Pünktlich zum Morgengrauen rollten sich die schlafenden der provisorischen Zeltstatt aus ihren Decken und streckten sich gähnend. Müde Augen wurden gerieben, um eiligst mit dem Einreißen ihrer mitgebrachten Zelte zu beginnen und auf eigenst mitgeführten oder zugeteilten Fuhrwerken zu verstauen. Die Bewohner des Pass-Weilers kümmerten sich um die nicht mehr benötigten Koppeln und schafften die Materialien beiseite, ebenso wie nicht mehr benötigte Zelte wie Zeltbahnen. Angrol bot den Verletzten und deren Familien an, weiter zu verweilen. Es standen noch Gebäude leer und warteten auf Bezug, sodass sich Angesprochene, dazu entschlossen, dem Angebot nachzukommen. Sie lenkten ihre Karren zu ihrem neuen Heim oder rafften ihre Habe von geliehenen und machten sich sodann auf den Weg.
Ben war schon früh auf, half Halis bei seinen Vorbereitungen und besprach mit ihm die erstellte Liste des Nachschubes. Namen von Handwerkern, mitgebrachte Materialien und vieles mehr hatte er sich notiert und reichlich Kopfschütteln geerntet, weil in Rongard nur die Gelehrten das Setzen der Zeichen mächtig waren. Yaeko nährte sich mit einer Schar und berichtete, dass die Umfriedungen an den beiden Höfen im Osten wie Westen fertiggestellt und alle Anstrengungen nun darauf beruhten, die Wohn- und Arbeitsgebäude zu vollenden. Die Namens- und Materialliste durchgehend, tippte Ben auf zwei Einträge, dessen Personen es zu finden galt. »Martram und Horduz. Sie sollten sich drüben bei den zusammengetriebenen Herden aufhalten. Schau, dass du sie ausfindig machst.«
Es dauerte nicht lange, als die Gesuchten nebeneinander vor Ben standen und die Köpfe zum Gruße neigten. »Herr.«
»Ah, wunderbar. Ich habe frohe Kunde für euch und eure Familien. Die im Bau befindlichen Höfe, in denen ihr künftig leben und arbeiten sollt, bedürfen eure Hilfe. Mein Oberscharführer hat mir soeben mitgeteilt, dass die Koppeln für die Herden errichtet sind. Im Osten entsteht ein Hof für Pferdezucht und im Westen einer für Hornvieh und Schafe. Auf den Höfen befinden sich bereits Arbeiter, ihr solltet jedoch weitere Helfer aus dem hiesigen Tross bitten, euch zu begleiten.«
»Herr, wir sind erst vor wenigen Zehnteltagen in dieser prächtigen Mark eingetroffen und ihr beschenkt uns mit einem eigenen Hof?«
»Ja, so ist es. Schnappt eure Familien, sucht euch Helfer und zieht mit euren Herden und Karren zu genannten Höfen. Ich entsende je eine Schar als Geleit mit auf dem Weg.«
»Herr, mich nennt man Martram den Pferdezüchter. Ich danke euch, auch im Namen meiner Familie. Wir sind euch zu tiefsten Dank verpflichtet.«
»Auch ich, Horduz. Bedanke mich, ebenfalls auch im Namen meiner Lieben. Wir wollen dem neuen Weiler zur Einweihung mit Fleisch und ausreichend Milch versorgen. Habt Dank.«
Beide verneigten sich und strahlten über das komplette Gesicht.
»Dankt mir nicht zu früh. Es gibt noch reichlich zu meistern in unserer jungen Mark. Die, die euch beim Bau helfen, werden auch Hilfe von euch erwarten.«
Die beiden Männer neigten ihre Köpfe abermals und begaben sich breit grinsend zu ihren Familien, um sich anschließend nach ausreichend helfenden Händen umzusehen. Ben führte in Begleitung von Jarik und Yaeko den Rest des Trosses an und leitete sie weiter nördlich zum See, wo sie bereits erwartet wurden.
»Oberscharführer?«
»Mhm«, brummte Benjamin im Einklang mit Jarik.
»Sie kommen! Da, sie kommen!«, rief einer der Arbeiter vom Dach eines gerade zu deckenden Wohnhauses. Überall wurden Beschäftigungen niedergelegt und von allen Seiten traten die Menschen zusammen, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Die begleitenden Jäger schwenkten aus und hielten auf das abseits gelegene Lager zu.
Während der Abwesenheit des Berittes hatten die Arbeiter es geschafft, die Fischerhütte samt Steg zu übergeben, sodass einer der ihren, der sich mit Fischfang meinte auszukennen, dort sein eigenes Heim beziehen durfte. Die Karren der Ankömmlinge wurden außerhalb des Baugeländes stehen gelassen und zu Fuß begaben sich viele zu den Grüßenden, um sich die Hände zu reichen oder gar zu umarmen. Freunde, Familien und ferne Bekannte trafen sich endlich wieder und waren erneut vereint. Die Freude über eine neue Heimat überwog und sämtliche Strapazen fielen sichtlich von ihren Schultern. Weitestgehen alle der Arbeiter kehrten zurück an ihre Arbeitsplätze und wiesen den Helfern an, den Neuen behilflich zu sein, ihre Zeltstadt zu errichten und die kleineren Karren von den Lastenkarren zu trennen.
