Aguschal und seine Kämpfer beschritten die Pfade des Gebirges und hielten sich grundsätzlich außer Sichtweite der Pferdeherren. Zum großen Teil hatten Steinschläger auf ihren Spähwegen immer wieder diese ursprünglichen Naturellen Pfade erweitert, sodass diese bequem zu zweit nebeneinander begehbar waren. Etwa mittig des Passes hatte sich vor langer Zeit ein gewaltiger Gesteinsbrocken aus der Gebirgswand gelöst und sich auf dem Weg nach unten in Unmengen kleinerer Brocken zersprengt. Zurückgelassen hatte er eine Ausbuchtung, die die Steinschläger bereits vor langer Zeit zu einer kleinen umschützten Lagerfläche ausbauten, die den lagernden Kämpfern so reichlich Platz boten und den Pass sowie dessen eiförmigem Tal weitestgehend unbeobachtet einsehen ließ.
»Oh, sieh nur Aguschal. Sie haben das Tal weiter ausgebaut. Sogar die Unterkünfte und der Stall sind aus solidem Stein gebaut. Nicht gerade das, was wir bauen würden, aber immerhin.«
»Mhm, sie scheinen sich tatsächlich fest einnisten zu wollen. Nur mit dieser hölzernen Wand allein können sie einfallende Horden nicht lange aufhalten. Dazu benötigen sie eine grundsolidere Bauweise.«
»Wer weiß, was sich ergibt. Vielleicht hat euer Vater, der Herr König, Recht und ein erneutes Bündnis führt uns zurück ins Herz des Berges. Je umschlossener die Menschen das Tal halten, umso sicherer leben auch wir.«
»Ich stimme dem zu, Galoth. Lasst uns weiter ziehen, wir haben alles gesehen und wir sollen noch den Zugang des Passes von diesem Brut verseuchten Land in Augenschein nehmen.«
»Kabar sollte mit den Übrigen bereits nahe der Aussichtsplattform sein. Nur gut, dass unsere Steinschläger die verschlungenen Pfade etwas breiter gestaltet haben, ohne dass es von der Ebene aus auffällt.«
»Abermals stimme ich zu.«
»Mein guter Prinz, nicht dass das zur Gewohnheit wird«, spottete Galoth neckisch, als sie aufbrachen und ihren Lagerplatz über dem kleinen Tal in südliche Richtung verließen. Sie hatten vor, sich ihren vorausgeschickten Kampfgefährten anzuschließen, die mittlerweile nahe Middellande sein sollten, um von einer uneinsehbaren Aussichtsplattform die Gegend zu beobachten. König Goram war der Auffassung, der Berg habe ihm angeraten dies zu tun, um einem einzutreffenden Ereignis entgegenzuwirken.
Jarik ritt mit seinem halben Beritt durch den nordöstlichen Waldrand, als Ben mit dem seinen auf dem unteren Waldweg, der zum Pass-Weiler führte, eintrabte. Vom Weiler schallten freudige Rufe und die Arbeiter sahen sich verwundert der zwei Fronten um, die sich einander näherten. Die Bewohner des Weilers hatten ihr neues Zuhause weiter ausgebaut und angefangen die sich kreuzenden Dachbalken der Häuser mit Schnitzereien zu versehen. Die schlichten Enden verschönerten schnitzbegabte Schreiner zu Pferdeköpfen. Fahnen in den Farben der Mark und dem eigenen Symbol, ein angedeuteter Pass in einem Gebirgseinschnitt, wehten auf den Dächern der Türme. Die ausgebrachte Saat auf den Ackerflächen wuchs und gedieh. Die Höfe der Bauern standen fertig gebaut nahe einer im Bau befindlichen Mühle.
