Jarik, Fendrik, Eric und Yaeko standen vor ihren eingeteilten Gruppen, denen sie fortan in den Trainings vorstanden, und erteilen Anweisungen, als verhaltenes Flüstern von Mann zu Mann getragen wurde. Wie eine wogende Welle raunte es von Gruppe zu Gruppe und niemand achtete mehr auf ihre Gegenüber, ihre Köpfe drehten sich alle samt in eine Richtung.
»Ist er das?«
»Da ist er.«
»Wer ist das?«
»Dort drüben, seht.« Waren nur einige von den gehörten Äußerungen, die sein Ohr erreichten. Stolz, mit erhobenem Kinn und in seiner eigenen Rüstung begab sich Ben hinüber zu den Männern, wissentlich, dass auch die abgestellten Wachposten auf den Bäumen, ihn beobachteten. Zumindest jene, die in Sichtweite hoch oben ihre Stellung bezogen. Kaum das er sich auf Armlänge seinen Freunden nährte, richtete sich Jarik an die Jägerschaft. »So Männer, wir haben es bereits mehrfach geübt. Jetzt wollen wir ihm zeigen, wie schnell wir so etwas geregelt bekommen«, rief er aus vollem Halse.
Alle schauten erwartungshaltend auf und richten ihre Blicke wieder nach vorn zu Jarik, der nickend zu Ben sah und durchdringend »ACHTUNG!« brüllte. Ein Ruck ging durch die Angetretenen und alle starrten gestreckt mit geschwollener Brust, geradeaus. Zur Verblüffung des Nahenden, akkurat und gleichzeitig.
»Männer, Freunde. Das hier neben mir ist Benjamin. Er kam zu uns, so gekleidet, wie er nun vor euch steht. Gerüstet, wie wir es aus den Erzählungen unserer Väter und Großväter kennen. Bewaffnet mit einem Schwert, dessen Beschreibungen wir ebenfalls von diesen zu Gehör bekamen. Er zeigte uns bereits den Umgang mit diesem, indem er zwei Berserker während eines einzig vollzogenen Tanzes zweiteilte. Ihr habt die Geschichte von Fendrik erzählt bekommen.« Er legte Ben die Linke auf die Schulter. »Dieser Mann hier wird uns von nun an dorthin geleiten, wo unsere Ahnen seit Anbeginn der Zeit lebten. In ein friedvolleres mit Perspektive. Ich unterstelle ihm hiermit meine Loyalität und meine Anführerschaft.«
Ben bemerkte, dass vielerlei Augen sich verwundert auf Jarik richteten, der wiederum seine Worte mit Bedacht, Stolz und einer vollkommenen Ernsthaftigkeit aussprach. In seinem Blick, ruhte kein deut Unehrenhaftigkeit. Er schaute seitlich zu Ben und nickte leicht mit dem Kopf. »Du bist dran mein Freund, von nun an sind es deine Männer.«
Dankend und im Einvernehmen reichten sich beide die Rechte. Ben stellte sich mittig seiner Freunde und verschränkte die Arme hinter seinem breiten kräftigen Rücken und schwenkte den Blick von rechts nach links, der Front seiner Männer. »Freunde, Männer Middellandes. Wie ihr bereits erfahren habt, entstamme ich nicht dieser eurer Welt und wurde mittels Magie hergeholt, um zu tun, was euer Volk seit viel zu langer Zeit nicht zu vollbringen vermochte. Ich will euch nicht mit unnötigen Floskeln und Beweihräucherungen langweilen. Ihr habt euch hier versammelt, damit wir gemeinsam einen mächtigen Feind aus eurem angestammten Land stoßen. Dies wird uns jedoch nicht in den nächsten Tageswenden gelingen, auch nicht in den nächsten Monden. Wir alle sind hier, um zu einer Einheit zu wachsen. In diesem Lager, ...« Ben deutete die Fläche mit weit ausholenden Armen an. »... werden wir den Grundstein legen, um ein starkes und geeintes Heer zu werden. Wir werden lernen, zu Fuß aber auch zu Pferd das Schwert zu schwingen und die Pfeile sicher ins Ziel befördern. Auch werden wir lernen mit Lanzen, die wir anfertigen, unsere Feinde in Abständen und vom Rücken unserer Pferde in Grund und Boden zu mähen. Ich weiß, dass ihr gute Kämpfer seid, aber ...« er hob mahnend den Finger, »... niemand ist perfekt, schon gar nicht in einer auftretenden Macht. Jede eurer Handlungen im Kampf wird euer Kampfgefährte links sowie rechts von Euch wie ein Spiegelbild nachahmen. Wir werden reiten, aber niemals allein. Nur zusammen sind wir stark und unbezwingbar.«
Ben pausierte und gab den Männern Gelegenheit das Gesagte zu verdauen, als er abermals das Wort erhob. »Männer, wollt ihr weiterhin so leben wie jetzt, in Angst und Schrecken?«
»Nein!«, riefen alle wie aus einem Munde.
