Verfall. Kälte. Traurigkeit. Diese Worte kamen ihm in den Sinn, wenn er sich an dem Ort, der ihn durch sein ganzes Leben begleitet hatte, umsah. Als kleiner Junge schon war er hier jeden Morgen in die Bahn gestiegen, um zur Schule zu fahren. Er verband so vieles mit diesem Bahnhof. Ein Beispiel waren die noch warmen, gerade aus dem Ofen genommenen Plätzchen seiner Großmutter. Denn immer, wenn er als Kind hier stand und auf die Bahn, die zu seiner Großmutter fuhr, wartete, konnte er es kaum noch erwarten, endlich anzukommen und in eines dieser Plätzchen zu beißen. Deshalb hatte er dann auch die ganze Bahnfahrt lang den süßen Zimtgeschmack im Mund, auf den er sich jedes Mal so sehr freute.
Die Jahre vergingen und er fing an zu arbeiten. Da seine Arbeit aber etwa zwanzig Kilometer von seinem Wohnort entfernt war, war er immer noch dazu gezwungen, an genau diesem Bahnhof in die Bahn zu steigen und sich zu seinem Ziel fahren zu lassen. Für ein Auto war damals kein Geld da gewesen. In seinem gesamten Dorf besaßen zu dieser Zeit nur fünf Personen eines. Aber das war OK für ihn. Er mochte den Bahnhof und die Betriebsamkeit, die dort herrschte. Er genoss es geradezu, während seiner Wartezeiten die vielen Menschen um ihn herum zu beobachten. Einige trugen Aktentaschen und andere zogen schwere Reisekoffer hinter sich her. Natürlich waren auch immer viele Kinder dort, die auf den Gleisen herumtollten, bis ein Zug kam und ihre Eltern die vergnügten Kleinen zurück auf den Bahnsteig zogen. Ja, es waren immer die Betriebsamkeit und Herzlichkeit gewesen, die ihn so zu diesem Bahnhof hingezogen hatten. Dort konnte er sich mit völlig fremden Menschen unterhalten, ohne dass sie in irgendeiner Art und Weise gehetzt oder genervt wirkten, von dem Witz, den er gerade erzählte.
Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, da ein junger Mann ihn im Laufen zur Seite schubste, um seine Bahn noch zu bekommen. Ja, das war es, was man nun mit dem einst so schönen Bahnfahren verband, dachte er. Stress, einfach von A nach B kommen, Zwang. Niemand hatte mehr Freude an der nun so nervigen Wartezeit. Wie auch, wenn man meistens der Einzige am Bahnsteig war und das Bahnhofsgebäude, das von Unkraut umgeben war und dessen Putz langsam abbröckelte, seit bestimmt dreißig Jahren niemand mehr betreten hatte? Niemand hatte sich mehr um die Schönheit des Bahnhofs gesorgt.
Die Leute kamen und gingen. Seit er ein kleiner Junge war, kam er täglich hier her. Nun war er 85 Jahre alt und der Bahnhof, den er mit so vielem verband, stand kurz vor dem Abriss. Denn um die Erinnerungen und Geschichten, die mit dem Bahnhof in Verbindung standen, kümmerte sich keiner mehr. Den Leuten ging es nur noch um Zeit und Geld. Niemand nahm sich mehr die Gelegenheit, das historische Bahnhofsgebäude zu betrachten, oder mit irgendjemandem ein Gespräch anzufangen. Modern, praktisch, zeitsparend. Das war es, was die Menschen wollten. Deshalb würde hier auch ein Bahnhof wie jeder andere gebaut werden. Einer, mit dem man nichts als Kälte, Stress und Zwang in Verbindung bringen konnte.