[Sicht: Tyler]
…Ich krieg von dir niemals genug
Du bist in jedem Atemzug…
Ich sehe ihn an und mein Herz setzt einen Schlag aus. Ich bin vor körperlicher Anstrengung schweißnass. Beuge mich zu ihm hinunter. Hauche ihm einen Kuss auf die Lippen. Ich kann ihn in mir pulsieren spüren. Mit demselben kräftigen Rhythmus wie sein Herzschlag unter meinen Händen. Seine Fingerspitzen tanzen über meinen Rücken. Malen Muster auf meinem rechten Schulterblatt.
…Alles dreht sich nur um dich
Warum ausgerechnet ich?!...
Er hält in seiner Bewegung inne und ich sehe ihm an, wie viel Selbstbeherrschung es ihn kostet, nicht in seiner Tätigkeit fortzufahren und von unten in mich zu stoßen. Seine Augen huschen über meinen Oberkörper, meinen Hals. Er streckt die Hand aus und fährt die Konturen meines Gesichtes nach. Mit der Leichtigkeit eines Windhauchs. Kaum eine Berührung. Ich beobachte, wie sich seine Lippen leicht teilen. Und ein Ausdruck der Ungläubigkeit legt sich auf seine Gesichtszüge. Als wäre er erstaunt über das, was wir tun. Als hätten wir es noch nie getan. Als wäre es nicht schon längst zur Sucht und er meine persönliche Droge geworden.
…Zähl die Stunden, die Sekunden
Doch die Zeit scheint still zu stehen…
„Was machst du nur mit mir?“, flüstert er. Seine Stimme klingt dabei so wundervoll rau. Unsere Blicke treffen sich. Ich kann hinter seinen Seelenspiegeln die Gedanken rasen sehen. Alles um uns gleicht einer verschwommenen Masse. Ich höre meinen eigenen Atem in meinen Ohren rauschen. Ich kann in seinen dunklen Augen den Herzschlag pulsieren sehen, den ich in mir spüre. „Ich liebe dich, Josh.“ Ich höre das Beben in meiner Stimme noch bevor ich den Satz beendet habe. Es ist ein verräterisches Beben. Denn ich weiß, dass nichts zurückkommen wird. Schon lange nicht mehr.
…Hab mich geschunden, gewunden
Lass mich gehen- was willst du noch?!...
Er reißt uns mit einem einzigen Ruck herum, sodass ich nun unter ihm liege und zu ihm aufblicke. Ich schlinge meine Arme um seinen Nacken. Ziehen ihn zu mir herunter und verwickle ihn in einen Kuss. Meine Augen brennen, also schließe ich sie. Und ich überspiele wie sehr es mich verletzt, wieder und wieder zurückgewiesen zu werden. Schon so lange.
Etwas in mir verkrampft sich so schmerzhaft, dass ich schreien will. Aber ich sage nichts und bleibe stumm.
…Willst du meine Tage zählen?!
Warum musst du mich mit meiner Sehnsucht quälen?!...
Ich sehe den Höhepunkt auf mich zurollen, wie eine Welle aus allen Farben von Gottes schöner Erde. Und ich möchte weinen vor Glück. Und ich möchte schreien vor Glück. Und ich will ihm sagen, wie sehr ich ihn liebe. Und ich wünsche mir so sehr, diese Worte aus seinem Mund zu hören. Ein letztes Mal. So wie damals, als er mir seine Liebe gestand. Was ist passiert?! Was, verdammt nochmal, ist los mit dir?! Ich liebe dich, Josh! Ich liebe dich! Wieso hörst du mich nicht schreien?!
…Deine Hölle brennt in mir
Du bist mein Überlebenselixier…
Seine Stöße werden schneller und mit jedem Mal kraftvoller. Und ich spüre, wie er seine Arme um mich schlingt und mich festhält. Ich inhaliere seinen Duft. Und ich fühle seinen Herzschlag an meinem, als sich alles an ihm verkrampft und er über die Klippe springt und mich mit sich reißt. Ich schreie meine Lust hinaus in die unendlichen Weiten des Universums, während ich in der Hölle zu vergehen scheine. Weil mir plötzlich klar ist, was mit der Hölle gemeint ist. Auf einmal lichtet sich der Nebel und ich kann so weit sehen. Bis zur Küste und über die Klippen hinaus auf das weite Meer. Blau wie die Adria.
