Als ich mich auf das Bett setzte, blickte er zum Fenster herein.
Die orangenen Fransen, welche als haariger Kranz sein Gesicht umranden, schienen verfilzt und lange nicht mehr gewaschen.
Wie er sich in dieser schwebenden Position vor dem, eine ganze Wand einnehmenden, Fenster im dritten Stock hielt, wusste ich nicht. Vielleicht krallte sich seine "Hand" - der lange Arm an welchem sie sich befinden musste, langte aus meinem Blickfeld hinaus nach oben - in die kleine Abgrenzung auf dem Dach, welche es unterbinden sollte, dass sich nach dort verirrte Menschen versehentlich hinunter stürzten.
Ich wagte nicht, mich zu bewegen. Ebenso wie ich still, mehr sitzend als kniend auf meinem Bett ausharrte, blieb auch er unbeweglich.
Lediglich sein langer Schwanz, welcher mich an den eines Löwen erinnerte und mit dem er vielleicht das Gleichgewicht hielt, peitschte unaufhörlich hin und her.
Seine Beine waren oben abgespreizt, an den Knien allerdings eingeknickt, so dass sich seine Füße beinahe berührten.
Ich starrte ihm in die Augen und wagte es nicht, den Blick von ihm zu nehmen.
Es dürfte gegen halb zwei am Morgen gewesen sein. Der Himmel war dunkel und bewölkt, Sterne sah ich keine und auch kein Mond erhellte diese Nacht.
Einzig die kleinen Laternen, tief unter uns am Boden und die, zwar intensiv, aber eher nur begrenzt leuchtende Tischlampe neben mir ermöglichten es, dass ich ihn sehen konnte.
Seine Augen, die mich immer noch festhalten, waren schwarz und glänzend. Ein roter Punkt, der ziemlich mittig, etwas nach rechts tendierend in seinen Augen leuchtete, machte sie lebendig.
Kurze, aber tiefschwarze Wimpern grenzten seine Augen ab.
Er hatte keine Augenbrauen und seine Nase war so platt, dass es mir unmöglich erschien, durch sie atmen zu können.
Dennoch konnte ich kleine Wölkchen vor seinem Gesicht erkennen, die kurz entstanden, verschwanden, wieder neu entstanden und das gleiche Schauspiel wiederholten. Es sah aus als wären es Rauchwölkchen, welche aus seinen Nüstern traten, doch vermutlich war dies nur die kalte Luft, die durch seinen warmen Atem verändert wurde.
Der leicht geöffnete Mund zeigte lange Zähne, welche aussahen, als wären sie an den Enden angespitzt. Allerdings konnte ich nur diese Zähne erkennen, welche auf dem unteren Zahnfleisch festgesetzt waren.
Die Mundwinkel waren etwas nach unten geneigt und ich war mir fast sicher, dass man ihn hätte hecheln hören können, würde er den Mund zum atmen nutzen.
Ich kann nicht sagen, wie lang wir uns in dieser Position befanden. Ebenso wie mir dieser Moment unglaublich lang vorkam, hielt ich es nur für einen kurzen Augenblick, den ich auf meinem Bett inne hielt, bevor ich die Decke zurücklegen und mich der bleiernden Müdigkeit hingeben würde, welche mich erst kurz zuvor überfiel.
Sein Gesicht, diese groteske Maske, von der ich wie gebannt war, blieb vollkommen ruhig.
Doch da, plötzlich glänzten seine Augen noch mehr, das eine Auge - es sah beinahe so aus, als träte eine Träne aus ihm hervor. Ich war mir sicher; es sah nicht nur so aus. Es war eine Träne.
Langsam stahl sie sich aus seinem Auge hervor, schlich auf ihrem langsamen Weg seine pelzige Wange hinab.
Kaum zu sehen war sie, die sie nur eine feuchte Spur auf dem Fell hinterließ.
Er hat sich nicht bewegt, Keine einzige Regung war zu sehen, und dennoch kam es mir so vor, als wollte er mir etwas sagen.
Sprich! dachte ich. Sprich doch bitte! Aber weiterhin blieb er still.
Ich betrachtete gerade mit einem beinahe verzweifelten Gefühl seine großen, flach aufliegenden Augen, als er plötzlich weg war. Verdutzt blinzelte ich, drückte die Lider fest zu und hob sie wieder, doch nichts half. Er war einfach verschwunden.
Noch einen Moment, länger noch, hielt ich diese Position aus, bis ich schließlich in mir zusammensackte. Das eben gesehene hallte in meinem Kopf nach wie eine längst vergangene Erinnerung.
Doch diese Begegnung ist kaum eine halbe Stunde her.
Wie in Trance drehe ich mich auf dem Bett herum und blicke stumm in die Nacht.
In meinem Augenwinkel nehme ich eine flackernde Bewegung wahr. Wie als streckte etwas seine Hand nach dem Fensterglas aus, doch als ich mich in diese Richtung drehe, kann ich nichts mehr erkennen.
--
Dezember 2014