Neues Blut
Ich drehte mich um und sah dem jungen Mann, ich schätzte ihn auf 28,
hinterher. Er trug eine graue Jeans und dazu einen schwarzen langen
Mantel, um sich gegen die Kälte zu schützen. Beim Vorbeigehen hatte er
mir nicht ins Gesicht gesehen, sondern war mit geneigtem Kopf und dem
Blick auf die Straße gerichtet, an mir vorbeigerauscht.
Wenn
ich nicht stocksauer gewesen wäre, dann hätte ich ihn nicht weiter
beachtet und wäre nach Hause gegangen. Aber meine Gefühlslage sah heute
Nacht anders aus, als normal. Für mich war diese spontane Begegnung ein
Riesenglück, für ihn dagegen würde es ein Alptraum werden. Die Einwände
meines Gewissens missachtete ich, denn ich war zu aufgebracht, um an die
Folgen meines Handels zu denken. Mir ging es im Moment bloß um die
Lösung meines Problems, nämlich die Beseitigung meines unbändigen Zorns,
der mich nicht zur Ruhe kommen ließ. Ich ging den Weg zurück, dem Mann
hinterher. Dabei ließ ich immer sieben Meter Abstand, damit er sich
nicht verfolgt fühlte, schließlich waren wir die einzigen Menschen, die
hier herumliefen.
Aber
das schien gar nicht nötig zu sein, denn er hatte nicht bemerkt, dass
ich mich an seine Fersen geheftet hatte. Ich beschleunigte meinen
Schritt, da ich befürchtete, dass er jeden Augenblick in eines der
angrenzenden Häuser verschwinden könnte. Dann wäre meine Chance auf
Seelenfrieden für heute vertan.
Bald
hatte ich den schlanken, hochgewachsenen Mann eingeholt. Er wirkte noch
immer nicht verunsichert oder ängstlich. Vermutlich hörte er mich
nicht, denn ich schlich lautlos hinter ihm her. Als ich so nahe bei ihm
war, dass ich seinen Duft riechen konnte, schoss eine große Menge
Adrenalin durch meinen Körper und beflügelte mich. Ich hatte das Gefühl,
dass mir alles gelingen könnte. Das war der perfekte Moment.
Wie
aus dem Nichts ließ ich meinen rechten Arm hervorschnellen und stieß
ihn auf die steinernen Stufen eines Wohnhauses. Hart kam er mit den
Knien auf und ein hohes, schmerzerfülltes Zischen durchschnitt die
Stille. Es war der unmöglichste und unsicherste Ort für einen Überfall
auf einen wehrlosen und unschuldigen Menschen, den man sich überhaupt
vorstellen konnte, doch mir war es scheißegal. Die Wut musste raus und
zwar sofort. Der Mann richtete sich langsam auf und schaute mich panisch
und verwirrt an.
„Was…was
soll das? Bist du wahnsinnig?!“ Er rieb sich die Knie. Musste dieser
Idiot denn so laut brüllen? Ich gab ihm keine Antwort, schließlich
wollte ich meine kostbare Zeit nicht mit quatschen verbringen. Ich
packte ihn am Kragen, so fest, dass er nicht die Möglichkeit hatte zu
fliehen. Er öffnete den Mund, doch ich gab ihm nicht die Zeit zu
schreien oder noch irgendetwas zu sagen. Blitzschnell schlug ich ihm
immer und immer wieder mitten ins Gesicht, wie ein Boxer bei einem
Punchingball.
Dann
und wann versetzte ich ihm auch einen Schlag in seinen Bauch oder gegen
den Kopf. Aus seiner Nase und dem Mund floss das Blut wie in Strömen
heraus und befleckte sowohl seine Klamotten, als auch meine und erfüllte
die Luft mit Metallgestank.
Während
meines Angriffs unternahm er ständig neue Versuche mich von ihm
wegzustoßen, aber mein Griff war so hart wie Stahl. Irgendwann ließ er
die schwachen Armen sinken und hörte endgültig auf sich zu wehren.
Schweiß stand auf meiner Stirn und versuchte meine erhitzte Haut
abzukühlen. Da meine Hände ebenfalls feucht waren, verlor ich den Halt
an seinem Kragen.
