»Wir müssen ihnen helfen, Aguschal. Die Brut zerfetzt sie und es ist der Wille des Berges.«
Angesprochener haderte und seine Fingerknöchel knackten, so fest umgriff er seine Waffe. »Einen Dreck drauf, hier sterben Unschuldige. Beschützt die Zivilen, macht sie nieder. Ai-Oi«, rief es von den Berghängen, von wo aus kleinwüchsige jedoch äußerst kräftige Männer herabgeeilt kamen. Sie sprangen furchtlos die steilen Abhänge hinab und rutschten auf ihren stabilen Stiefeln mit viel Staub und Getöse herab. Mutig verstärkten sie die rechte Flanke und stellten sich den wütenden Bestien mit Speeren und Äxten entgegen. Die noch kampffähigen des Berittes blickten sich verwundert um. Dank der unerwarteten Unterstützung der kleinen Männer durchströmte den Kämpfern neuer Kampfeswille und schafften es so verlorenen Boden wieder gutzumachen.
»Schlagt sie zurück! Wir müssen sie aufhalten!«
»Fendrik! Wir müssen zusammenrücken, sonst ist alles verloren!«, brüllte Eric ihm entgegen, der bereits einige der Männer um sich scharrte. Er bot den Gouwors somit jedoch ausreichend Platz zum Ausbrechen und diese nutzten die gebotene Lücke instinktiv aus, um dem neu aufgetauchten Feind, den Naïns, entgegenzutreten. Das Siegesglück schien sich abermals zugunsten der Brut zu wenden, als dröhnende und trommelnde Geräusche wie Donnergrollen vom Berghang echoten. Alle vor dem Pass drängenden Flüchtlinge eilten und sprangen aufgeregt und in Hast zur Seite.
Ben griff zu seinem Horn, welches er als Geschenk von Korian zur Ernennung zum Fürsten erhielt, führte es zum Mund und blies langatmig und kraftvoll in dessen Mundstück. Geschnitzt aus dem Horn eines wilden Hornviehs und mit einem eingekeilten Stück leichten Holzes erschallte ein hell tönender Bass durch den Pass hinaus in die Ebene Middellandes. Vermischt mit dem begleitenden Echo von viermal einhundert Pferdehufen klang es in den Herzen der Reiter wie eine Symphonie. Ein längst verloren geglaubter Ton schallte und schenkte selbst dem letzten Zweifler den Mut und die Kraft, die jener dachte, nie besessen zu haben.
Dieses unerwartete Geräusch ließ selbst die hartgesottenen Gouwors innehalten und erstaunt aufsehen und in die Richtung dessen blicken. Ein Berittener nach dem anderen preschte unaufhaltsam aus dem Pass und eilten der Front entgegen - es wurden unaufhörlich mehr. Die Hufe der Pferde und Rösser ließen Gras und Boden hinter sich hoch in die Lüfte steigen.
»Keine Gnade, voller Ritt! Brecht der Horde das Genick!«, schallte Jarik ohne zu ahnen im Reim den Männern zu. In den Reihen des Trosses keimte neue Hoffnung und brüllten diese grölend und tosend lauthals hinaus.
»Haho!«
»Vernichtet sie!«
»Schlachtet sie ab!«
Die anfängliche Siegessicherheit der Invasoren schlug um in Panik und drehten sich zur Flucht. Es gab jedoch keinerlei Rückzugsmöglichkeit und sie wurden von den Kämpfenden, angeführt von Fendrik und den Naïns, von der linken Flanke zwischen den Hufen des neuen Berittes förmlich eingekeilt. Die Männer unter der Führung Bens waren um ein Vielfaches routinierter als die Fendriks und zeigten dies überdeutlich. Auch die Pferde schienen kampfesmutiger zu sein, denn sie Keilen und Bissen wie eigenständige Kämpfer.
Lanzen wurden behänden aus gespickten Leibern gerissen, bevor diese brechen oder splittern konnten. Feinde wurden von auskeilenden Pferden zu Tode getrampelt, bevor diese sich auch nur ansatzweise ihre Klingenknochen bedienten.
