Es regnete weiter.
Karl blickte auf seine Uhr und seufzte. Keine Zeit heute noch jemand anderen zu bekommen. Das war zwar nicht dramatisch, aber es ärgerte ihn schon, sich erfolglos bei den Anderen zurückmelden zu müssen. Ein fatalistisches „Ich habs dir ja gesagt“ von Markus störte ihn nicht, über solchen Kleinigkeiten stand er. Deutlich mehr nagte sein eigenes Versagen an ihm; die Anzeichen waren ja da gewesen, trotzdem hatte er es geschafft beinahe einen anderen seiner Sorte anzufallen. Da tröstete es ihn wenig dass der Tag seiner neuen Bekanntschaft noch deutlich schlechter zu laufen schien.
„SCHEIẞE SCHEIẞE SCHEIẞE!“ tönte es von der anderen Seite während sein „Opfer“ hingebungsvoll eine Hauswand mit dem Stiefel bearbeitete. Tatsächlich hatte sie schon vor einer ganzen Weile damit begonnen – direkt nachdem sie sich verwandelt gegenüber gestanden hatten – und es sah nicht danach aus, als ob sie in nächster Zeit aufhören würde. Natürlich musste die aufgebaute, nun nutzlose, Energie irgendwohin aber es war wohl besser, nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Daher ging der ältere Vampir nun auf sie zu und tippte vorsichtig auf ihre Schulter:
„Karina, nicht wahr?“ sie fuhr herum, den beeindruckend schweren Stiefel drohend erhoben „WAS?“
„Wir sollten diese Örtlichkeit verlassen, es ist hier zu öffentlich für meinen Geschmack, außerdem“ er schaute stirnrunzelnd auf ihre fahle Haut, „scheinst du dringend Blut zu brauchen und damit kann ich dir, wie du wohl gemerkt hast, nicht dienen.“
„Was denkst du wieso ich so fertig bin, du warst meine beste Chance seit ich umgezogen bin und jetzt das hier...“ Sie wirkte ziemlich fertig, ihr Wutausbruch schien sie deutlich mehr erschöpft zu haben als normal war. Karl fasste einen Entschluss, ein Ausgetrockneter war nie weit entfernt davon vollkommen durchzudrehen und das konnten sie nun wirklich nicht brauchen.
„Es gibt hier in der Nähe ein Lokal für unsereins, da kannst du dich versorgen. Geht auch auf mich.“
„Danke... woher kennst du überhaupt meinen Namen, bist du nicht der alte aus der Rechnungsprüfung?“
„Wenn man so lange in der Firma ist wie ich kommt man mit Leichtigkeit an alle Personaldaten, so mach ich es immer wenn ich mir jemanden aussuche.“
„Du bist also ein uralter Stalker der jetzt seine neue, viel jüngere Mitarbeiterin in eine Bar ausführen will nachdem sein ursprünglicher Plan, sie in einer dunklen Gasse anzufallen, nicht geklappt hat. Außerdem hast du das gleiche anscheinend schon öfter gemacht.“
Er schmunzelte „Nach denselben Gesichtspunkten wärest du eine gemeingefährliche Kriminelle, die arme gebrechliche Opas in dunkle Gassen lockt um sie um ihre Rente zu bringen.“
„Kein schlechter Konter alter Mann, nicht das irgendein Polizist deine Version der Geschehnisse glauben würde.“
„Du würdest dich wundern womit man durchkommen kann, wenn man die richtigen Leute kennt. Und mein Name ist übrigens Karl, ich bin zwar alt aber auf Dauer taugt das als Anrede nur wenig.“
„Meinetwegen Karl, jetzt zeig mir endlich deine Blutbank mein Kopf bringt mich um.“
Deutscher Herren und Damenclub des Freiherrn zu Wiek 1924
„Und ich dachte Leute wie wir treffen sich in verlassen Kellern oder alten Schlössern“ trotz ihrer Erschöpfung las Karina interessiert das Klingelschild, als er die Tür des Jugendstil-Hauses am Rande der Innenstadt öffnete.
„Wir nennen es meistens das Bismarck und der Schankraum ist tatsächlich im Keller.“ Erwiderte ihr Begleiter während sie durch einen langen Flur voller Ölgemälde gingen. „Allerdings ist der Grund dafür, dass Erich '43 noch vor den ersten Bombenangriffen sicherheitshalber nach unten zog und danach nicht wieder hochkam weil er nicht dabei zusehen konnte, wie „Die verdammten Kommunisten den kümmerlichen Rest von dem, was die Nazis von Deutschland übrig gelassen haben, auch noch zu Grunde richten.“ Auch nach 89 ist er nicht wieder hochgekommen, jetzt sind die bösen Demokraten das Problem.“
„Hört sich nicht wirklich nach jemandem an, den ich kennen lernen möchte.“
„Ach quatsch Frauen gegenüber ist er ein wahrer Kavalier.“ mit diesen Worten stieß Karl die Kellertür auf und rief „Erich, ich hab einen neuen Kunden für dich“
„DEINEN TAUGENICHTS KANNST DU GLEICH WIEDER MIT RAUSNEHMEN, MIR REICHTS ES MIT EUREN... Oh verzeihen sie meine Dame ich dachte sie wären eines von Herrn Meirings üblichen Anhängseln, erlauben sie mich ihnen vorzustellen.“ Ein korpulenter Mann mit grauem Haar baute sich vor Karina auf und salutierte so schneidig als wäre er auf dem Kasernenhof bei der Inspektion des Kaisers persönlich. „Erich Steiermann, Rittmeister a. D. und Inhaber des Deutschen Herren und Damenclubs des Freiherrn zu Wiek, freut mich außerordentlich ihre Bekanntschaft zu machen!“
„Äh... danke, ganz nett haben sie es hier.“ Antwortete sie und starrte auf den riesigen Stahlvogel hinter der Theke. Der Vogel starrte zurück.
„Vielen Dank meine Dame es ist schön die eigenen Leistungen gewürdigt zu wissen, das passiert viel zu selten heutzutage, keine Manieren haben die Leute.“ Hierbei warf er einen stechenden Blick in Richtung Karl bevor er wieder sie besorgt begutachtete. „Aber meine Liebe sie scheinen ja vollkommen leer zu sein, wann haben die Dame das letzte Mal etwas zu sich genommen? Wann es auch war es war zu spät, sie brauchen sofort eine Infusion!“
„Eine Infusion? Danke aber mir würde ein Glas vollkommen reichen...“
„Es tut mir sehr leid meine Dame aber ich muss darauf bestehen, meine Ehre als Gastgeber würde es nicht zulassen sie so unterversorgt zu lassen.“ Bestimmt schob der Rittmeister a. D. seinen vollkommen überrumpelten Gast in Richtung Hinterzimmer, nicht ohne vorher den restlichen Gästen einen „Klaut was und es ergeht euch wie den Russen bei Tannenberg“ Blick zugeworfen zu haben.