Diesen
Moment nutzte er und wand sich aus meinem Griff. Ich war verblüfft,
dass er in seinem Zustand noch klar denken konnte. Tiefrote Bluttropfen
wurden durch die Luft geschleudert und landeten auf der Treppe und auf
der braunen Hauswand, als er davonraste. Seine Flucht ärgerte mich
gnadenlos.
Ich
hasste es, wenn mir etwas misslangt, vor allem bei dem, was ich
besonders gut konnte: Menschen Schmerzen zufügen. Wenn er glaubt, dass
er mir entwischen kann, dann hat er sich aber gewaltig geirrt. Niemand
entkommt James Roddick.
Mit
wild fletschenden Zähnen preschte ich ihm hinterher, doch nur wenige
Meter weiter blieb ich wie erstarrt stehen. Ich entdeckte ihn am Ende
der Straße unter einer Laterne.
Das
Rot seines Blutes stach mir direkt in die Augen. Die Hände hatte er
vors Gesicht geschlagen und waren komplett rot, sodass es aussah, als
trage er Handschuhe.
Aber
dieser Anblick schockierte mich nicht, sondern die Bewegung, die er
machte. Der Mann kramte in seiner Jackentasche und zog ein Handy hervor.
Er wollte die Polizei rufen, kein Zweifel. Dass musste ich unbedingt
verhindern, koste es was es wolle, denn ich konnte mir nicht Schlimmeres
vorstellen, als von der Polizei festgenommen zu werden.
Mit
Sicherheit würde Jericho Wind davon bekommen und dann könnte ich mir
direkt in den Kopf schießen und meinem Leben ein Ende setzten, denn ich
wäre sowieso dem Tod geweiht.
Fest
entschlossen nahm ich Geschwindigkeit auf und sprang im vollen Lauf auf
seinen Rücken. Mit einem lauten Krachen schlugen wir gemeinsam auf der
Straße auf. Ich kam so hart auf, dass mir die Luft wegblieb. Wieso war
ich so dumm und riskierte meine eigene Gesundheit für einen fremden
Mann, den ich doch eigentlich verletzen wollte?
Mein
Drang nach Selbstzerstörung war wohl doch stärker ausgeprägt, als ich
gedacht hatte. Unter mir vernahm ich plötzlich ein Jaulen und Jammern.
Mit meinem gesamten Gewicht lag ich auf seinem Rücken.
Das
Blut von seinem Gesicht war auf die Straße gespritzt und zeigte nun ein
merkwürdiges, geflecktes Muster und ähnelte Pinselstrichen auf einem
Gemälde, aber ich hatte kein Mitleid mit ihm. Meiner Meinung nach hatte
er noch nicht genügend gelitten. Ohne Umschweife fasste ich gewaltsam in
seine braunen Haare und schlug seinen Kopf ungehalten auf den Asphalt.
Dieser verfluchte Bastard schrie wie am Spieß, als sein Kiefer krachend
zu Bruch ging.
„Halt
deine Klappe, halt doch einfach deine Klappe“, raunte ich ihm ins
blutverschmierte Ohr. Es war lachhaft zu glauben, dass er auf mich hören
würde.
„Bitte
lass mich gehen“, flehte er, wobei ihm Blut aus dem Mund floss. Wie
erbärmlich. Schadenfroh grinste ich und leckte mir genüsslich über die
Lippen. Das ängstliche Flehen um sein Leben war Musik für meine Ohren.
Ich fühlte mich unbesiegbar und überlegen, denn ich hielt quasi sein
Leben in meiner Hand und ich war derjenige, der nach Lust und Laune
entscheiden konnte, ob ich es in meiner Hand zerquetschte, wie eine
wertlose winzige Fliege.
Bevor
ich mich jedoch festlegte, wollte ich noch weiter mit ihm spielen. Ich
stieg von ihm herunter und richtete meine Klamotten, damit ich
ordentlich aussah. Soviel Zeit musste sein.
Derweil
krümmte sich der Mann. Was für ein Schwächling. Wieso begegnete ich
niemals jemandem, der sich wehrte; der um sein Leben kämpfte? Zuerst der
Junkie und nun er. Waren sie zu schwach oder hängten sie nicht an ihrem
Leben? Kein Mensch war mir und meiner Stärke gewachsen, es gab keine
Herausforderung für mich. Nichts und niemand konnte mich aufhalten.
