicken. Der Säufer hielt sein Gesicht keine handbreit mehr von dem seinen entfernt. Der Blick auf bläulich schwarze Stumpen unvermeidbar.
Der Abend war im wahrsten Sinne des Wortes hinüber und Kaydens unwohles Bauchgefühl stieg ins unermessliche. Wo war nur seine geschwollene und aufgesetzte Art, wenn er sie am dringendsten benötigte?
Der bisweilen stille Beobachter rührte sich. Gemächlich erhob dieser sich und seine Pfeife deutete unmissverständlich auf ihn, als seine Lippen Laute formten. Ganz anders als erwartet und der Worte wohl gewählt. »Wie kommt jemand wie du an ein solches Wertstück? Wer wenn nicht ein Denunziant, wagt sich offen damit zu rühmen? Wir sollten ihn dir von den Fingern schneiden und dich zu jenen zurückschicken, die dich biederen Wissens hersandten.«
Lauthalse Zustimmung durchflutete den Raum und jemand aus den hinteren Reihen zog eine handlange Klinge blank. Er reckte diese aufmunternd nach vorn und Kayden wurde schroff mit dem Rücken auf die Tischplatte gedrückt. Die Augen weiteten sich und traten ihm weit hervor. Schweiß perlte auf seiner Stirn und ihm kollerte der geknetete Brotklumpen aus der Hand, als jemand seine Finger auseinanderbog.
Laut scheppernd fiel etwas zu Boden, was die Aufmerksamkeit aller im Raum auf sich lenkte. Serfem verharrte mitten in der Bewegung und hielt seine Rechte unter dem Umhang, wo er sein Schwert gekonnt verbarg. Neben ihm stand die Schankmaid mit hochrotem Kopf, die Fäuste in die Hüften gestemmt und Willens sich mit jedem zu messen, der sich ihr in den Weg stellte. Zu ihren Füßen rotierte ein eiserner Topf.
Ihre Lippen bewegten sich zu Worten, die wie ein Mahlsein grollten. Niemand rührte sich, noch erhob widersprechend die Stimme. Es war erstaunlich, welche Aufmerksamkeit eine einzelne Person auf sich zu lenken vermochte. »Seid ihr von Sinnen? Lasst den Jungen auf der Stelle los. Was soll der Unsinn?« Fauchte sie und trat vor. »Er.« Ihr Kin zucke voran. »Steht unter dem Schutz dieses Hauses. Meines Hauses.«
»Awer ...«
»Halts«, die übrige Formulierung schluckte sie herunter, hob mahnend den rechten Finger und fixierte den Betrunkenen. »Dieses Haus und diese Schenke gehört mir und du kannst jederzeit gehen, wenn dir etwas nicht passt.« Wie ein gestandener General schritt sie durch die mittlerweile stehenden und schob sich brüsk an jedem vorbei, der nicht sogleich zur Seite trat. Einen jeden bedachte sie mit eisernem Blick. »Tretet die Regelen meines Hauses mit Füßen und ich trete euch«, mahnte sie.
Serfem war sich vollends sicher, diese Person würde halten, was sie versprach, auch wenn es das Letzte wäre, was sie täte. Im Schutze ihrer Wände galt ihr Wort. Vermutlich würde nicht einmal der Wirt, der Mann an ihrer Seite, sich gegen sie stellen können, geschweige den Wollen.
Trotz, dass Breide die Situation im Griff zu haben schien, lockerte der Thulene seine Klinge, um sicherzugehen, dass diese bei Bedarf schnell zur Hand war. Beide würden hart in Bedrängnis geraten und unbestreitbar nicht ungeschoren davon kommen, aber er war zuversichtlich, Kayden in einem Stück heraushauen zu können.
