Kerzenschein beleuchtete den Wohnraum und die Strahlen des aufgegangenen Mondes brachen sich im milchig schlierigen Glas der Fenster. Im Raum, über dem Kamin, hing ein prächtig aussehendes Schwert, welches Klarich jedoch niemals abnahm oder es dazu kommen ließ. Nicht einmal um es aus nächster Nähe bestaunen gar entstauben zu dürfen. »Es ist reine Zierde und bleibt, wo es ist. Wehe jenem ...«, hallten nachhaltig seine mahnenden Worte. Es war eine kunstvolle Nachbildung des Echten und in monatelanger Kleinstarbeit seines eigenen Vaters entstanden.
Diese Nachahmung jedoch sah alles andere als nach Zierrat aus, würden seine Bestandteile demnach nicht überwiegend aus Holz, Harzen, Metallstreifen und hauch dünnem Gold bestehen. Von der Länge her einem Anderthalbhänder, welches ein- als auch mit zwei Händen kraft- und schwungvoll geführt werden konnte. Die Blutrinne verlief ungewöhnlich gezackt und die Parierstange wurde bei seiner Entstehung zu zwei sich gegenüberliegende Flügel geformt. Das Mittelstück zierte den Kopf eines Greifvogels. Das Endstück des geschätzten 30cm langen Griffes stellte eine Stilisierung eines Vogels dar und dürfte im gesamten etwa fünf Pfund wiegen.
Veyed entging bei den abendlichen Erzählungen Alrics, denen alle samt lauschten, keinen Augenblick der flehende Ausdruck in dessen Augen zu jenem. Irgendetwas schien ihn an dieser Zierde schmerzhaft zu erinnern. Er hing nicht nur an seinen Lippen, sein Blick erfasste auch den steten Wechsel hinüber zum Kamin.
***
Es duftete nach frischgebackenem Brot und deftige Pfannkuchen lagen allen schwer im Magen. Alna trug benutztes Geschirr zum Spüleimer und warf Kayden einen Lappen zu, dessen Aufgabe es war das gespülte Gut ordentlich zu trocken. Er verdrehte die Augen und sein Mund öffnete sich zu einer stummen Klage. Noch bevor seine Mutter zu einer passenden Antwort anzusetzen vermochte, änderte er seine Taktik. »Onkel, wohin gehst du immer wieder und warum bleibst du nicht bei uns? Dir gefällt es hier doch viel besser, oder?«
Alric stahl sich ein Lächeln auf die Lippen und zwinkerte mit dem rechten Lied. »Da hast du recht und deine Ma' backt die besten Pfannkuchen weit und breit.« Er rieb sich mit beiden Händen den übertrieben ausgestreckten Bauch. Klarich prustete und klatschte vergnügt. Alna stemmte mahnend die Fäuste in die Hüften und verzog in Wellen die Brauen. »So meinst du? Mein Essen macht also Fett, ja? Na warte.« Sie warf ein weiteres Putztuch. Dieses entnahm sie allerdings dem Spüleimer.
Zur allgemeinen Erheiterung fand das durchnässte Etwas jedoch ein gänzlich anderes Ziel.
»Ma'!«, brüskierte sich Veyed, der sich den Lappen vom Gesicht wischte.
»Entschuldige Großer. Mein Verschulden aber du saßt halt mehr als günstig.« Er knuffte ihn an der Schulter. »Ich schulde dir was.«
»O ja«, rief Kayden vergnügt und zeigte feixend auf seinen Bruder.
»Mir schuldet er was, nicht dir du Knirps.« Er zuckte angeberisch mit dem rechten Nasenflügel und wendete den Blick. Er maß seinen Onkel erwartungsvoll.