Ein
schmerzerfülltes und erschöpftes Stöhnen riss mich aus meinen Gedanken.
Sein Gejammer ging mir gehörig auf die Nerven. Mit all der Kraft, die
ich aufbringen konnte, trat ich ihm ein paar Mal gegen die Rippen. Wie
ein Wurm wand er sich hin und her. Angewidert wandte ich meinen Blick
ab. Ein schwacher leichter Wind wehte durch die Bäume und brachte die
Blättern zum Rascheln.
Eine
gecheckte Katze schlich geschwind und geschmeidig durch die Büsche.
Vermutlich war sie auf der Jagd nach Mäusen. Die Bewegungen des Mannes
vor mir wurden hektischer. Mit der rechten Hand versuchte er sich
aufzurichten. Reflexartig trat ich ihm auf die Hand und seine Finger
knackten.
„Ahhhhhhhhh!!!“
Sein
gellender Schrei betäubte meine Ohren. Ich wunderte mich, dass noch
kein Anwohner herausgekommen war, um zu sehen, wer hier solchen Lärm
veranstaltete. Entweder hatten hier alle einen guten Schlaf oder es
interessierte sie nicht, dass ein Mensch in Lebensgefahr war. Trotz
meines Glücks, dass mich niemand störte, regte mich sein Geschrei auf.
Aufgebracht schnaubte ich. Ich zog ihn mit einem Ruck nach oben und
schleuderte ihn gegen die nächste Hausfassade. Schützend hob er sogleich
die Hände vors Gesicht und drehte sich zur Wand. Das Blut war
verschmiert und klebte beinahe überall an seinem Körper.
Der
Geruch war überwältigend und brachte mein eigenes Blut in Wallung. Ich
stellte mich ganz nah an den Mann heran und sog gierig den
unverwechselbaren Duft ein. Bei mir bildete sich eine angenehme
Gänsehaut.
Ich
legte meine Hände um seinen langen Hals und drückte gnadenlos zu. Ich
spürte sein schweres Schlucken und hörte das Röcheln aus seiner Kehle.
Jetzt hatte ich es in den Händen. Sein Leben. Längeres Zudrücken würde
seinen qualvollen Tod bedeuten. Wenn ich dagegen losließ, dann könnte er
in Ruhe weiteratmen und leben. Ich fühlte mich mächtig.
Ich
war in diesem kurzen Augenblick der Herr über Leben und Tod. Durch
meinen Übermut nahm ich bloß am Rande war, dass in einer der Häuser um
uns herum das Licht in der ersten Etage angeschaltet wurde.
Meine
ganze Konzentration gehörte ganz allein ihm. Er schien sich mit seinem
Schicksal abgefunden zu haben, denn er machte keinerlei Anstalten sich
zu wehren. Wie gesagt, keine Herausforderung. Ich persönlich hatte
absolut nichts gegen ein bisschen Action. Es war lange her, dass sich
ein Opfer tatkräftig gegen mich behaupten wollte. Na gut, geschafft
hatte es bisher noch keiner.
Doch der Versuch war es zumindest alle mal wert. Tja, man konnte leider nicht alles haben.
Ich
wollte mich gerade wieder meinem neusten Opfer zuwenden, als ich etwas
hörte, dass Panik in mir auslöste: Sirenen. Sirenen, die sich dieser
Straße, in der ich im Begriff war jemand zu töten, näherten.
Sofort
ließ ich den Mann los. Dieser sackte auf den Boden und blieb
bewegungslos liegen. Mist, es musste doch ein Anwohner die Polizei
gerufen haben. Hektisch blickte ich die Straße herab und sah blaues
Licht, welches langsam, aber sicher, auf mich zukam. Das konnte doch
nicht wahr sein. Ich war mit der unerwarteten Wendung dieser Situation
komplett überfordert und stand wie gelähmt an der Hauswand. Mein Puls
beschleunigte sich rasendschnell. Was sollte ich tun?
