Seinen Vater endlich vor der Praxis des Physiotherapeuten abgesetzt fuhr Ben auf direktem Wege zum Training. Er hatte Glück, dass das Studio über eine hauseigene Parkfläche verfügte und somit nicht durch halb Kiel gurken musste, um einen freien Parkplatz zu finden. In den Räumlichkeiten angelangt warf er seine Tasche auf die Bank der Umkleide und schlüpfte in seinen gepolsterten Trainingsanzug samt Schutzhaube, um seinen Kopf vor etwaigen Treffern zu schützen. Achtlos landeten die Privatklamotten über der Tasche und begab sich zum Kernstück der Räume. Kaum dass Ben eintrat, kam ihm auch schon die Ermahnung seiner wiederholten unentschuldbaren Verspätung, ebenso eines der Übungsschwerter – Griff voran – entgegen geflogen.
»Hey Benni, du bist wieder zu spät«, drang es aus der Ecke mit den aufgereihten Übungsutensilien. »Fang und verteidige deine Stellung!«, donnerte ihm sein Trainer lauthals zu und rückte mit erhobenem Eineinhalbhänder auf ihn ein.
Einstudiert und über die Jahre hinweg bis hin zum Delirium trainiert, fing er das Schwert gekonnt, federte in mit einem Halbkreis angedeuteten Luftschlag sirrendem Übungsschwert in Haltung und beobachtete den nahenden Gegner. Er raunte ihm eine Gegenantwort zu. »Mensch Martin. Übertreib es nicht, es sind doch bloß beschissene fünf Minuten«, verteidigte er sein verspätetes Eintreffen.
»Zeter nicht, Junge. Wir haben hohen Besuch und die wollen den Vizeweltmeister gesundet beim Schwingen zusehen. Ich will nicht, dass du durch Unachtsamkeit den WM-Titel vermurkst.«
»Ja ne ist klar. Wurde ich verletzt oder du? Soweit ich mich erinnern kann, trage ich eine Narbe am Bein und niemand anderer.«
Martin, sein Trainer und früherer Weltmeister in gleicher Sportart, drang ohne Rücksicht auf die Äußerungen ein und drängte ihn durch den gesamten Saal. Er trieb unaufhaltsam und mit wuchtigen Schlägen seinen Gegner voran. Ständig in der Defensive suchte Ben nach einer Möglichkeit auszubrechen und selber in die Offensive gehen zu können. Um mit seinen Kräften sparsam auszuhalten, verlagerte er sein Gewicht leicht in den Rücken und winkelt die Beine eine Spur an. Das Schwert an sich hielt er lockererer als bei aktiven Offensivschlägen, um die parierten Hiebe problemlos umzulenken. Schlag auf Schlag folgerte Abwehr auf Gegenwehr, bis aus einem vorgeführten Übungskampf ein Tanz wirbelnder Übungsklingen wurde. Die Zuschauer bestaunen das Spektakel großäugig und zogen bei besonders spektakulären Treffern hörbar die Luft ein.
Mit den Augen verfolgte Ben jedweden Schritt seines Trainers und jedes Zucken mit den Schultern, bis er es schaffte, die Schläge vorauszuahnen. Mit dem Parieren eines Abwärtshiebes drehte sich Ben um die eigene Achse und ließ sein Schwert in einem beschriebenen Halbkreis kraft- und schwungvoll von unten nach oben sausen. Diese überraschende Gegenoffensive hatte Martin nicht bedacht und wurde eigenst in die Defensive gedrängt, bis er durch einen miesen Trick seines Schützlings mit einem Fußhaker aus dem Gleichgewicht und zu Fall gebracht wurde. Wie ein Maikäfer fiel er rücklings zu Boden und sah vor seinen Augen die Klinge seines Gegners verharren.
»Verloren.«
»So kann man es auch umschreiben. Hinterhältig aber innerhalb der Regeln.« Martin wischt die gegnerische Übungsklinge mit der Linken zur Seite und stemmte sich auf.
Ben streckte die Rechte vor, um ihm beim Aufstehen zu helfen und Glückwunschrufe von den Zuschauerbänken wurden laut. Mittrainierende gesellten sich zu ihnen, um ihr eigenes Training aufzunehmen.
Alle Anwesenden wussten, dass Ben der Beste aus der Gruppe war und in der Vergangenheit bereits mehrfach Wettkämpfe für sich und dem Studio entschied. Wäre er bei der letzten Weltmeisterschaft nicht über seine eigenen Füße gestolpert und dabei in einen kraftvollen Hieb seines Kontrahenten gestürzt, wäre der WM-Titel 2012 der Seine gewesen. So jedoch erinnerte ihn selbst und allen Wissenden eine V-ähnliche Narbe am rechten Schienbein an seine Unachtsamkeit. Der Hieb war dermaßen heftig geführt, dass Ben regelrecht ein Hautlappen vom Bein gezogen und im Krankenhaus genäht wurde.
Vor etwa zwei Jahren hatte Ben mit dem Bogenschießen begonnen, wo er seine jetzige Freundin, Katrin, kennen und lieben lernte. Er verfügte über eine ruhige Hand und ein treffsicheres Auge, obgleich er sich zu offiziellen Turnieren noch nicht hinreißen ließ. Martin sprach ihn mehrfach daraufhin an, sein Talent auch dahingehend unter Beweis zu stellen. Bisher kassierte er jedoch stets eine Ablehnung. »Junge, du bist ein Multitalent, nutze es«, beteuerte nicht nur er als Trainer und Freund. Seine Zukünftige versuchte es ebenso zu unzähligen Anlässen - ebenfalls ereignislos.
