Kurz vor Einbruch der Dämmerung verhalte der letzte Hammerschlag. Von jenem Moment an blieb nur noch das spärliche getriller der Schwingen zu vernehmen, die zur Abendruhe riefen. Die Palisade war vollendet und der letzte Riemen der Torsicherung gezurrt. Arbeiter überprüften den sicheren Sitz der zwei Torflügel sowie die Schienen für die ebenso zwei gegenüberbefindlichen Balken, die als Verriegelung dienten. Je ein Wehrturm flankierte das Tor zur Linken wie zur Rechten und beide waren mit einem breiten Steg verbunden, auf dem zwei zum Wachdienst eingeteilte, Posten bezogen, um die Umgebung fest im Blick zu behalten. Insgesamt säumten acht wehrhafte Türme und eine Zehn beständige Wachposten die gesamte Palisade, die nunmehr die Schlucht umschloss.
Einer von diesen bemerkte eine undeutliche Bewegung im dämmrigen Wald, beugte sich vornüber über die brusthohe Wehr und strengte die Augen an. »Ein Reiter! Er trägt Lanze und Wimpel!«, rief er und lockte Eric vom Tor hinauf auf den Turm, der sich die Richtung weisen ließ.
Der Gesichtete nährte sich im leichten Trab und hob grüßend den Arm.
»Verflixt, das wird doch nicht ...« Eric beugte sich zur Lagerseite und bedeutete einem der Handwerker eiligst Fendrik ans Tor zu beordern.
»Lasst ihn ein, es ist Yaeko. Er bringt Kunde der neuen Mark«, wies Eric die Posten an und kletterte die Leiter, die neben jedem Turm angebracht war, hinab, um seinem Freund am Tor willkommen zu heißen.
Der fortgeschickte Arbeiter, der nach Fendrik Ausschau halten sollte, rief laut nach dessen Namen und scheuchte so beinahe das gesamte Lager auf. Trainierende pausierten, um zu sehen, was vor sich ging und um was für einen Boten es sich handeln möge. Sobald der Reiter das Tor passierte, wies Eric die Posten an, das Tor zu verschließen und für die einbrechende Nachtwende vorzubereiten.
»Brrrr, ruhig.« Yaekos Pferd tänzelte von dem anstrengenden Ritt und schnaubte. Lediglich den letzten Wegeabschnitt hatte er es im leichten Trab laufen lassen. Die Lanze mit dem Wimpel Neumarks emporgehoben, sah er sich um und erblickte Eric; außerdem Fendrik, der sich breit grinsend und mit umarmender Geste nährte.
»Ich bringe Kunde aus Neumark, von unserem Fürsten – Herrn Benjamin – höchstselbst«, rief er mit stolzbeladener Brust und mit einem angeberischen Lächeln auf den Lippen.
»Was?! Fürst von ... Neumark?«, eröffnete Eric mit offenstehendem Mund.
Fendrik nickte derweil und klappte Erics immer noch hängenden Kiefer beiläufig mit dem Zeigerfinger zu.
»Mhm, so in der Art habe ich es mir beinahe gedacht. Vom Himmel gefallen, zum obersten Schwertmann gekürt und nun zum Fürsten erkoren. Erzähl uns alles mein Freund, aber zuvor sei uns im Lager des Widerstandes willkommen«, erwiderte Fendrik mit weit ausholenden Armen, ganz so als wolle er die Mark umschließen. »Kommt, lasst uns in meine Unterkunft gehen. Du hast sicher einen ansträngenden Ritt hinter dir.«
An einen der Arbeiter, die am Tor noch ihre Werkzeuge zusammenklauben gerichtet, orderte er an sich um Yaekos Pferd zu kümmern. Es sollte ordentlich abgerieben, getränkt und mit frischem Heu und Hafer gefüttert werden. Vorbei an neugierig schauenden Zivilisten, Arbeitern und Jägern führte Fendrik seine beiden Freunde hinab zu den ersten Hütten.
