Ein Jahr zuvor
Gruppenarbeit. Eigentlich müsste man mich offiziell für verrückt erklären, da irgendwie alle meine Mitschüler der Meinung waren, Gruppenarbeit sei das Tollste auf der Welt. Ich dagegen hasste sie und kriegte jedes Mal eine Panik Attacke und Herzklopfen, wenn ein Lehrer eine solche Arbeitsphase ankündigte. Denn entweder mussten wir die Gruppen selber einteilen und dann war aus irgendeinem Grund immer ich es, die keiner in seiner Gruppe haben wollte, oder der Lehrer zählte einfach durch und bei meinem Glück kam ich dann in Ginas Gruppe und bekam vor lauter Schüchternheit keinen Ton heraus. Ich hatte zwar ein paar Freundinnen, aber irgendwie war ich bei ihnen die einzige, die keine richtige allerbeste Freundin hatte und irgendwie auch immer die Letzte, die von geplanten Treffen erfuhr, oder wer meiner Freundinnen gerade wieder einen süßen Typen kennengelernt hatte. Aus mir unerfindlichen Gründen wollten sich meine sogenannten „Freundinnen“ auch immer nur dann mir treffen, wenn gerade eine Klausur bevorstand. Irgendwann begann ich dann zu verstehen, dass es ihnen gar nicht um mich ging. Wahrscheinlich taten sie es nicht bewusst, oder mit böser Absicht, aber in den Phasen, wo sie meine Hilfe für die Schule nicht brauchten, vergaßen sie mich einfach, aber versuchten unsere gute Beziehung durch kleine Liebeserklärungen auf Facebook aufrechtzuerhalten. Ich war gut in der Schule und genau das war wahrscheinlich mein Fehler. Die Leute hatten mir einen Stempel aufgesetzt und den würde ich wahrscheinlich für den Rest meiner Schullaufbahn nicht mehr loswerden.
Meine Lehrerin verkündigte gerade, dass sie uns für die zweimonatige Gruppenarbeit gerne durchzählen möchte, damit wir auch mal über einen längeren Zeitraum mit Leuten, mit denen wir nicht so viel zu tun hatten, zusammenarbeiteten. Erleichtert atmete ich aus. So konnte mir wenigstens keiner die Schuld geben, dass ich bei ihm in der Gruppe war, wenn ich mich dann irgendwann mal durchgerungen hätte, eine Gruppe zu fragen, ob ich bei ihr mitmachen könnte. Durch das Durchzählen war es unsere Lehrerin schuld, dass Gina und Jake, die Beliebtesten in unserer Stufe, nun Vorlieb mit mir nehmen mussten. Doch schon als ich mich gegenüber von den Beiden an einen Tisch setzte, damit wir uns besser unterhalten konnten, wurde mir klar, dass dies wahrscheinlich die beiden schlimmsten Monate meines Lebens werden würden. Gina, die gerade herausfordernd einen Stift aus Jakes Mäppchen klaute, guckte mich ziemlich angepisst und genervt an. Jake zeigte seine Abneigung zu mir zwar nicht so offen, wie seine beste Freundin, jedoch bekam ich immer wieder mit, wie er hinter meinem Rücken über mich lästerte. Aber er bemühte sich wenigstens es so unauffällig wie möglich zu gestalten. Deshalb warf er jetzt auch Gina einen warnenden Blick zu und sagte an mich gewandt
„Also von mir aus kann dieses ganze Projekt in der Schule über die Bühne gebracht werden. Ich hab besseres in meiner Freizeit zu tun, als mich für die Schule zu treffen“ Ich konnte mal wieder nur lächeln und nicken. Den Mund aufzumachen und zu sprechen war in dieser Situation unmöglich. Meine Schüchternheit nahm mir meine Stimme und Gina nutzte das eiskalt aus, um mir eins auszuwischen.
„Ich glaube Jake, Emily hätte nichts dagegen in ihrer Freizeit zu recherchieren. Die macht doch eh immer nur Sachen für die Schule zu Hause. Aber ich hab auch keinen Bock mich mit der zu treffen.“ Beschämt zog ich den Kopf ein, obwohl ich innerlich brodelte und ihr an den Kopf schmeißen wollte, dass auch ich keinen Bedarf hatte mich mit ihr abzugeben, aber natürlich sagte ich etwas ganz anderes, was mein Streberimage nur noch einmal mehr aufpolierte:
„Lasst uns doch erst mal die Aufgabenstellung abwarten.“ Wäre Jake nicht gewesen, hätte Gina diese Situation wahrscheinlich wieder ausgenutzt, um mich auf irgendeine Weise fertigzumachen. Aber zum Glück war er da und verteidigte mich zu meiner größten Überraschung.
„Komm Gina, Emily hat Recht. Außerdem kannst du ja wenigstens versuchen nett zu ihr zu sein. Was bringt es dir denn, wenn du sie gegen dich hast und zwei Monate mit ihr zusammenarbeiten musst?“
„Ich…“, doch weiter kam Gina nicht mit ihrer sicherlich fiesen Antwort, da unsere Lehrerin, Frau Schreiber, sich nun doch dazu entschieden hatte einen Abreitsauftrag zu diktieren. Wir würden einen Vortrag über Freundschaft halten müssen und darin auch Fallbeispiele bringen müssen und dieser ganze Vortragskram halt. Freundschaften. Das war eigentlich das schlechteste Thema, das man mir momentan geben konnte. Konnten wir nicht einfach über andere Arten von Beziehungen recherchieren? Zum Beispiel Feindschaft? Meine einzige bestehende Beziehung war die zu Gina und die beruhte auf nichts anderem als Hass auf beiden Seiten. Auf irgendeine Weise überlebte ich diese Pädagogikstunde und ging, ohne mich von Jake oder Gina zu verabschieden so schnell ich konnte aus dem Raum. Das einzige, was mich jetzt noch motivierte war, dass ich heute Nachmittag erst Schwimmen gehen würde und mich dann ganz auf die Musik konzentrieren konnte. Ich würde mich ans Klavier setzten und einfach alles um mich herum vergessen. Denn wenn ich spielte, konnte ich alles ausblenden, was in meinem Leben im Moment los war. Ich lebte dann in einer anderen Welt, in der mich niemand erreichen konnte. Das Klavierspielen war das einzige, was man mir nicht schlecht reden konnte. Das einzige, in dem ich wirklich gut sein konnte, ohne dafür beleidigt zu werden. Es gehörte nur mir allein.