Nach einem dreistündigen Training und Gesprächen mit den Gästen war die Puste raus, die letzten Hiebe fingen sich die Übungspuppen ein. Ben wollte einfach nur unter die Dusche, zumal er wiederholt der Letzte im Hause war und hinter sich die Türen abschließen musste. »Niemand trainiert so vehement und hart wie Ben«, hieß es stets und »Schneidet euch eine Scheibe von ihm ab. Nur so fährt man Gewinne und Titel ein.«
Ben hatte seinem alten Herrn versprochen, noch vor Beginn seiner Harzreise Zeichnungen für eine Neuausschreibung fertigzustellen. In dieser ging es um einen Weiler, den man nahe Hannover ausgegraben und nun weitestgehend realitätsgetreu zu rekonstruieren wünschte. Dass ihm die Aufgabe anvertraut wurde, lag seines Erachtens an den Interessen am feudalen Zeitalter.
Also flott unter die Dusche und ab nach Hause. Er räumte noch gewissenhaft seine Übungsutensilien zur Seite und knipste die Lichter aus. Den Trainingsanzug und die Haube in die Sporttasche gedrückt, hüpfte er eiligst aus der Unterwäsche, warf sich das Handtuch über die Schulter und betrat den Duschraum um sich den Schweiß vom Körper zu waschen.
Er war im Begriff das warme niederprasselnde Wasser abzudrehen, als völlig unerwartet Katrin in der Tür zum Männerduschraum stand und die Hände in die Hüften stemmte. »Hey Cowboy.«
»Was treibst du denn hier. Verschwinde, das ist ne Männerdusche«, erbot sich Ben entsetzt und verschränkte seine muskulösen Arme vor seiner durchtrainierten Brust. Dass er völlig nackt vor ihr stand, störte ihn nicht, da sie zusammen im Sommer auch FKK-Baden und sich so grundsätzlich nackig zu sehen bekamen.
»Wer will das überprüfen, hm? Es ist niemand weiter im Haus – nur du und ich.«
Erst jetzt fiel ihm auf, dass Katrin nur mit einem Bademantel umhüllt in der Tür stand und sich ihm leichten Fußes nähert. Wie sie so wandelte, anmutig, verführerisch und dieser stechend erotische Blick. Ben fühlte, wie ihm das Blut heiß durch den unter der Dusche stehenden Körper ran. Mit jedem ihrer Schritte bäumte sich sein verlangendes Gefühl weiter auf, das ihm sagen wollte – nimm sie.
»Na, da scheint sich ja jemand ganz besonders über meinen Besuch zu freuen.« Sie öffnete die Schleife der Kordel, die ihren Bademantel verschlossen hielt, und kam ihrem Liebsten näher. Sie ließ sich das bauschige Material des Mantels behutsam von den wohlgeformten Schultern gleiten, sodass sich ihre Brüste entblößten und ihr weichsamtig brünettes Haar um die eben frei gelegten Rundungen schmiegte.
»Katrin, wir können doch nicht ...«
»Sch, das sehen ich und dein Freund ...« Ihr Blick gleitete seinem Körper abwärts. »... etwas anders.« Sie streifte sich den Bademantel von den Armen und enthüllte sich so, wie Gott sie schuf. Mit einem Seitenwurf landete der Mantel auf der nahestehenden Sitzbank und sie geriet zum Greifen nah.
Ein Körper, schlank und anmutig, wie man ihn sich nur wünschen kann. Feste und wohlproportionierte Brüste, dazu ein Hüftschwung der einen den Verstand raubt. Und all das gehört mir.
Katrin blieb eine Armlänge von ihm entfernt stehen und posierte. »Na Süßer, gefällt dir, was du siehst? Alles nur für meinen Liebsten.« Damit war sie ran. Mit beiden Armen umschlang sie fest Bens nassen Oberkörper und schmiegte sich an ihm.
»Du weißt es immer wieder mich zu überraschen und dafür würde ich dich glatt heiraten.«
»Dann mach mir endlich einen Antrag du durchtrainierter Hengst, grrrrr«, hielt Katrin sichtlich erschöpft dagegen und streifte sich ihre Bluse über. »Ben, mal ernsthaft. Ich finde es echt blöd, dass du auf dieses dusselige LARP gehst, anstatt die Zeit mit mir zu verbringen. Du weißt, was ich von diesen Kriegsspielen halte.«
Ben schaute seiner Liebsten beim Anziehen zu und schnürte sich dabei die Schuhe. »Ja ich weiß. Papa hält mir auch ewig eine Predigt. Aber bitte, lass mir noch dieses einmal ja? Ich verspreche dir hoch und heilig, zu keinem weiteren Event mehr zu fahren. Ehrlich.«
»Ich nehme dich beim Wort, auch wenn ich dich viel lieber hier bei mir hätte. Das eben hat mir ungemein gefallen, weißt du?« Sie warf ihm ein keckes Augenzwinkern zu.
»Mir ebenfalls Schatz, aber wir sollten jetzt los. Ich muss noch Zeichnungen für eine Ausschreibung fertigbekommen und musste Papa versprechen, diese bis Morgen abzugeben.«
»Okay Ben, ich fahre dann lieber zu mir, um dich nicht zu stören.« Mahnend fuchtelte sie mit erhobenem Zeigefinger vor seiner Nase herum, obendrein senkte sie belehrend ihre Stimme. »Ich liebe dich. Mach mir ja kein Scheiß da in Herzberg, hörst du?!« Sie verabschiedeten sich mit einem schlichten Abschiedskuss und fuhren getrennter Wege.