Ich spüre einen brennenden Schmerz auf meiner Wange und doch realisiere ich erst Sekunden später, dass er mich geschlagen hat. Es ist nichts neues für mich. In den letzten drei Jahren habe ich es schon etliche male erlebt. Aber dennoch kann ich es bis heute nicht fassen.
Anfangs waren wir noch unzertrennlich, haben alles gemeinsam gemacht. Natürlich wusste ich damals schon, dass er sehr Jähzornig ist, aber ich war naiv. Ich habe nicht daran geglaubt, dass er mich jemals schlagen wird. Und heute, mehr als drei Jahre später, in denen ich mich nicht getraut habe, ihn zu verlassen, weiß ich es besser. Etliche male wollte ich mich wehren, wollte ihm sagen, dass, wenn er mich noch einmal schlägt, ich die Polizei rufe und mich von ihm trenne. Aber immer, wenn ich diesen Ausdruck, der mir jedes mal eine Gänsehaut bereitete, seinen Augen gesehen habe, fühlte ich mich klein und unbedeutend.
Heute ist es anders. Ich spüre es. Ich fühle mich stärker, weiß, dass ich mich wehren kann. Und auf einmal merke ich diese unbändige Wut, die in mir aufsteigt. Ich weiß, dass sie sich nicht bändigen lässt, aber ich will es auch nicht. Ich will frei sein und nicht in ständiger Angst (leben).
Wie von selbst bewegt sich meine geballte Faust in Richtung seines Gesichtes und landet mit viel Schwung und einem lauten Knacken auf seiner Nase. Augenblicklich fängt diese an zu bluten. Meine Hand, die nun mehr schmerzt, als meine Wange nach der Backpfeife meines Freundes, lasse ich mit einem wohligen Gefühl sinken. Dieser Schmerz tut gut, denn er führt mir vor Augen, dass ich mich wehren kann, mich gewehrt habe. Dass ich Mut gefasst habe und den will ich um keinen Preis verlieren.
Ich baue mich vor meinem Freund auf, soweit es möglich ist, da er gut einen Kopf größer ist. In seinem Blick erkenne ich Überraschung und auch ein Stück weit Bewunderung. Aber der stärkste Ausdruck in seinen Augen ist die Wut. Wut darüber, dass ich tatsächlich die Unverfrorenheit habe, mich ihm zu stellen, mich zu wehren.
Für einen Moment droht meine Angst und Verzweiflung wieder an die Oberfläche zu dringen. Aber ich schaffe es diese Emotionen zu unterdrücken und an dessen Stelle tritt die Wut. All der angestaute Hass, für dass, was er mir drei Jahre lang angetan hat.
"Warum? Was habe ich jemals getan, dass du mich so behandelst?"
Am liebsten hätte ich ihn angebrüllt, aber stattdessen lege ich eine gefährliche Ruhe in meine Stimme, beinahe ein Flüstern, während ich das sage.
Ich kann ihm ansehen, dass er verunsichert ist. Bisher hatte immer er die Kontrolle, in jeder Situation. Doch jetzt muss er sie unweigerlich abgeben. Während der Zeit, in der wir zusammen waren, habe ich erst später begriffen, dass es seine größte Angst ist, die Kontrolle zu verlieren.
Um meiner Wut Ausdruck zu verleihen, setzte ich genau diese Angst gegen ihn ein. Ich kann nicht bestreiten, dass es auf seltsame Art und Weise, eine Genugtuung ist, ihm die Kontrolle zu nehmen.
Ich fühle diese Kraft in meinem Inneren, die es mir erlaubt ihm fest in die Augen zu schauen.
Doch der nächste Schlag kam unerwartet, was meine Naivität zeigt, da ich dachte, ich hätte gewonnen. Mit einem drohenden Unterton höre ich ihn die Worte „DAS machst du nie wieder!“ herauspressen. Und bevor ich ins bodenlose falle und alles um mich herum schwarz wird, denke ich noch 'Warten wir es ab...'