»Wollt ihr weiterhin zusehen, wie eure Familien geraubt, geplündert und geschunden werden?«
»Nein!«, grollten abermals die Anwesenden, diesmal jedoch vehementer als zuvor, sogar seine Freunde, stimmten dem Chor mit ein.
»Wollt ihr dieser Tyrannei, endlich Einhalt gebieten?«
»Ja, das wollen wir!«, jubelten allesamt und schwenken angeregt die Fäuste in der Luft.
»So soll es denn sein. Ich bin Benjamin – oberster Schwertmann. Eure Scharführer werden beginnend der morgigen Tageswende die einzelnen Trainingsabläufe besprechen. An jeder Zweiten werden wir gemeinsam im Beritt trainieren. Erst wenn wir alle bereit sind, beginnt unser Weg in die Freiheit. Wegtreten.«
Glück wünschende Worte wurden von seinen Freunden laut und jeder klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
»Gut gesprochen. Wie lange denkst du, werden wir verweilen?«
»Ich weiß es nicht Jarik. Ich weiß es wirklich nicht. Wir werden vorerst hart an uns arbeiten müssen und dann entsprechende Vorbereitungen treffen. Ich möchte gern, dass ihr eure Scharen bis zum äußersten drillt. Jede Bewegung muss auch mit benebeltem Kopf anstandslos funktionieren. Ich ziehe mich zurück und arbeite mit meinem geklaubten Material. Ich habe bereits ein paar Ideen, die ich ausarbeiten möchte.«
Beim gehen blieb Jarik an seiner Seite und beide schlenderten durch die Schlucht, hinüber zu den Hütten. »Benjamin?«
»Jarik?«
»Es kam aus dem Herzen.«
»Hm?«
»Als ich dir die Führerschaft übergeben habe. Ich würde dir mein Leben anvertrauen, ich meine es ernst.«
Abrupt blieb Ben stehen und ließ Jarik zwei Schritte an sich vorbei gehen, bis dieser bemerkte, dass er vorausgegangen ist. Beide schauten sich in die Augen, aber keiner wollte sich scheinbar zuerst rühren oder das Schweigen brechen. Beide Gesichtsausdrücke spiegelten Gelassenheit und Ben konnte keinerlei Zwietracht in den Zügen seines Gegenübers erkennen.
»Danke, Jarik. Deine Worte und deine Freundschaft bedeuten mir viel. Ich werde jetzt in meine Hütte gehen, etwas arbeiten und mich anschließend zur Nachtruhe begeben.«
»Verstehe. Wir sehen uns Morgen.«
»Ja, das werden wir.
Es war mitten in der Nacht und viele der umliegenden Lagerfeuer waren bereits erloschen, als sich die Jäger in ihre Zelte und Decken zum Schlafen begaben. In seiner Hütte glimmten noch die letzten Reste der Feuerstelle und warfen rötliche Schattenspiele an die Wände. Eine halb herabgebrannte Kerze erhellte den Bereich um den Tisch auf dem Ben verschiedene Materialien ausgebreitet und an einem Model bastelte.
