Unmengen von unordentlich umherstehenden Zelten und voll beladenen Karren drängten sich in einer Lichtung am nordöstlichsten Punkt Bregerans. Geschützt vom üppig bewachsenen und umfangreichen Wald, fühlten sich die hier versammelten relativ sicher und saßen dicht gedrängt an gut geschürten Feuern.
Nahezu dreihundert verschiedenster Leute und Herkunft hatten sich in der Waldschneise vereinigt, um auf den einen Reiter zu warten, der sie in eine zukunftssichere Mark führen solle. Halis und sein Gefolge, bestehend aus fünfzig Männern und Frauen, begleitet von Elm‘emo, waren die Letzten, die sich ihnen vor zwei Tageswenden anschlossen. Als sie sich durch die Reihen der Bäume zwängten und die Lichtung betraten, stand eine junge Frau mit den Fäusten in den Hüften grinsend vor ihnen und begrüßte die Neuankömmlinge freudig. Sie schritt dem Hüter geradewegs entgegen, und sprang ihn um den Hals und bedankte sich für den Ratschlag ihre Leute hier an diesen Ort zu führen. Sie flüsterte ihm ihren Namen ins Ohr. »Tessa. Mein Name lautet Tessa.«
Elm‘emo saß ihr direkt gegenüber am Feuer und erkannte erst jetzt ihr wahres Antlitz. Vom Schmutz befreit, war sie äußerst hübsch anzusehen. Kupferfarbenes, kurz geschnittenes Haar mit blassbraunen Augen und einer sanft melodischen Stimme. Sie erzählte ihm von ihren Fortschritten in der Heilkunst, als einer der abgestellten Wachposten von einem der umliegenden Bäume einen Warnruf abgab. »Reiter! Es nähern sich Reiter!«
Hufgetrappel hallte im Wald und drang durch die Lichtung. Sofort entstand Aufregung und erhöhte Achtsamkeit der Wehrfähigen, die ihre Waffen zogen und fest packen. Frauen griffen zu ihren Kindern und umarmten diese beschützend.
»Schnell Elm‘emo, ich glaube, ihr sollt recht behalten. Ob einer von denen nun auch euren Wimpel trägt, wird sich gleich zeigen.«
Ohne das sich Angesprochener erhob oder herumdrehte, legte er dem Sprecher beruhigend die Hand auf die Schulter. »Ich weiß, mein guter Herr Halis. Fendrik und seine Schar reiten auf uns zu.«
Die Reiter fächerten auseinander und trabten wachsam aus den Schatten der Bäume, hinaus auf die Lichtung, wo sie erstaunt zum Stehen kamen. Leises Gerede und schnauben der Pferde.
»Dort, der Alte und der Kurze, wie in meinem Traum. Sie sind die Anführer, deretwegen wir gekommen sind«, bedeutete Fendrik mit seiner Rechten in deren Richtung. »Heb den Wimpel. Ich will, dass alle sehen, dass wir ihn führen. Der Alte voraus muss dieser Wanderer sein.«
Fendrik gab Zeichen zum Absitzen und nährte sich mit ausladenden Schritten dem vermeintlichen Hüter. Die Menge der verängstigten Menschen teilte sich vor ihm und gab den Weg frei.
»Dein Traum hat dich also zu mir geführt«, stellte Elm‘emo nüchtern fest. »Auch an den Wimpel hast du gedacht. Gut gemacht mein Junge.«
Fendrik schüttele leicht zerstreut den Kopf und richtete mahnend seine rechte Faust empor. »Warum kehrt ihr ausgerechnet jetzt wieder in unser Leben, Hüter? Ihr hättet bereits viel eher das Volk einen können.«
Elm‘emo, der diese Haltung weder erwiderte noch für voll nahm, richtete sich stattdessen an den kleinen Mann neben ihm.