Die hiesigen Holzfäller hatten ein ansehnliches Lager geschaffen, welches mit gefällten und geschälten Stämmen aufgehäuft war, an denen die Schreiner ihr Tagwerk verrichteten um daraus Balken, Bohlen und Bretter zu sägen. Das Lager des Steinbruches hingegen war stark eingeschrumpft, da ihm bereits ein voll beladener Wagenzug bei den Berittübungen entgegenzog, um das dringend benötigte Steingut zu den Baustellen am See zu schaffen.
»Der Fürst. Der Fürst und sein Beritt nahen«, erklangen hinweisende Rufe von den Wehrtürmen.
Vor dem Weiler versammelten sich die unbeschäftigten Bewohner und viele eilten von ihren Feldern herbei. Ben vereinigte sich mit dem Beritt Jariks vor den Ackerflächen und ritten Seite an Seite. Vor dem Tor zum Weiler trat ihnen Angrol entgegen, den die Bewohner zum Sprecher ernannten, und verneigte sich ehrfürchtig. »Mein Fürst. Jarik. Seid willkommen bei uns. Sitzt ab und leert mit uns den Becher.«
»Der Einladung kommen wir gern nach, guter Herr Angrol. Wie sich unschwer erkennen lässt, ist das Leben hier am Pass-Weiler bereits in die Herzen der Euren zurückgekehrt.«
»Dank euch, mein Fürst. Ich habe zurzeit Vorbereitungen kehren lassen, um Arbeiter hinauf zum See zu entsenden. Dort kann man erfahrene Handwerkshände sicher gut brauchen.«
»Wohl gesprochen. Wir sind auf dem Weg durch den Pass nach Middellande. Wir wollen dort die Gegend bestreifen und schauen, wo Yaeko mit dem Nachschub bleibt. Reicht uns die Becher, guter Herr Angrol. Wir wollen im Anschluss noch das Licht des Tages nutzen, um zur Dämmerung wieder auf heimeligem Boden zu stehen.«
»Leute, reicht Becher und Getränke! Der Beritt hat es eilig, weiterzukommen«, rief Angrol über seine Schulter hinweg, woraufhin Umstehende sich eiligst hinter die schützende Palisade begaben, um gleich darauf mit Bechern und Krügen vorzutreten. Wasser wurden durch die Reihen des Berittes gereicht und ein jeder nahm die Geste dankend entgegen. Die Hälse und Münder waren durch die Berittübungen staubig und trocken geworden. Die Reihen wechselten zwar generell in der Anordnung durch – jeder ritt mal vorn im Beritt und auch wieder hinten, aber jeder schluckte durchweg etliches an Staub, ausgenommen der Berittführer und sein Wimpelträger.
Steht uns bei. Benjamin, hilf. Ich weiß nicht, ob wir dem gewachsen sind.
Ben, der den gereichten Becher zum Mund führte, hielt auf halbem Wege inne und verzog argwöhnisch die Brauen. Jarik bemerkte die Geste und neigte sich zu seinem Freund hinüber. »Was ist los?«, flüsterte er.
»Hast du das eben auch gehört?«, erwiderte Ben und trank einen kleinen Schluck des kühlen Nass. Voller Bedenken sah er sich um.
»Gehört? Was soll ich gehört haben?« Jarik schaute erwartungsvoll in die Runde und fixierte den noch gefüllten Becher Bens, der sich den Inhalt besah und hinauf zur strahlenden Sonne schaute. »Ich weiß nicht. Ich dachte, ich habe die Stimme deines Bruders gehört.«
»Fendrik? Der ist doch in Middellande und nicht ...« Jarik stoppte mitten im Satz, als einer der Turmwachen einen eiligen Reiter ankündigte und zum Pass deutete.
»Nein, nicht schon wieder«, hauchte Ben mehr zu sich als zu angezeigter Richtung.
»Das Flüstern im Wind?«, warf Jarik ein.
»Ich hoffe nicht«, dennoch nickte er bejahend.