…Ich bin zerrissen
Wann kommst du meine Wunden küssen?!...
Ich nehme Joshs schweren Atem neben mir nur halb wahr. In meinem Kopf formen sich Gedankensprünge zu einem Bild. Fügen sich zusammen wie Teile eines Puzzles. Ich höre, wie sich Josh neben mir bewegt. Das Bettzeug raschelt. Ich spüre, dass er mich ansieht. Ich weiß mit welchem Blick er es tut. Und es schmerzt zu wissen, dass sich mein Schmerz in seinem Blick widerspiegelt, sobald ich ihn ansehe.
Ich spüre Joshs kühle Finger an meinem Hals. Sie streichen vorsichtig über meine Kehle nach oben, an meinem Ohr vorbei über meine Wangenknochen. An meinen Lippen bleiben sie haften. Ich drehe meinen Kopf langsam in seine Richtung. Seine Hand rutscht dabei ab und bleibt neben meinem Gesicht auf dem hellen Leintuch liegen.
…Out of the dark- hörst du die Stimme, die dir sagt
Into the light- I give up and close my eyes
Out of the dark- hörst du die Stimme, die dir sagt...
„Du musst gehen.“ Er sagt es mit Nachdruck. Und so sehr ich diese Worte erwartet habe, so sehr habe ich gehofft, sie heute nicht hören zu müssen. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, er hätte nichts gesagt. Ich stelle mir vor, wir könnten normal sein. Das ist doch das was alle wollen. Normalität. Das ist das was in der Bibel steht. Sollte man sich denn dann nicht daran halten?!
...Into the light- I give up
And you waste your tears to the night...
„Warum?“, frage ich so leise, dass ich schon beinahe glaube, dass er es nicht gehört hat. „Das weißt du ganz genau.“, flüstert er zurück und sieht mich dabei mit einer Mischung aus Verwunderung und Schmerz an. Weil es die Frage ist, die ich noch niemals gestellt habe. Ich habe bis jetzt alles in mich hineingefressen wie ein Scheuendrescher. Ich bin abgenutzt und kaputt. „Ich will es hören.“, sage ich. Ich beobachte ihn dabei, wie er die Bettdecke zurückschlägt und aufsteht. Durch das Fenster fällt trübgraues Tageslicht. „Ich bin verlobt.“, höre ich ihn sagen. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, als er das Fenster öffnet. Der Strand ist menschenleer. Niemand fährt um diese Jahreszeit an die See. „Ich weiß.“, sage ich. „Aber Joan hat damit nichts zu tun.“ „Und wieso bist du dir da so sicher?“ Ich höre die Bitterkeit heraus, die als Unterton mitschwingt. Und ich würde ihn gerne in den Arm nehmen, aber ich weiß, dass er es nicht zulassen würde.
…Ich bin bereit, denn es ist Zeit
Für unseren Pakt über die Ewigkeit…
„Weil Joshua und Joan Dun viel zu perfekt klingt.“, sage ich und ein schwaches Lächeln umspielt meine Mundwinkel bei dem Versuch zu vertuschen, WIE perfekt das in meinen Ohren klingt. Und um den Neid zu verbergen, der sich durch meine Venen frisst und mich von innen heraus vergiftet. Josh dreht sich zu mir. „Ach, findest du?! Ich sage dir etwas, Tyler. Du weißt nichts, absolut nichts darüber, wie es mir geht!“, fährt er mich an.
…Du bist schon da, ganz nah
Ich kann dich spüren…
„Dann rede doch endlich mit mir!“ „Du hörst nicht zu!“ „Ich bin hier. Ich höre dir zu. Ich bin hier. Siehst du mich nicht?!“ „Du hörst nur das, was du hören willst, Tyler.“
Ich komme mir auf einmal so klein und hilflos vor. Ich sitze in diesem viel zu großen Bett, in diesem viel zu unpersönlichen Ferienhaus. Draußen treibt das Meer graue Wellen gegen schroffe Felsen. Durch das offene Fenster weht kühler Herbstwind in das Zimmer und lässt mich erschaudern. „Wieso sagst du das?“, frage ich. „Weil ihr alle nicht zuhört! Weil ihr alle nichts seht!“ Ich kann dabei zusehen, wie Joshs Gesichtszüge entgleisen, bis sie einer schmerzverzerrten Maske gleichen.