»Darf ich vorstellen, guter Herr Halis. Fendrik, Bruder von Jarik aus dem Familienerbe der Fordres. Und dies ist Yaeko, Scharführer von Benjamin, des Fürsten von Neumark.«
Der letzte leibliche Nachfahre der Hofschmiede Bregerans schaute zu jedem Genannten und nickte diesem anerkennend zu, die bei Nennung ihrer jeweiligen Namen sich neben Fendrik gesellten.
»Die Gebrüder Fordres sind mir bekannt. Ihr Tatendrang wird bis hinauf in die äußersten Winkel der Mark gehört und geehrt. Auch die Freunde Yaeko und Eric sind vom Namen her geläufig. Nur diesen Benjamin, den kenne ich erst durch eure Erzählungen.«
»Ihr ähnelt einer Person die ich meine zu kennen, Hüter«, bedachte Yaeko und legte entspannt den linken Arm lose über seinen Rechten, der nach wie vor die Lanze mit dem Wimpel aufrecht hielt.
»Ihr liegt mit eurer Vermutung nahe bei der Wahrheit. Ihr habt ein geschultes Auge, Herr Yaeko. Ich erhielt erst kürzlich mein Erinnerungsvermögen und somit auch meine Gabe zurück, die sich an meine damalige Aufgabe unabsichtlich band. Ich möchte euch von dieser erzählen, damit ihr meine Beweggründe versteht und nicht voreilig fehlgeleitete Schlüsse zieht.«
»Eure Geschichte in Ehren, Hüter. Ich höre sie mir gern an, nur sollten wir dies unterwegs erledigen. Wir haben uns von unserem Tross entfernt, um einem Traum Fendriks Folge zu leisten. Wir sind verabredet und müssen uns zeitnah vereinigen. Ich schlage vor, ihr und der gute Herr Halis bringt diese Menschen hier auf Trab und lasst anreiten«, erwiderte Yaeko trotzig, wissentlich, dass seine Rückkehr in Neumark längst erwartet wurde.
Meine erste gewissenhafte Aufgabe und ich komme zu spät, um zu berichten, wann der Nachschub eintrifft – wunderbar. Benjamin reißt mir die Ohren ab.
Die zusammengefundene Menschenmenge rückte näher zusammen um die Neuankömmlinge in Augenschein zu nehmen und zu erfahren, was geschehn sollte. Halis nickte verständnisvoll, drehte sich zu den sich enger Versammelten herum und kletterte auf einen der nahestehenden Lastenkarren. Er sah sich um und wedelte mit seinen Armen und mahnte durch trichterförmig gehaltene Hände zur Ruhe. »Leute von Bregeran, seid leise und hört mir zu. Wir wurden von dem guten Herrn Elm‘emo gebeten, uns hier zu versammeln und haben keine Mühen gescheut, diesem Geheiß zu folgen. Einige unter Euch mussten herbe Umwege in kauf nehmen, um Patrouillen der Brut, oder den Leuten aus Korint zu umgehen. Wir alle haben den grünen Wimpel erblickt und somit ist für uns der Zeitpunkt gekommen. Bewegt die müden Knochen und lasst uns in eine heilere Zukunft ziehen.«
In dem provisorischen Lager entstand nach und nach Bewegung, als die umherstehenden Kisten und Taschen zusammengeräumt und Zelte abgeschlagen wurden. Kinder wurden auf Karren gesetzt, um den Abbrucharbeiten der Erwachsenen nicht im Wege zu stehen. Jeder von ihnen wusste, dass Eile geboten war und jeder half jedem, auch die Männer Fendriks packten mit zu. Sobald sämtliche Fuhrwerke beladen und alle aufgesessen waren, gab Fendrik Befehl zum Abmarsch.
»Yaeko, reite du voraus und berichte vom Zuwachs. Der Tross soll warten, bis wir in Sichtweite kommen.«
»Unterwegs.«
Gemeinsam mit einem gewaltigen Karrenzug und vielen Menschen im Nacken führte Fendrik die Leute östlich zum zweiten Wegepunkt, um sich dort mit Eric und den Anderen zu vereinen.