»Ist sie nicht ein Prachtweib, meine Breide«, erkundigte sich der Wirt bei seinem blauhäutigen Gast und schob ihm breit grinsend einen gefüllten Krug zu. »Du bist anders als deine Artgenossen, so was spüre ich.« Er nickte ihm aufmunternd zu. »Geht aufs Haus.«
Serfem war verunsichert. Etwas was selten vorkam. Diese Schenke, diese Leute und das gelassene Verhalten des Schankmannes befremdeten ihn.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie diese Breide eine Hand beiseite schlug. Es war jene, die Kaydens grob auf der Tischplatte hielt. Einen weiteren Nahestehenden, der nicht sogleich zur Seite trat, schubste sie. Was diese Frau sich anmaßte, war bei seinem Volk unvorstellbar.
»Wie kommst du an diesen Ring und was willst du hier?« Ihre Stimme, vorhin noch freundlich und zuvorkommend, klang nun schneidend wie mahnend. Die Umstehenden grinsten hämisch, weil sie sich im Recht glaubten. Den mitleidigen Blick jedoch, der in ihren Augen zu lesen war, galt einzig ihm.
Sie sah hinüber zu ihrem Mann und hob das Kin. »Ruf die Streife. Wir haben einen Spitzel und Aufschneider gestellt«, grollte sie.
»Ich bin weder das eine noch das andere«, verteidigte sich Kayden und schaffte in einem günstigen Moment, seine Hand loszureißen. Eilig schloss er diese zur Faust und rückte mit den Fingern den Ring zurecht, dessen Siegel sich bedächtig gedreht hatte.
Ein metallisches Schleifen erfüllte den Raum. Der typische Klang, wenn eine Klinge aus der Scheide befreit wurde.
Hinter dem schützenden Ausschank weiteten sich die Augen des Wirtes und dieser sog tief und laut Luft in die Lungen. Derweil Serfem seitlich der Theke Aufstellung bezog und sich auf den Griff seines Schwertes stützte, nutzte Kayden die Gelegenheit sich vollends aufzusetzen. Alle anderen sahen unsicher hinüber zu dem Thulenen, der das Wort ergriff und Gelassenheit offerierte.
»Dieser Ring ist ein Erbstück seiner kürzlich getöteten Mutter und wir sind nur hier, weil Bauer Klarich uns diese Kaschemme empfohlen hat.« Er hob sein Schwert wie beiläufig an, legte es sich über den linken Unterarm und machte einen Schritt.
Bis auf Breide und dem verhüllten Gesellen schraken alle zurück. Kein Einziger schien reges Interesse, sich mit dem Hünen anzulegen. »Du tätest gut daran, den Jungen jetzt loszulassen.«
»Was wenn nicht«, warf der dunkel gekleidete Mann ein.
Die rechte Schulter kreisend begann Serfem zu lächeln und hob fragend die Brauen. »Ich glaube, ihr begeht dann einen nicht wieder gut zu machenden Fehler.«
Kaydens Mund öffnete sich sprachlos, hatte er mit einer andersartig klingenden Antwort gerechnet. Er wusste, dass sein Freund sich über aller Maße anstrengen musste, sich derart gelassen und wohlüberlegt auszudrücken. Er hatte viel zu lange ein Spiel gespielt, welches ihm oftmals die Worte stahl.
Breide runzelte die Stirn und schaute von dem Thulenen zurück zu Kayden. Sie wog die Konsequenzen auf und in ihrem Blick glommen unfassbar viele Fragen.
»Der da wäre, Blaubluter?« Das letzte Wort troff vor Hohn.
»Da du hier scheinbar der Einzige bist, der den Überblick hat, sollest du kapiert haben, dass wenn überhaupt ich ein Spitzel bin. Der Junge hätte alles falsch gemacht, was man verkehrt machen kann.«
Nicht nur die verhüllte Person schien zu überlegen, was der Thulene damit meinen möge. »Mmh. Absicht?«
»Du bist nicht der Erste, der sich in dem Burschen täuscht.«
»Du verfügst über einen wachen Verstand Soldat, der vorgibt, ein Handlanger zu sein. Ich werde dich im Auge behalten und das Gewicht deiner Worte prüfen«
Serfems Mundwinkel zuckten, als er seine Linke fordernd voraus hielt. »Wir gehen. Jetzt.«