Das
Licht wurde heller und die Sirenen klingelten mir in den Ohren. Es gab
nur eine Möglichkeit, die in Frage kam: fliehen und zwar so schnell wie
möglich, egal wohin. Nach einem letzten herablassenden Blick auf den
verletzten Mann, nahm ich die Beine in die Hand und rannte; weg von der
Gefahr erwischt und eingesperrt zu werden.
Die
Umgebung rauschte wie ein unwirklicher Schatten an mir vorbei. Meine
Augen hielt ich starr geradeaus und ließ mich von nichts, aber auch gar
nichts ablenken. Ich rannte schon zehn Minuten, doch ich dachte nicht
daran langsamer zu werden oder stehen zu bleiben. Zu groß war meine
Angst vor möglichen Verfolgern. Erst, wenn ich zu Hause war, würde ich
mich sicher fühlen.
Der
Lauf strengte mich nicht an, sondern er beruhigte mich und ließ mir
Zeit meine Gedanken zu ordnen. Die hohe Geschwindigkeit, die ich so sehr
liebte, erinnerte mich an die Fahrten mit meiner Suzuki. Mir wurde auf
einen Schlag bewusst, wie sehr mir das Gefühl von Freiheit und
Schwerelosigkeit fehlte. Ich vermisste auch einen fahrbaren Untersatz,
mit dem ich ohne Probleme von A nach B kam. Ich hatte die Schnauze voll
von den langen Fußwegen und den Taxifahrten.
Nachdem ich eine größere Kreuzung überquert hatte, blieb ich erstmal stehen, um mich zu orientieren.
Ich
kannte die Straße. Hier hatte ich mich mit Mickey vor unserem
gemeinsamen Auftrag getroffen. Von hier aus war es nicht mehr weit bis
zu meiner Wohnung, dennoch machte ich eine Pause. Ich setzte mich an den
Straßenrand und starrte in den weiten, wolkenverhangenen Himmel.
Während
meiner Flucht vor der Polizei hatte ich gründlich über meinen spontanen
und überstürzten Wutausbruch nachgedacht. Die bittere Erkenntnis war,
dass ich ein Riesenidiot war, der seine Gefühle nicht unter Kontrolle
hatte. Wie war ich auf die Idee gekommen einem unschuldigen Menschen
heimtückisch aufzulauern und beinahe tot zu schlagen?
Ich
war tatsächlich ein widerliches, nach Blut dürstendes Monster, was
Holly bereits von Anfang an gewusst hatte. Und ich hatte geglaubt, dass
ich mich bessern könnte. Was für eine Selbstüberschätzung. Ich war nicht
dazu fähig eine Wandlung von 180 Grad zu vollziehen und dass in drei
Monaten. Niemand konnte das.
Das
hätte mir schon vorher klar sein müssen, doch Holly hatte mir so viel
Vertrauen und Zuversicht geschenkt, dass ich Hoffnung auf eine
Veränderung geschöpft hatte. Ich hatte mich die letzte Zeit bemüht. Es
war ja nicht so, dass ich es nicht versucht hätte, aber aus dem
Teufelskreis kam ich nicht heraus. Nicht einmal mit Hollys Hilfe.
Das
Töten von Menschen war mein Schicksal, dem ich nicht entkommen konnte,
also musste ich es hinnehmen. Ich hatte es in den vergangenen Jahren ja
auch ohne Gewissensbisse geschafft, doch der entscheidende Unterschied
zwischen heute und damals war eindeutig Holly. Ich musste aber auch
zugeben, dass der Adrenalinstoß von eben meiner Seele ziemlich gut getan
hatte. Ich war in meinem Element gewesen. Das Blut, die Schläge, der
Duft, einfach alles war traumhaft schön gewesen. Mein Gesicht zierte ein
verträumtes Lächeln. Meine Gefühle drifteten plötzlich auseinander. Auf
der einen Seite stand das Gute und mein neu erworbenes Gewissen, das
mir sagte, dass Holly Recht hatte und dass es falsch war, was ich tat,
schließlich brachte ich meinen Opfern bloß Unheil und Tod.
Dagegen
stand das abgrundtief Böse, das in meiner Seele saß und sich tief
hineingefressen und verwurzelt hatte. Momentan kämpften die beiden
Gegensätze miteinander und rangen um die Oberhand meines Inneren.
