Ein schrilles Pfeifen schallte durch den vereinsamten Pass, in dem sonst nur das Trillern der Schwingen und Hufgetrappel ihrer Pferde zu hören war. Bedingt der Beschaffenheit dieses Ortes, sogar widerhallend Laut. Begleitet wurde dieses von einem kurzen Aufblitzen, das unbeirrbar aus dem kleinen Wäldchen in dem eiförmigen Tal stammte, welches sich etwa mittig in den Gebirgsschnitt drängte. Ein gern genutzter Lagerplatz jener, die diesen kannten.
»Pssst, runter mit euch. Dort bei den Bäumen. Geht dort neben dem Felsen in Deckung. Fendrik, du kommst mit mir.«
Jarik und sein jüngerer Bruder eilten in geduckter Haltung voraus. Derweil beeilten sich die übrigen vier Jäger, mit ihren Pferden am Zügel, zu der vorbezeigten Stelle und legten Pfeile auf mitgeführte Bögen.
Die Situation schien zum Bersten gespannt, da dieser Pass, beginnend am Gebirge, nördlich Middellandes zu einem weitreichenden und vollkommen menschenleeren Tal führte, welches dazu unbewohnt und niemanden bekannt. Zumindest keinem außerhalb der Jagdgemeinschaft Jariks, die im Verborgenen die Mark bestreiften und versuchten, so ab und an eine minderzählige Patrouille der Brut den gar auszumachen. Auch wenn diese Bemühungen aufgrund der enormen Anzahl der Invasoren lediglich geringfügige Siege erzielten, schätzten die Jäger dieses Meucheln als Genugtuung. Leider war der Weg zu diesem Tal alles andere als unbeschwerlich und ungefährlich.
Ein warmer Windhauch suchte sich seinen Weg durch die Kluft und trug trommelnde Geräusche an die Ohren der Brüder, Jarik und Fendrik. Diese widerhallenden Echos stammten jedoch nicht von außerhalb, sondern aus dem Inneren. Sie hörten ihr eigenes zirkulierendes Blut, das sich seinen Weg durch die Adern bahnte und in ihrem Gehörorgan dröhnte. Besonnen huschten sie weiter und nutzten die wenigen Bäume als Deckung, um dem Geschehen auf die Schliche zu kommen, als Jarik unerwartet innehielt. Mit Handzeichen mahnte er Stillschweigen und deutete seinem Bruder die Richtung des Erspähten. Dieser wechselte ungläubige seinen Blicke. Es war, was es zu sein schien, ein Mensch oder zumindest eine menschliche Gestalt, die vor ihnen unbeweglich dalag.
»Fendrik, hole die anderen. Ich gehe näher ran.«
»Sei vorsichtig, besser noch warte, bis wir versammelt sind«, mahnte angesprochener und besah ihn mit eindringlicher Miene. Dieser verzog die linke Wange und nickte. »Gut.«
So wie er ihn jedoch kannte, würde er umgehend, sobald er außer Sicht geriet, sich mit diesem Phänomen befassen und trotz aller Ermahnungen dieser Welt heran schleichen. Kopfschüttelnd lief er so zu den übrigen Männern und berichtete in knappen Worten was sie entdeckten und bedeutete ihnen sich zu beeilen, weil er vermutete, Jarik könne Dummheiten begehen und die Lage unterschätzen. Zur allgemeinen Verblüffung kniete ihr Anführer jedoch an derselben Stelle, an der Fendrik ihn verließ.
Auch ohne die Blickrichtung zu ändern, wusste er, was seine Gefährten dachten. »Verblüfft?«
Niemand reagierte auf den Spott. »Hat er sich gerührt? Ist er am Leben?«
»Das werden wir gleich herausfinden Eric, haltet eure Bögen bereit aber gesenkt. Ich will nicht, dass aus Unachtsamkeit etwas geschieht, das wir später bereuen könnten. Seid auf der Hut Männer«, wies Jarik an und setzte sich vorsichtig in Bewegung.
Die Gruppe nährte sich dem noch immer stillliegenden Wesen, welches augenscheinlich menschlicher Natur zu sein schien; dazu männlich und voll gerüstet. Das Umland blieb ruhig und friedlich, keine Anzeichen eines Hinterhaltes. Die unausgesprochenen Fragen jedoch hallten nach wie vor in ihren Köpfen.
Wo kam dieser her?
Wie ist dieser hierhergekommen?
Was hatte dieses Geräusch und dieses Aufleuchten mit dessen Erscheinen zu tun?
»Vorsichtig.« Jarik deutete mit dem Zeigefinger auf den liegenden. »Seht ihr? Er ist verletzt.«
»Jarik, wir sind bereits den ganzen Tag in unmittelbarer Nähe und unsere Pferde stillten erst kürzlich ihren Durst an hiesiger Quelle. Er kann sich nicht einfach so an uns vorbeigeschlichen haben, schon gar nicht in dieser Verfassung oder gar von oben.« Eric deutete mit einem Nicken hinauf. »Von dort führt nur ein Sturz in den sicheren Tod. Da ich keine Flügel an ihm sehe, dürfte er nicht mehr so kompakt sein. Also woher kommt er?«
Die anderen teilten seine Meinung und schauten sich kopfnickend um und ein mancher schätzte die Möglichkeit ab, heil von oben nach unten zu gelangen.
»Du hast Recht. Schau, die Rüstung weist nirgends Kampfspuren auf.« Verhalten und in Erinnerung schwelgend veränderte sich seine Stimme. »Diese Aufmachung, der Bogen und …« Jarik verengte die Augen zu schlitzen und beugte sich auf sein rechtes Knie herab. »Dieses Schwert. Seltsam, irgendetwas stimmt hier nicht. Ich meine mich vage erinnern zu können welche Männer solch ...«, er beließ den Satz unvollendet und betastete, nur mit den Fingerspitzen, vorsichtig die schmuckvolle Schwertscheide. Seine Hand wahrte einige Sekunden über dessen Handstück, so als überlege er, ob es ein Frevel wäre, diesen zu berühren. Doch dann griff er beherzt zu und drehte die Waffe unter dem verletzt Daliegenden hervor.
Seine Vermutungen schienen sich zu bewahrheiten und er nickte wissend. Hörbar entwich sein Atem aus seinem offen stehenden Mund - Erleichterung?
»Denkst Du gerade dasselbe, was ich? Kann es sein das die Prophezeiungen stimmen, welche die Alten an den abendlichen Feuern erzählen?«
Gedankenverlorene Mienen in allen Gesichtern der Gruppe verrieten deren schweifenden Ausführungen wie auch den Erinnerungen an jene Legenden. »Der Eine wird kommen«, sprach Eric es als einziger aus.