Yaeko musterte auf dem Weg gewissenhaft das Lager, welches sich derart verändert hatte. »Ihr ward fleißig. Neue Gebäude, die Palisade und Türme und einen Haufen neuer Leute.«
»In der Tat, das waren wir«, antwortete Fendrik. »Als ich mit meinen Männern zurückkam, waren die Bebauungen bereits in vollem Gange. Nur noch wenige Zelte säumen das Lager, die meisten bekommen wir in den Langhäusern unter. Nur unsere drei Ausgangsbauten sind belassen, wie sie waren. Schau nur – alles so, wie du es verlassen hast.«
Yaeko sah nach vorn, konnte in diesem Fall nur zustimmen und drehte sich staunend im Kreis herum. Erst jetzt bemerkte er die angedeuteten Gebäude und die ein- und ausgehenden Leute. Sie begaben sich zu dem Ausgangspunkt ihres Unterfangens und standen vor den ihm bekannten Bauwerken.
»Lass uns zu essen und Trinken bringen, unser Gast hat Hunger«, wies Fendrik eine Wache an.
»Sofort, Herr«, bestätigte dieser mit der Faust zum Herzen.
Nacheinander betraten sie die Mittlere der drei Hütten und verschlossen hinter sich die Tür. Freudig umarmten sie sich und Yaeko beteuerte, über das Wiedersehen hocherfreut zu sein. Sie nahmen die gereichte Mahlzeit zu sich und redeten über belanglose Ereignisse Middellandes.
»Prinzipiell wären wir schon länger bereit, den Nachschub zu entsenden, wollten jedoch vorerst auf Nachricht warten. Was hielt euch auf?«, verlangte Fendrik zu erfahren.
»Benjamin und Jarik wollten warten, bis der Pass-Weiler eigenständig und ohne weitere Einmischung vorankommt. Die Beiden sind direkt nach meinem Aufbruch mit den Übrigen losgezogen, um die Baustellen für einen Zweiten vorzubereiten. Ebenso sind Leute ausgezogen, um Gehöfte für Viehzucht zu bauen.«
»Pass-Weiler« Fendrik ließ sich die Benennung einer Gemeinschaft auf der Zunge zergehen. »Endlich eine Niederlassung mit einem eindeutigen Namen. Ihr seid scheinbar nicht nachlässig geworden. Ihr habt euch einen Fürsten geangelt und vermutlich Jarik als obersten Schwertmann befürwortet?«
»Kann ich nicht sagen, Eric. Als ich aufgebrochen bin, hatte Benjamin noch niemanden benannt, er war ziemlich überfordert mit der Situation. Aber unser erste Weiler ist wie hier wehrhaft ausgerichtet. Mehrere Gehöfte für den Ackerbau stehen im Umland zu diesem und genießen so zusätzlichen Schutz.«
Bis spät in die Nacht hinein unterhielten sich die Drei, zumeist über zusammen Erlebtes und was die Zukunft bringen möge. Was Eric auf seinem Streifzug durch die Marken widerfuhr und was für Leute sich tagtäglich im Lager einfanden. Viele Menschen aus den flussnahen Marken zogen ins Landesinnere, da die Invasoren immer brutaler vorgingen und vielerorts entführten, oder schlicht töteten.
»Wie lange wirst du bei uns bleiben?«, fragte Fendrik gerade heraus, ohne ein konkretes Ziel damit zu verbinden.
»Zwei Zehntage hat mir Benjamin gelassen. Wir sollen gemeinsam den Tross und die Begleitenden entsprechend vorbereiten.«
»Wohl dann. Es ist bereits spät und auf uns warten harte Aufgaben«, erwiderte Eric gähnend.
Sie verabschiedeten sich und begaben sich zu ihren Schlafplätzen. Yaeko blieb bei Fendrik in der Hütte und bezog in dem alten Lagerraum Bens Quartier, wo man einen zusätzlichen Schlafraum hergerichtet hatte.