Das
Gute war dabei stärker, als ich vermutet hatte und ließ sich nicht so
leicht vom Bösen verdrängen. Das lag eindeutig an Hollys Einfluss. Ohne
sie würde diese Seite gar nicht existieren und das Menschen mordende
Monster hätte seine Krallen noch immer in meinem Herz und meinen
Verstand vergraben.
Während
ich in Gedanken versunken war, tauchte auf der Kreuzung ein
Polizeiwagen auf. Seine Scheinwerfer blendeten mich, als diese mich
direkt anstrahlten. Ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, sprang ich
auf und lief nach links. Vermutlich hatte ich mit meiner panischen
Flucht die Aufmerksamkeit der Polizei auf mich gezogen, doch ich wollte
es nicht riskieren, dass sie mir Fragen stellten, weil ich ganz alleine
an der Straße saß und dass auch noch mit blutbesprenkelter Kleidung.
Und
tatsächlich ertönte eine Minute später die schrillende Sirene und die
hellen Scheinwerfer tauchten unter meinen Füßen auf. Das hieß, dass der
Wagen in wenigen Sekunden neben mir sein würde. Dies musste ich
verhindern. Ich steckte meine letzten Kraftreserven in meine Beine und
rannte blitzschnell die Straße entlang, aber natürlich konnte ich den
Wagen mit seinem Motor nicht abschütteln.
Meine
letzte Chance, einer Haftstrafe zu entgehen, war ein Ausweichmanöver in
die nächsten Seitengassen. Diese waren für gewöhnlich so verwinkelt und
eng, dass ich die Polizei mit Leichtigkeit abschütteln konnte. Als ich
an der nächsten Ecke rechts abbog, stand ich in einer weiteren
menschenleeren Straße. Ich rannte weiter und schlug immer häufiger neue
Wege ein, um es der Polizei zu erschweren mich zu finden. Irgendwann
landete ich schweißgebadet und schwer atmend in einer kleinen Gasse, die
mit Müll nur so voll gestopft war.
Alte
Pappen und Stapel von Zeitungen bedeckten den Asphalt und zwei dicke
Ratten huschten zwischen den Mülltonnen und den kaputten und verdreckten
Flaschen hindurch. Mein Herzschlag pochte mir in den Ohren und machte
mich beinahe taub. Vor Aufregung zitterte ich und meine Knie waren
weich. Ich lehnte mich an eine vergilbte Hauswand und atmete tief durch.
Die kühle Luft brannte mir unangenehm in der Lunge.
Trotz
meiner angeschlagenen Gesundheit war ich der Polizei entkommen. Die
Sirenen hatte ich schon nach kurzer Zeit nicht mehr gehört. Wie
vermutet, waren sie mir mit ihrem klobigen Wagen nicht hinterhergekommen
und dass war auch gut so. Meine Aufregung konnte ich nur schwer
unterdrücken.
Niemals
war mir die Polizei, der Arm des Gesetzes, so nahe gekommen, wie heute.
Die Angst, geschnappt und weggesperrt zu werden, hatte mich im
allerersten Augenblick gelähmt. Wie konnte ich bloß so unvorsichtig
sein? Ich hatte während meines Angriffs auf den Mann alles um mich herum
vergessen, selbst die Anwohner. Meine Nachlässigkeit hätte ich beinahe
mit meiner Freiheit bezahlt.
Es
war kaum auszudenken, wie ich in einer winzigen Zelle hockte, die ich
mit Anderen teilen müsste, mit einer Gemeinschaftstoilette und harten
Brettern, die man kaum als Betten bezeichnen konnte. Aber die
schrecklichste Vorstellung war nicht die Ausstattung der Zelle, sondern
die Tatsache, dass ich Holly nie mehr sehen würde, denn sie würde
niemals bei mir bleiben, wenn ich in den Knast musste. Dann müsste ich
auf ihre strahlend blauen Augen, ihre zarten Lippen und die süßen
Sommersprossen verzichten. Mich grauste es vor dieser Vorstellung und
meine Muskeln krampften sich zusammen. Urplötzlich traten mir heiße
Tränen in die Augen, aber ich wischte sie mit dem rechten Handrücken
hastig und ungeschickt fort.