»Es ist Yaeko in vollem Galopp. Da stimmt was nicht.«
»Sofort aufsitzen Männer!« Ben schmiss den Becher von sich und schwang sich während der Order in den Sattel Artemis und ritt dem Boten entgegen. »Yaeko, was ist passiert, wo ist der Nachschub?!«
»Brut! Sie stehen vorm Pass ... Nachschub in Gefahr«, brüllte ihm dieser aus vollen Lungen entgegen.
»Los Männer, ab durch den Pass! Unsere Freunde brauchen uns. Eile ist geboten!« Ben riss sein Schwert aus der Scheide und schwang dieses wie zum Angriff befehlend nach vorn. Leere wie noch halb gefüllte Becher wurden achtlos fallen gelassen, als der komplette Beritt, bestehend aus einer Hundertschaft Reiter voran sprang und sofort in vollem Galopp verfiel.
Yaeko wendete sein Pferd und presste ihm die hacken in die Flanken, um neben Ben herzueilen, der mit grimmigem Blick und vorgezücktem Schwert an ihm vorbeipreschte. Als die Freunde auf gleicher Höhe waren, berichtete Yaeko ihnen in knappen Worten, was sich zugetragen hatte. Die stehenden Passwächter hatten das Tor der Palisade komplett aufgezogen, um dem Beritt freien Durchlass zu gewährleisten und dem nahen Tross hindurch zu lassen. Die zwei Scharen der Wacht waren ohne Umschweife in die Sättel ihrer Pferde gesprungen und ritten bereits voraus. Die Arbeiter, die ebenfalls am Pass verweilten, würden den nahenden Karren und Menschen den Weg weisen sowie zu Fuß Laufende in die hinteren Bereiche des Tales schicken, um für ausreichend Platz zu sorgen.
»Gut gemacht. Wir werden es schaffen, wir müssen es schaffen. Eilt euch Männer, es gilt erneut! Tod dem Feind!«, schalte des Fürsten Echo durch den Pass, als Yaeko mit seinem Bericht endete.
»Tod dem Feind!«, donnerte es aus den Mündern des Berittes, die ihre Pferde und Rösser anspornten, der drohenden Gefahr gnadenlos entgegen. Bedingt dessen, dass der Pass von umherliegendem Geröll befreit und Schlaglöcher beseitigt wurden, konnten die Reiter gefahrlos in vollem Galopp hindurch.
Benjamin, ich bete, dass ihr nicht zu weit weg seid.
»Jarik, ich höher es wieder«, zischte Ben unter zusammengebissenen Zähnen hervor, da der Ritt durch den Pass für Mensch und Pferd äußerst anstrengend war.
»Du machst mir Angst. Wir sind gleich an der Wacht.« Zur Antwort erhielt Jarik allerdings nur einen vielsagenden Blick, der verriet, dass es seinem Freund nicht anders ging. Angst um seine Freunde und den Menschen der Kolonne.
Donnerndes Echo von unzähligen Pferdehufen echote dem massiven Felsgestein wieder und erzeugte so ein bemerkenswertes Geräusch eines drohenden Sturmes. Die Arbeiter der Pass-Wacht eilten, sofern sie nicht bereits auf sicherer Höhe der Palisade standen und dem nahenden Beritt entgegen blickten, in Sicherheit. Der Fürst Neumarks preschte in vollem Galopp mit seinem Geleit an ihnen vorbei und drängte durchs offenstehende Tor. Sobald die Reiter komplett hindurch waren, sprangen die Arbeiter herbei, und füllten Eimer mit frischem Wasser und stellten diese an Palisade und Gebäude um die Pferde des Trosses und der rückkehrenden Beritte zu tränken. Heu zum ordentlichen Abreiben wurde aus dem Stall gezogen und griffbereit abgelegt, sowie Verbandsmaterialien sortiert. Alles musste für Eventualitäten vorbereitet sein. Zusätzliche Pfeile wurden in Fässern auf die Stege und Türme der Palisade bereitgestellt, sowie weitere Eimer mit Wasser zum Löschen von etwaigen Feuern.