Da niemand einen Einwand hervorbrachte, verzeichnete Fendrik seinen Vorwand als Zustimmung und hing seiner Ausschweifung bei, noch bevor Ben das Wort ergreifen konnte. »Wir werden auf deine Fragen eingehen, sobald wir aufgebrochen sind, aber wir müssen jetzt los. Man wird dich als Fremden anhalten und wissen wollen, wer du bist und woher du kommst. Erwähne nichts des an diesem Ort erlebten und behaupte, aus Nordfluss zu stammen und bei uns in Middellande Zuflucht zu suchen, um den umlagerten Gebieten der Brut zu entfliehen. Jeder wird diese verstehen.«
Ben willigte indessen ein, gürtete sein Schwert ab, reichte es Eric und entledigte sich seiner Rüstung. Im Austausch dafür erhielt er eine passende Montur zurück.
»Ist eine Ersatzgarnitur von Jarik, er ähnelt am ehesten deinem Körperwuchs und sollte passen. Was Fendrik anbelangt, er ist der Denker unter uns. Nimm‘s ihm nicht Übel.«
Wie seine übrigen Begleiter gekleidet, unterschied er sich nicht mehr von ihnen. Eine leichte, aber sehr gut verarbeitete Lederkleidung in dunkelbraunen Farbton, ohne Verzierungen und Verstärkungen. Schlicht, einfach und angenehm zu tragen. Ben vollzog in der angelegten Kleidung ein paar Bewegungen, die ihm einige fragwürdige Blicke garantierten. Sein Schwert und Rüstungsteile wurden in Ölhäuten gewickelt und auf einem Ersatzpferd unter den Habseligkeiten der Jäger verstaut.
Eric erteilte das Gebot zum Aufsitzen. Selbst in der Ersatzkleidung Jariks hinterließ Ben einen markanten Eindruck. Nicht so imposant wie in seiner Eigenen aber immer noch stattlich und durchaus, mit seinem geschulterten Bogen, eine ernst zu nehmende Persönlichkeit.
»Sitzt beinahe wie für dich geschneidert. Auch wenn es nicht dein ist, wirst du bald feststellen, dass die leichtere Ledermontur dich nicht weiter behindern wird. Sie mag zwar anfangs etwas gewöhnungsbedürftig sitzen, welches sich jedoch mit der Zeit gibt. Bis wir in der Siedlung ankommen, solltest du dich in dieser Aufmachung ungezwungen bewegen können und den Anschein erwecken, du wärest einer aus der Jagdgemeinschaft der Marken – wenn auch aus Nordfluss. Wir Jäger sind überwiegend unter uns und bleiben von den Übrigen weitestgehend unbehelligt. Du solltest dennoch aufpassen, mit wem du redest, gar in welchem Ton. Sprich bitte verhalten und nie zu laut, die Siedler leiden berechtigter Angst. Niemand weiß, wann und ob die Siedlung umziehen muss, weil die Brut regelmäßige Beutezüge unternehmen. Sollte sich jemand einen Vorteil erhoffen, verkauft er dich bei der nächsten Patrouille, also bleibe in unserer Nähe und lass dich nicht anquatschen. Du bist aus Nordfluss geflohen und uns unterwegs begegnet, fertig. Die drei flussnahen Marken sind bekanntermaßen reichlich ungemütlich und Flüchtlinge sind in den inneren Marken keine Seltenheit.«
Ben ließ sich die Erklärung erkennbar durch den Kopf gehen und wägte deren Resultate und Eventualitäten ab, nickte aber beinahe sofort. »Ich werde mein Bestmögliches tun. Wenn dieses Land nun schon zu meiner unfreiwilligen Heimat auserkoren scheint, so will ich mich entsprechend unterordnen. Mich interessiert dennoch, wer oder was ausgerechnet mich aus meiner Welt in diese gezerrt hat.«
Ungefragt welches Pferd er reiten durfte bewegte er sich zielstrebig auf eine kastanienbraun gefärbte Stute. Jarik wollte gerade eine Warnung äußern, aber Eric hielt ihm mit einem kurzen wie knappen ›Sch‹ davon ab. Die Stute hob andächtig den Kopf und kaute auf dem kargen gezupften Gras. Ihre Augen fixierten die Bens und er hob unbekümmert die flache ausgestreckte Hand, um ihr zwischen den Augen zu streicheln. Seine Finger streiften langsam die Nüstern, die er kraulte und ging um sie herum zu ihrer Linken. Die vierbeinige Dame entließ ihn nicht aus ihrem Blickfeld und beobachtete jedwede seiner Taten. Eric und Jarik tauschten verblüffte Blicke und zuckten wie im Spiegelbild mit den Schultern.
»Seltsam.« Mehr bekam Fendrik nicht heraus, als er sich zu den beiden Beobachtern gesellte und die Ohren seines eigenen Pferdes kraulte.
Sobald alle Jäger, inklusive dem jüngst zugestoßenen Reisemitglied, aufgesessen waren, gab Jarik Zeichen. Ben fiel dabei auf, dass vom Aufsitzen bis zum Antraben, die Männer nahezu zeitgleich agierten.
Gut gedrillt die Jungs, ich bin gespannt, was mich noch erwartet. Hoffentlich ist das alles hier nur ein übler Scherz, aus dem ich bald erwache. Katrin, weck mich bitte auf. Hohl mich aus diesem Albtraum heraus.
Vorbei an ausladenden Gebirgshängen, die rechts und links bis in den Himmel zu reichen schienen, maß der Pfad in sich keine fünf Meter in der Breite, aber dafür unüberwindbar in der Höhe. Nur selten war ein Baum oder Strauch zu sehen, allerdings massig Geröll. Niemand sprach ein Wort, jeder wirkte, als würde er in seinen eigenen Gedanken über den bisherigen Tagesverlauf zu schwelgen, gleichwohl fiel auf, dass immer wieder verunsicherte Blicke auf ihn ruhten. Ben war sich dessen bewusst, versuchte sich hingegen nichts anmerken zu lassen. Gedanklich, wie eine heraufbeschworene Intuition, schloss er mit seinem alten Leben ab und wurde sich gewahr, fortan durch eine neue Heimat zu reisen.
Nach einer gefühlten Stunde leichten Trabs gelangten die Gefährten, angeführt von Jarik, dem Anführer der Jagdgesellschaft und ihrem jüngsten Begleiter hinaus aus dem Pass.