Das
Gefühl von Tränen auf meiner Haut hatte ich seit 13 Jahren nicht mehr
gespürt. Das letzte Mal war ich fünf Jahre alt gewesen. Damals war ich
von einem zu hohen Baum herunter gesprungen und hatte mir den linken Arm
gebrochen. Selbst, als meine Eltern gestorben waren, hatte ich nicht
eine einzige Träne vergossen. Auch nicht bei ihrer Beerdigung.
Was
war also bloß los mit mir? Es konnte doch nicht sein, dass mir alles
zuviel wurde. Mir war schon eindeutig Schlimmeres in meinem kurzen Leben
widerfahren.
Ich
hasste es zu weinen. Es war ein Zeichen von Schwäche und entwürdigte
mich. Aber ich konnte Tränen allgemein nicht leiden, vor allem, wenn sie
von Holly kamen. Wenn mir jemand gegenüberstand, der traurig war und
weinte, dann war ich überfordert und fühlte mich meist hilflos.
Ein
fauliger Gestank stieg mir plötzlich in die Nase und unterbrach meine
Gedanken. Ich hatte keine Ahnung, woher dieser Geruch kam, doch ehrlich
gesagt wollte ich dass auch nicht so genau wissen. Mir ging es miserabel
und ich wollte nur noch eins, nach Hause. Also machte ich kehrt und
ging zurück zu der Kreuzung, wo ich eben pausiert hatte.
Nach
einer Dreiviertelstunde schloss ich die Tür zu meiner Wohnung auf. Mich
erfüllte ein überwältigendes Glücksgefühl. Ich war endlich zu Hause.
Meinen geschwächten Körper konnte ich kaum noch aufrechthalten. Ich
hatte mir zu viel für einen Tag zugemutet.
Ich
schlenderte in die Küche, knipste das Licht an und setzte Kaffee auf.
Während die braune Flüssigkeit in die gläserne Kanne lief, zog ich mir
das Hemd und die Hose aus und warf sie im Badezimmer in die schwarze
Badewanne. Dann stellte ich mich unter die Dusche und drehte mit meinen
Händen, an denen verkrustetes Blut haftete, das Wasser auf. Die Wärme
tat mir gut und kribbelte angenehm auf meiner kalten Haut.
Dichter
Dampf stieg in die Luft und legte sich auf meine Haare. Vorsichtig und
behutsam verteilte ich das, nach Mandelöl riechende, Duschgel auf den
schon halbwegs verheilten Abschürfungen, die meinen Körper entstellten.
Nach zehn Minuten war ich fertig und hüllte mich in ein Handtuch. Vor
dem Spiegel kämmte ich mir die nassen Haare und betrachtete mich. Unter
meinen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet, da ich in den letzten
Tagen so gut wie kaum geschlafen hatte. Die stahlgrauen Wirbel sahen
irgendwie merkwürdig aus. Ungewohnt. Es schien, als hätten sich ihre
Position und ihre Breite verändert, aber dass konnte unmöglich sein.
Mein ganzes Leben lang hatte sich die Farbe meiner beängstigenden Augen
kein bisschen verändert. Vermutlich war es pure Einbildung.
Automatisch
schüttelte ich den Kopf, um diese lächerlichen Gedanken loszuwerden.
Ich schlurfte in die Küche zurück und schüttete den Kaffee in eine große
Tasse. Gierig trank ich die dunkle Flüssigkeit. Ich füllte die Tasse so
oft, bis ich die gesamte Kanne geleert hatte. Die Menge an Koffein
ermüdete mich, statt mich wach zu halten. Genüsslich gähnte ich.
Mit
schweren Lidern machte ich mich auf den Weg zu meinem Bett. Als ich
mich hinlegte, fühlte sich die Matratze jedoch unbequem und hart an. Sie
war nichts im Vergleich zu Hollys Matratze. Zwar war sie durchgelegen
und etwas älter, aber viel bequemer, als meine Eigene. Erschöpft stöhnte
ich und legte das Kissen unter meinen Kopf. Mit einem Bild Hollys vor
meinen Augen schlief ich ein.