Elm‘emo ritt westlich, fernab der alten Handelsstraße entlang, um Fehltritte seines Pferdes zu vermeiden und Verfolger von seiner Spur abzubringen. Morgengrauen wich Sonnenhoch und keiner seiner Häscher erschien am flachen, waldlosen Horizont. Ein Bach schlängelte sich vor ihm und er entschloss sich, eine kurze Rast für seine geschundenen Glieder als auch für das strapazierte Pferd einzulegen. Den Sattel jedoch ließ er auf dessen Rücken und löste nur den Bauchgurt, um den Schweiß mit dem allseits hochwachsenden Gras abzureiben.
Ein karges Mahl musste genügen, um noch vor Anbruch der Nacht bei den Ruinen anzukommen und so straffte er den Gurt seines Sattels und schwang sich gekonnt hinauf. Sitzend betrachtete er das Umland auf etwaige Bewegungen und trabte gemächlich an.
Die Nacht brach herein, als Elm‘emo sein Ziel erreichte. Die Ruinen der einst stolzen Hofschmieden Bregerans, abseits der Burg des Fürsten. Hier wurden die besten Waffen und Rüstungen der Marken geschmiedet. In der heutigen Zeit wusste niemand mehr um die Beschaffenheit und Herstellung jener – bis auf Halis. Der letzte Nachfahr der Schmiedemeister, Hüter des Wissens und deren Fertigung.
»Wer klappert mit seinem Pferd so spät durch mein Gebiet!«, schallte es als widerhallendes Echo aus den längst verfallenen Gemäuern. Uneingeschüchtert stieg Elm‘emo vom Rücken seines Pferdes und führte es lose haltend am Zügel.
»Halis! Guter Halis, Nachfahr der einst stolzen Hofschmiede. Ich bin der, den man als Dario kennt. Ich bin ein Freund und führe keinerlei Leid im Schilde!«, erwiderte er ohne erkenntliche Richtung in die Nacht hinein.
Ein kleiner Mann, kaum größer als ein Naïn trat aus den Schatten einer umwucherten Mauer hervor und beobachtete misstrauisch den Nahenden.
»Euer Name ist mir geläufig, Alter. Ich beobachte euer Herankommen bereits seit Längerem.« Er deutet mit seinem kräftigen Arm in östliche Richtung. »Seit dem ihr den Horizont überschrittet, hatte ich ein unangenehmes Gefühl. Ihr ringt um ein Geheimnis, wessen ihr gekommen seid. Auf euren Fersen führt ihr auch Verfolger mit euch. Geh ich recht der Annahme, dass ihr in Korint keine Freundschaften schließen konntet?«
»In der Tat, guter Herr Halis. Doch sollte dieses nicht hier im Echo der Berge gesprochen werden. Lasst uns einen geschützten Unterschlupf aufsuchen und ich will euch das meine zuerst erzählen. Ein Vertrauen gegen das andere. Ich vermute, dass meine Verfolger noch entsprechend entfernt sind und euch nicht sonderlich erregen.«
Der Kleinwüchsige wog das Angebot und winkte dem Hüter, ihm zu folgen. Er führte ihn behänden durch die Ruinenlandschaft und blieb vor einer unscheinbaren, mit Ranken überwucherten zerfallenen Mauer stehen.
»Eure Verfolger belasten mich nicht und sollen auch euch nicht weiter kümmern. Wir betreten jetzt mein Heim, einst ein Geschenk an uns. Die Erbauer, die kleinen Männer aus dem Geblüt der Naïns.« Halis griff mit der Rechten unter eine jener rankenden Gewächse und fingerte in einem Spalt umher. Ein leises leicht überhörbares Knacken und Mahlen von ineinandergreifenden Zahnrädern ertönte. Kurz darauf öffnete sich in der Mauer ein Spalt, aus dessen Fackellicht schien. Kaum breiter als ein gut gebauter Mann stramm trainiert, stand vor ihnen ein Durchgang offen, den zu durchschreiten Elm‘emo gebeten wurde. Das Pferd am Zügel hinter sich her führend betrat er einen schmalen Korridor, der sich nach wenigen Schritten zu einer geräumigen, aber komplett leeren Höhle erweiterte. Im Inneren dieser, in der eine leicht magische Schwingung zu spüren war, deutete nichts von einem Leben des Schmiedes hin.