Sand, kleine Hölzer mit Faden zusammengebunden und aus Holz grob geschnitzte Kästchen zierten einen zweckentfremdeten Rundschild, der als Unterlage herhalten musste. Unerwartet klopfte es an der Tür und riss Ben aus den Gedanken.
»Wer stört?«, grummelte dieser dem Störenfried zu.
»Bist du noch wach? Darf ich eintreten?«
»Komm rein Dario, ich bin noch munter.«
Die Tür schwang auf und der alte Gelehrte, bekleidet in einer gräulichen Robe, betrat die Hütte. Er sah sich kurzweilig um, nährte sich dem Tisch und schaute sich verwundert das halb fertige Model an, behielt jedoch jegliche Kommentare für sich. Er ließ sich ungebeten auf einem vorgezogenen Stuhl nieder.
»Ich sprach vorhin mit Fendrik. Ich weiß, dass ihr nach ausgiebigem Training aufbrechen werdet, um den Pass zu durchqueren.«
Ben ließ von seiner Bastelei ab und stützte sich vorgelehnt mit den Händen über den Tisch und reckte sich Dario entgegen. »Was weißt du davon? Ich habe Fendrik gegenüber nichts dergleichen erzählt. Und ... wieso trägst du diese Robe, passen die alten Lumpen etwa nicht mehr?«, entgegnete Ben argwöhnisch, mit zu schlitzen, verengten Augen.
Sein nächtlicher Gast schüttelte betrübt, aufgrund der Vehemenz in der Ansprache den Kopf. »Alles zu seiner Zeit«, wehrte dieser mit gezeigten Handflächen ab. »Verzeih, wenn ich jetzt noch nicht über derlei Dinge reden kann. Ich werde auch nicht mehr lange hier verweilen, nur wenige Zehnteltage bleiben mir, bevor ich meiner Wege muss.«
Ben kniff die Augen noch enger zusammen und musterte Dario aus Schlitzen. »Du solltest mir lieber erklären, was du vorhast. Erinnerst du dich an dein Versprechen?«
»Ja, das tue ich. Dennoch, ich kann nicht länger verweilen. Ich kann dir nur eines versichern ... es soll deinem Vorhaben dienlich sein. Ich hege keinerlei Absichten, dir oder jemandem anderen zu schaden oder schaden zu lassen«, erklärte er sich, konnte dabei aber dem argwöhnischen Blicken Bens nichts entgegen bringen.
»Wieso erzählst du mir das, ausgerechnet jetzt? Was für ein seltsames Geheimnis umgibt dich? Fendrik hat mir von seinem Gefühl dir gegenüber berichtet.«
»Der gute Fendrik. ein Nachfahre eines hochrangigen Schwertmannes aus früheren Zeiten. So natürlich auch sein Bruder. Ja, es gibt ein Geheimnis, das mich umhüllt. Dieses ist jedoch mehr eines, welches die Brut und deren Herrscher verwirren soll und mir erst kürzlich wieder zu Bewusstsein geriet. Ich verspreche dir, dass du und die anderen, es erfahren werden, sobald die Zeit gekommen ist.«
»Du machst es mir nicht unbedingt leicht, dir diese Nummer abzukaufen. Ich meine, dir zu glauben. Ich erkenne jedoch eine Lüge, wenn sie ausgesprochen wird, und will dir vertrauen.«
»Du glaubst mir?«, fragte Dario vorsichtig nach.
»Ich will es zumindest. Ich hoffe es für dich und dem Volke Rongards.«
»Gut, ich werde meine Sachen zusammenraffen und mit deiner Erlaubnis eines der freien Pferde nehmen. Wir werden uns wiedersehen – oberster Schwertmann.« Dario erhob sich, drehte Ben den Rücken zu und verließ ohne ein weiteres Wort die Hütte. Ben blieb allein zurück und schaute hinüber zur mittlerweile geschlossenen Tür.
Ein komischer Kerl, hoffentlich spielt er wirklich nicht gegen uns.
Er schüttelte benommen den Kopf und widmete sich wieder seinem Model.