…Lass mich dich verführen, lass mich dich entführen
Heute Nacht zum letzten Mal, ergeben in deiner Macht…
„Weißt du was in der Bibel steht, Tyler?“, seine Stimme klingt plötzlich brüchig und unsicher. Ich nicke. „Die Bibel sagt: Du sollst nicht bei einem Mann liegen, wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel.“ Und plötzlich begreife ich das gesamte Ausmaß dieser Worte in ihrer vollen Bedeutung. „Weißt du, wie es sich anfühlt, täglich die Liebe seines Lebens sehen zu müssen und ihm niemals sagen zu dürfen, wie sehr man ihn liebt? Weil es eine Sünde ist. Weil ich dadurch zum Sünder werde.“ Er sieht mich aus sturmtosenden Augen an. „Aber das bin ich schon längst, nicht wahr?“
…Reich mir deine Hand, mein Leben
Nenn mir den Preis…
-Flashback-
Er steht so nahe bei mir, dass wir im Licht der untergehenden Sonne von Weitem wie eine Person wirken müssen. „Nach dem Auftritt letzte Woche, auf dieser Aftershowparty, Tyler, hätte ich dich am liebsten geküsst.“ Mein Herz setzt einen Schlag aus. Seine freie Hand greift nach meiner Linken, ohne diese Umarmung zu lösen. Er führt sie an seinen Mund. Senkt dabei den Blick. Als seine Lippen meine Finger berühren, sieht er mir unverwandt direkt in die Augen. Und in mir explodiert ein wahres Feuerwerk an Gefühlen. […] „Ich habe mich in dich verliebt, Tyler.“ „Was?“, flüstere ich. „Ich liebe dich, Tyler, hörst du?“
-Flashback Ende-
…Ich schenke dir gestern, heute und morgen
Dann schließt sich der Kreis…
„Dieser ganze Bibelscheiß ist mir völlig egal, verstehst du, Tyler?! Und es ist mir auch egal ob ich in die Hölle käme, solange du hier bei mir bist. Denn du…du kämst nicht in die Hölle. Für dich würde Gott eine Ausnahme machen.“ Ich bemerke, wie mein Puls in die Höhe schnellt und mein Herz einen Schlag lang aussetzt. „Verstehst du?! Das ist mir alles egal. Aber meine Familie ist mir nicht egal. Und glaub mir, ich habe versucht ihnen zu sagen, dass ich mich zu Männern hingezogen fühle. Und ich wollte ihnen sagen, dass ich mich verliebt hatte. Damals mit sechzehn. In meinen besten Freund.“ Er sucht meinen Blick und ich habe das Gefühl zu fliegen. Mit der Gewissheit, eine Bruchlandung hinzulegen und mir beide Flügel zu brechen. Tränen lösen sich aus meinen Augenwinkeln und laufen stumm meine Wangen hinab. Die Tränen, die sich schon so lange in mir angestaut haben. Und es fühlt sich wie eine Erlösung an, weinen zu dürfen. Weinen zu können.
…Kein Weg zurück
Das weiße Licht rückt näher, Stück für Stück…
„Ich habe auf einen passenden Augenblick gewartet. Und dann ist mir aufgefallen, dass meine Mutter und mein Vater für Homosexuelle nur bissige Bemerkungen und Abscheu übrig hatten. Da gab es diesen Fall, der an das Staatsgericht ging. Die Medien haben ihn damals breit getreten. Da ging es um einen Homosexuellen, der seinen Vater erschossen hatte. Und seit das Wort „homosexuell“ in Bezug auf diesen Fall in den Medien gefallen war, hat es bei meinen Eltern keine Rolle mehr gespielt, dass der Vater seinen eigenen Sohn jahrelang sexuell missbraucht hatte.