Neben dem sich kurzerhand schließendem Eingang befand sich eine Nebenhöhle, aus der der übliche Geruch von Pferd und frischem Heu wehte.
»Seid so gut und bringt euren Gaul durch den Gang, hinüber in den Stall. Vergesst aber nicht, die Pforte zu schließen.« Halis war bereits im Begriff zu gehen, als er abermals stehen blieb und sich herumdrehte. »Danach folgt dem Weg gerade aus ...« er deutete in dessen Richtung. »... der Linke führt lediglich in meine Speisekammer und ich möchte davon abraten, ohne meiner ausdrücklichen Erlaubnis darin umherzustolzieren.«
»Selbstverständlich. Euer Dach, eure Regeln«, beschwichtigte Elm‘emo mit einer seines Alters würdigen Verbeugung.
In der kleinen hinterläufigen Höhle angekommen bemerkte er, dass sich ein weiteres Pferd in dieser aufhielt, und wurde misstrauisch. Das Pferd jedoch war trocken und nicht erhitzt, demnach wurde es nicht ausgeführt. Beruhigt begab er sich zu seinem Eigenen und griff nach dem umherliegenden Heu, um den Schweiß abzureiben. Futter und Wasser waren reichlich vorhanden, sodass er sich derlei keine Gedanken machen musste. Noch etwas ins Ohr seines treuen Weggefährten flüsternd machte er sich auf den Weg, der ihm beschrieben wurde, nicht jedoch ohne sich davon zu überzeugen, die Pforte des Höhlenstalles ordnungsgemäß zu verschließen. Mit einem Grinsen auf den Lippen dachte er sich seinen Teil zu der schleifenden Pforte.
Sie hakt und schleift gewaltig, ein wahrlicher Schmied ist das.
Kopfschüttelnd begab er sich auf den Weg und spürte abermals eine leichte uralte Magie in der Luft schwingen – Naïnmagie. Seit äußerst vielen Generationen verstand sich allerdings kein Naïn mehr auf diesem Gebiet, weswegen diese Höhle weit älter sein musste, als man sie den damaligen Hofschmieden, als Geschenk überließ.
Als er den bedachten Weg beschritt, eröffnete sich vor ihm eine geräumige und angenehm eingerichtete Wohnhöhle. Ausgesprochen symmetrisch, als Sechseck angelegt, beherbergte diese eine zentrale Feuerstelle, in der eine rauch- und duftfreie Glut glimmte. Wohlige Wärme breitete sich von dieser aus. Dicke Teppiche, mit besticken Bildnissen aus Handwerkstaten zierten die Wände und vermittelten mit dem klobigen Tisch und den vier gepolsterten Stühlen eine gemütliche Atmosphäre. In jeder Ecke waren Kohlebecken mit dem gleichen Inhalt wie der Feuerstelle aufgestellt und erhellten die Höhle rings herum.
Wie ist er an Brennstein gekommen? Befindet sich hier wahrlich noch eine Ader?
Elm‘emo sah sich um und erblickte etwas seitlich eines der Wandteppiche, einen weiteren Gang, der sichtlich in die Tiefe zu führen schien. Ein anderer, direkt neben ihm, führte seicht in höhere Lagen des Berges.
»Ah, da seid ihr ja. Ich hoffe, die Pforte ist verriegelt? Setzt euch zu mir und berichtet, was ihr hier gedenkt zu finden – Hüter«, lud ihn Halis ein, sich neben ihn auf einen der Stühle zu setzen.