Es war bereits später Abend, als alle sich in der Wohnstube versammelten und die Nähe des Kamins genossen. Das Knistern und Knacken des brennenden Holzes lullte sie ein. Es war wohlig warm und gemütlich. Kein Radio und kein Fernsehen waren eingeschaltet und somit war es eine unbeschreibliche Art des Ausspannens. Nichts vermochte die ureigene Ruhe der Alltäglichkeit stören, auch nicht die frostige Luft und der stete Wind außerhalb der schützenden Wände.
»Kannst du dich erinnern, was dein Vater dir am Sterbebett anvertraute?«
»Ja, so als wäre es gestern.«
»Möchtest du es mir erzählen«, hakte sie nach und schenkte ihm aufmunternde Blicke.
»Er hat sie gesehen.«
»Wen? Karl und ...«
»Gerd. Ja. Er sagte, dass sie sich an den Händen hielten, so wie immer, wenn sie gemeinsam über das Eis glitten. Ihre Augen waren geschlossen, dennoch haben sie ihm zugewunken, als der See sie tiefer und tiefer hinabzog.«
»Das ist schrecklich«, hauchte sie und zog die Schultern ein. Mit einem Mal verspürte sie so etwas wie Kälte, die sich in dem Wohnzimmer breitmachte.
»Sie würden wiederkommen, hat er noch gemurmelt. Kaum hörbar aber er sah mich eindringlich an, als er dann doch einschlief und sich seine Hand von der meinen löste.«
Verena fror noch mehr und musste schlucken. Um das Thema nicht weiter zu vertiefen, ganz die Anwältin, verband sie ihre Neugierde sogleich mit der nächsten Frage. »Was hat Oma heute Mittag zu dir gesagt?«
»Was meinst du?«
»Ach komm schon. Glaubst du etwa, ich habe nicht mitbekommen, dass sie dir etwas zugeflüstert hat?«
»Wir sollen die Fenster geschlossen und die Jungs im Haus behalten.«
So als habe Verena nicht richtig gehört sah sie auf. Ihr Blick fiel in Richtung Kamin, vor jenem Bastian und Milan kauerten und Karten spielten. »Wie stellt sie sich das vor? Sie haben immer draußen gespielt.«
»Ja, da war es auch nicht Winter.« Er ergriff ihre Hand und in seinen Augen glomm Bitterkeit. »Ich habe Angst um meine Mutter.«
Anstatt zu antworten, nickte sie und umarmte ihn. »Ich glaube dir. Sind wir deswegen gekommen?«
»Ich will wissen, was hier gespielt wird. Etwas stimmt nicht.«
Wie als Stichwort hörten sie draußen die Veranda knarzen. Die Zwillinge waren mit sich selbst beschäftigt und bekamen nichts dergleichen mit, doch Verena bedeutete mit dem Kopf zum Fenster.
»Wohin geht sie?«
»Mmh. Zum See runter würde ich meinen. Aber wieso ...«
»Hörst du das?«
Vom Fenster aus konnte man die sich neigenden Bäume und das Glitzern des wenigen Schnees deutlich erkennen. Schattenhafte Wesen zauberte das Umland auf dem Boden und so mancher dieser schien sich unstet zu bewegen. So ganz allein und abgeschieden von der eigentlichen Ortschaft sollte man nicht unter Ängsten gar Panik leiden. Zuweilen musste es zweifelsfrei einsam sein oder werden.
»Lass uns nachsehen.«
»Meinst du nicht, wir sollten ihr die Ruhe lassen, die sie sucht? Sie wird sich doch was dabei denken, oder?«
»Du wolltest hier her, du erinnerst dich? Also los, wir können ja aus der Ferne beobachten.«
Sie waren kaum fünf Schritte gegangen, als Verena innehielt und ihrem Mann schreckhaft an die Brust fasste. »Was war das?«
»Was war was?«
Der Wind heulte auf und trug Klänge mit sich, die jedoch nicht zu verstehen waren.
»Ich höre nur das Pfeifen des Windes und Musik. Vermutlich vom Campingplatz.«
Wissend schüttelte Verena das Haupt. »Erklär mich bitte nicht für bekloppt aber ich habe jemanden sprechen gehört.«
Nun war es auch Matthias, der seltsam entrückt den Kopf hob und offensichtlich lauschte. Dass was seine Augen ihm vermittelten, war nicht minder eigenartig.
Seine Mutter stand am Ufer des Sees und schien sich zu unterhalten. Stünde er näher bei ihr, würde er bemerken, dass sie barfuß im Selbigen weilte und mit den Händen das dünne Eis beiseiteschob. Seit diesem verhängnisreichen Tag waren die Winter nicht wie damals. Es war kalt, aber nicht mehr so sehr, dass der See fest gefror oder der Schnee so viel, dass man es Schnee nennen konnte.
Worte, einem Hauch gleich, trug der Wind vom See heran. »Maaargaaa ...«
»Schatz, was ist das. Was macht sie da?«
»Ich ... weiß es nicht und glaube es nicht wissen zu wollen.« Er hielt kurz inne, sprach sodann aber weiter. »Ich erinnere mich, als ich kleiner war.«
»Hat sie das da auch schon gemacht?«
»Ich glaube schon. Es ist lange her.«
»Kommmmmm und spieeeeel mit unsssssss.«
»Ich will zu den Kindern. Jetzt gleich. Lass uns nach Hause, ja?«
»Maaargaaa ... hieeeer sind wieeeerrrrr.«