»Nun?«
Er schien um Jahr gealtert, als er seine Worte zurechtlegte. »Du hast uns die letzten Male, in welchen du uns trainiertest, immer wieder Andeutungen gemacht. Dieser Ort, dieses Land, das Gehölz ... wer stand dahinter? Ich meine, wem gehörte all das hier, bevor Thule einmarschierte? Von welchen Vögeln sprachst du und warum schaust du immer ...«, mit dem Kinn deutete er hinüber zum Kamin. »... zu Großvaters Schwert?«
In Kayden brodelte es, er mochte nicht ausgebuhlt werden, schon gar nicht so. Seine Worte brachen ungehemmt aus ihm hinaus und zeigte mit ausgestreckter Hand auf seinen Bruder. »Erklär dem Neunmalklugen doch lieber, wieso er strohblondes Haar hat und ich Braunes. Ma' und Pa' haben auch keine Blonden. Ist er etwa bei den Hühnern geboren? Oder hat ihn jemand vor der Tür vergessen?« Beleidigt verschränkte er die Arme, stellte sich absichtlich abseits und streckte ihm wie ein ungezogener Bengel die Zunge heraus. Die Erkenntnis, dass er etwas aussprach, was nicht hätte in Worte gefasste werden sollen erkannte er ebenso schnell, wie er diese ausspie. Augenblicklich wechselte er seine Haltung. Seine Gesichtszüge erschlafften und die Augen weiteten sich erschrocken. Seine Arme vielen schlaff herab und seine Finger nestelten nervös am leblosen Lappen.
Die Heiterkeit brach abrupt. Entsetz dreinschauende Gesichter waren auf ihn gerichtet und man konnte den schweren Kloß, den Klarich hinab würgte, beinahe rutschen hören. Alric wechselte vielsagende Blicke mit seinem Vetter, der tief einatmete und kaum merklich nickte. Seine Augen trübten und Feuchtigkeit sammelte sich in den Lidern. Alna drehte ihnen den Rücken zu und hielt sich entrüstet die Hände vor den Mund. Ein ersticktes Jauchzen begleitete ihre Atemzüge.
Veyeds Atem klang stockend und schwer, wusste er insgeheim, dass die Anfeindung seines Bruders, wenn auch nicht ernst gemeint, einem wahren Kern entsprangen. Beide haben sie bereits ähnliche Worte vernommen, als sich ihre Eltern des Nachts unbeobachtet fühlten. Er versuchte seinen Blick stur auf einen fixen Punkt zu konzentrieren, nur um niemanden in die Augen sehen zu müssen.
Sein Onkel verzog die Mundwinkel, faltete die Hände ineinander und musterte ihn. Er suchte in seinen Zügen nach etwas Greifbaren und nickte. Er bemühte sich, seine Stimme sachlich und ruhig, noch im Ton zu verhärten. Dennoch blieb es nicht unbemerkt, wie er stockte. »Wisst ihr, wir ... ich meine Klarich und Alna. Eure Eltern und natürlich ich ... wir, hatten gehofft, dieser Frage, dieser unschönen Situation, noch ein paar Jahre entweichen zu können. Ich möchte euch zwei ans Herz legen, den heutigen Tag sittsam zu beenden. Deine Fragen Veyed sollen beantwortet werden.« Seine Augen richteten sich auf Kayden, der nervös dreinblickte. Er kaute auf der Unterlippen und knete verkrampft den noch immer in den Händen haltenden Lappen. Alric war sich dessen bewusst, dass es aus dieser Situation kein Entrinnen gab und so entschied er für alle beteiligten den angenehmsten Weg zu beschreiten. »Was jedoch deine Anschuldigung anbelangt, so sollten wir dafür den morgigen Tag nutzen.«
Es war zu sehen, es war zu spüren und beinahe zu hören, wie sich Kaydens Sinne in Federn hüllten. Seine Züge entspannten sich und der Lappen wurde nicht länger drangsaliert. Seine mittlerweile krampfenden Finger lösten sich und ein Hauch der Erleichterung entwich seinem sich öffnendem Mund. Sein Blick wanderte hinüber zu seinem Vater, der gedankenverloren auf seine Hände stierte. Es gab keine Rüge, keine Standpauke und keine Bestrafung - nicht heute.