Diese Menschen, die so sind wie ich, sind für meine Eltern keine Menschen, sondern eine Ausgeburt der Hölle…“ Er bricht ab und fährt sich mit der Hand über das Gesicht. „Scheiße!“, höre ich ihn zischen, bevor er neben dem offenen Fenster an der Wand entlang zu Boden rutscht.
…Will mich ergeben
Muss ich denn sterben um zu leben?!...
„Ich liebe dich! Ich liebe dich, Tyler! Und ich kann es noch nicht einmal zeigen. Ich darf es nicht zeigen. Ich kann nicht ohne dich leben. Das kann ich einfach nicht.“ Ich höre ihn aufschluchzen, während er den Kopf in den Armen vergräbt. „Ich habe solche Angst, dass ich mir etwas antun könnte, wenn ich mit Joan verheiratet bin und ich dich nicht mehr sehen kann. Ich habe Angst dir zu sagen, dass ich dich liebe, weil ich weiß, dass es das noch schlimmer machen wird.“
…Out of the dark- hörst du die Stimme, die dir sagt
Into the light- I give up and close my eyes
Out of the dark- hörst du die Stimme, die dir sagt...
„Und irgendwann ist dann dieser verrückte Tag gekommen, an dem ich gemerkt habe, dass mein Leben auf nichts aufgebaut ist.“ Er hebt den Kopf und sieht mich aus rot geschwollenen Augen an. Seine Tränen sind versiegt, aber ich kann in seinen Augen sehen, dass er sich ob seines Gefühlsausbruches schämt. „Dein Leben ist nicht auf nichts aufgebaut.“, flüstere ich und stehe auf. Der Boden unter meinen Füßen schwankt. Mir ist übel, als ich vor Josh in die Hocke gehe. „Ich bin da.“, sage ich. „Ich bin da, Josh. Und ich lass dich nicht los. Egal, wie lange du da in der Luft hängen bleibst. Alles was ich will, ist, dass du glücklich bist. Völlig gleich, welche Entscheidung du triffst.“
…Into the light- I give up
and you waste your tears to the night…
Alles fühlt sich plötzlich so leicht an. Es ist, als blicke man lange genug zu den Sternen empor, bis man das Gefühlt hat, zu fliegen. „Du musst gehen, Tyler. Du musst hier weg…“, flüstert er. Da ist sie. Meine Bruchlandung. Ich pralle mit voller Wucht gegen Beton. Ich höre, wie mein Herz zerspringt. Und ich höre das leise Knacken. Sehe den Riss in meinem Schloss aus Glas zu spät. Es wird alles in sich zusammenstürzen und ich kann nichts dagegen machen. „Du musst gehen, bevor du dich komplett in mir verlierst, so wie ich es in dir getan habe. Ich habe mich nie wieder gefunden. Ich will nicht, dass du zerbrichst.“
Wie fühlt sich ein Schock an? Ich bekomme keine Luft! Alles um mich dreht sich. Mein Herz verkrampft sich in unregelmäßigen Abständen zu einem Klumpen aus Beton und Glassplittern. „Das bin ich doch schon längst.“, hauche ich.
…Out of the dark- hörst du die Stimme, die dir sagt
Into the light- I give up and close my eyes
Out of the dark- hörst du die Stimme, die dir sagt...
„Tyler…ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr…“ Er presst mich an sich, als wolle er mich nie wieder loslassen. „Das ist nicht das Ende. Das ist der Anfang. Du musst mir vertrauen. Es ist einfach noch nicht an der Zeit.“ Ich verstehe die Worte nicht, die durch meine Ohren in meinen Kopf sickern. Irgendetwas daran klingt so furchtbar falsch und gelogen. „Bitte, Tyler…“ Seine Stimme klingt seltsam unterdrückt und weinerlich. „Bitte geh jetzt, bevor ich dich nicht mehr loslassen kann.“ Also stehe ich auf und schnappe mir meine Sachen. Diese Gewissheit, dass jetzt alles vorbei ist, lässt mich panikartig hinter mir lassen, was ich so sehr liebe. Als ich das Haus verlasse höre ich Joshs heiseren Aufschrei von den Wänden widerhallen. Es ist der Schmerz über den Verlust seines Herzens, das ich ihm mit jedem Schritt weiter aus der Brust reiße.
…Into the light- I give up
and you waste your tears to the night…