»Verfolgt sie! Keiner entkommt!«, brüllte Ben und zeigte auf die sich Entfernenden, die sofort von mit Pfeil und Bogen bewaffnete Reiter verfolgten. Sich im Sattel umdrehend fixiert er einen seiner eigenen Männer und bedeutete ihm seiner Aufmerksamkeit. »Scharführer! Schafft den Tross durch den Pass. Ich will niemanden mehr sehen, der hier nichts zu suchen hat!«
Vereinzelt wurde noch gekämpft und die Brut war bereits stark unterlegen. Die Schlacht war geschlagen und die Männer Fendriks sanken erschöpft und kraftlos zu Boden. Die Kämpfer aus Neumark ritten hocherregt über die Lichtung und durchkämmten zu je einer Schar aufgeteilt die nähere Umgebung des Waldes, um Versprengte der Brut ihre Rache spüren zu lassen. Andere sprangen von ihren Pferden und eilten den Verwundeten zu Hilfe.
»Fendrik, Eric! Seid ihr in Ordnung?«
Die Gerufenen hoben als Antwort jeweils die Rechte und versammelten ihre noch kampffähigen Leute um sich.
»Gerade rechtzeitig, wenn kurz vor euch nicht die tapferen kleinen Männer gekommen wären, lägen wir bereits in unserem eigenen Blut«, erklärte Fendrik, der sich kopfnickend und sichtlich erschöpft zu Ben gesellte.
Einer jener kleinen Männer nährte sich den Beiden und reichte dabei Ben die Hand, der die gebotene emotionslos entgegen nahm. »Wir werden gern als solche bezeichnet, die wir nach Geburtsrecht sind, Pferdeherr. Naïns. Wir beobachten euch, seitdem ihr mit euren Leuten durch den Pass zogt und begonnen habt, dahinter zu siedeln. Mein Vater, König Goram schickte uns aufgrund einer Vorahnung, die sich schließlich bewahrheitete. Mich nennt man Aguschal.«
»Sehr erfreut, Prinz Aguschal. Ich danke für die Hilfe. Ohne euch wären meine Freunde und die Menschen ...« er zeigte hinauf zum Pass »... wohlmöglich allesamt Tod.«
»Ihr seid der, den die euren als Fürsten erwählt haben – Benjamin? Ihr und eure Männer habt fabelhaft gekämpft und erinnert mich an die Pferdeherren von einst.«
»Eben dieser jemand bin ich, ja. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber lasst uns, bevor wir weiter plauschen, sehen, dass wir unsere Verwundeten versorgen und die Toten anständig ehren. Wir müssen für Ordnung sorgen. Vorher können wir nicht zurück nach Neumark.«
»Wir werden euch und den Euren zur Seite stehen und helfen. Ich habe glücklicherweise keinen meiner Gefährten verloren, sodass wir den euren unbekümmert zur Hand gehen können. Wir schaffen die Kadaver dieser widerwärtigen Brut zusammen und entfachen ein ordentliches Feuer.«
Daraufhin drehte Aguschal sich um und schlenderte auf seinen kurzen Beinen zurück zu den seinen. Er erteilte Befehle und deutete in verschiedene Richtungen, woraufhin seine Begleiter begannen, ihre Order auszuführen. Die mit Äxten bewaffneten Naïns begaben sich an den Rand der Lichtung und schlugen schmale Bäume, um diese für das gewünschte Feuer zu nutzen. Andere von ihnen stießen ihre Speere in den Boden und spuckten in die Hände. Sie packten die Kadaver der erschlagenen Brut, nicht ohne zuvor auf diese zu spucken oder zu treten, und warfen diese auf mehreren Haufen zusammen. Die Männer der Beritte führten ihre Pferde und Rösser an den Zügeln hinauf vor dem beginnenden Pass und ließen sie dort frei grasen, um es den Naïns gleichzutun. Andere kümmerten sich um die Verwundeten oder trugen gefallene Kameraden und reihten diese nebeneinander auf.
Gemeinsam beseitigten sie die Spuren des herben Gefechtes. Sorgfältig trennten sie Leichen und deren Überreste und überließen die feindlichen Kadaver lodernden Flammen der geschürten Feuer, die Elm‘emo mit seiner Gabe heißer brennen ließ, als es diese unter normalen Umständen je getan hätten.