Die Angewiesenen berichteten beim Auspacken und Errichten von deren ersten Tageswenden, mit welch chaotischen Situationen die Bewohner Neumarks eingangs kämpften. Mit stolzer Brust erzählten sie von den Fortschritten, was sie bisher erreichten und noch zu erreichen gedachten. Berufliche Errungenschaften, die sie ungehindert ausleben durften und wie viele Menschen im hiesigen zu bauenden Weiler leben sollten. Schnell wurde den Neuen klar, dass nur die Wenigsten von ihnen, am See ihr endgültiges Heim bezogen, und rückten zurück in die harte Wirklichkeit.
Korian hatte die neu zu errichtenden Zelte mit der hiesigen Zeltstadt vergrößert und großflächig weiter abstecken lassen, um dem Nachschub zu verdeutlichen, zu ihnen zu gehören und alle samt gleichgestellt waren.
Es war zu Sonnenhoch, als das letzte Zelt bezugsfertig aufgerichtet war und die Bewohner begannen, die beladenen Karren von ihrer Habe zu befreien.
»Leute, Neuankömmlinge aus den Marken. Willkommen in Neumark«, rief Korian von einem erhöhten Lastenkarren aus und lenkte die Blicke auf sich.
»Was treibt er da?«
»Lass ihn Jarik. Er erspart mir meine Rede«, grinste ihm Ben keck entgegen.
»Mich nennt man Korian, erster Schreiner und Vorarbeiter unseres Fürsten. Ich habe von eurem schweren Weg gehört und hoffe, dass ihr euch bei uns schnell einleben werdet. Auch wenn der Weg beschwerlich war, so war es auch der Unsrige. Ich weiß, dass ihr weit entfernt davon seid, jemals eine solch große Zusammenkunft erblickt zu haben und ein mancher dürfte sich beklommen vorkommen.« Zustimmendes Nicken aus den Reihen zollten ihm Recht der Annahme. »Aber, wir können nicht schaffen oder errichten, wenn wir nicht gemeinsam anpacken und unsere Zukunft gestalten. Uns allen, allen voran unserem Fürsten, ist bewusst, dass es noch äußerst viel zu tun gilt, wenn wir alle ein eigenes wohliges Heim unser Eigen nennen wollen. Sobald dieser Weiler hier, ...«, er zeigte mit der ausholenden Rechten hinter sich, »... ausgebaut ist, werden immer noch mehr als fünfhundert der unsrigen in Zelten hausen und in kalten Monden mit den Zähnen klappern. So wie unser Fürst Benjamin auch. Je schneller wir vorankommen, desto eher können wir unsere Hintern vor den eigenen Feuern, in den eigenen Wänden, wärmen.«
»Gut gesprochen, erster Schreiner«, rief ein kräftiger Mann aus den Reihen der Neuen. Er hob die Hände hoch über sich, um zu zeigen, dass er es war, der sprach. »Ich habe zwar keinen Beruf, aber ich bin kräftig genug, um überall mit anzupacken. Wir wissen um den Mann, der im Begriff ist unser Volk zu einen. Sein Ruf eilt ihm voraus. Unser Volk fristet seit dem letzten niederschmetternden Krieg nur noch im Elend und somit sollte es uns keine Umstände bereiten, weiterhin in Zelten zu leben. Wenn auch endlich mit dem Wissen friedlich ruhen zu können.«
»Warum stehen wir herum, anstatt diesen Weiler zu bauen?«, erhob ein anderer unerkannt seine Stimme.
»Genau, lasst uns anpacken!«
»Jau!«
Korian hob die Brauen, als sich die Männer geschlossen aus der Zeltstadt bewegten, um sich bei den hiesigen Arbeitern nach zu erledigen Aufgaben zu erkundigen. Er drehte sich zu Ben, der etwas abseits neben Jarik stand und zuckte mit den Schultern, nickte ihm aber anerkennend zu.
Materialkarren wurden entladen und die Inhalte entsprechend ihrer Lagerstätten verstaut. Leere Karren auf die einzelnen Baustellen verteilt oder, sofern nicht benötigt, zentral abgestellt, um Waren und Materialien trocken und nicht auf dem Erdboden lagern zu müssen. Die Arbeiter waren hocherfreut über die zusätzlichen Riemen, Nägel, Keile und vieles mehr, da die Reserven sich deutlichst dem Ende neigten. Halis und sein Gefolge mischten sich unter die Arbeiter, ließen jedoch, wie mit Ben besprochen, Wächter an den Fuhrwerken weiterhin Obacht walten und Neugierige abhalten.
Helbert, sein Neffe, ließ die Karren ordentlich auffahren und brachte die materialbeladenen zu den Lagerflächen, sodass die mit den Rüstungen und Waffen beladenen separat bewacht blieben. Diese wurden zu einem Halbrund gelenkt und im Inneren eine Feldschmiede errichtet, um unlängst zu reparierendes Werkzeug zu bearbeiten.
Die Siedler der ersten Stunde jubelten ihren Nachzüglern erneut zu, mancherorts wurde aufmunternd auf Schultern geklopft, als diese Hilfe boten. Die Neuankömmlinge machten sich mit den älteren Siedlern bekannt und tauschten handwerkliche Erfahrungen aus. Einige von ihnen begaben sich sogleich zu den offensichtlichen Baustellen und packten mit zu. Die Arbeiter schafften es, bis zur Dämmerung drei weitere Wohnhäuser als auch eine ordentliche Schmiede zu vollenden, die Halis sogleich für sich in Anspruch nahm. »Lass meinem Neffen die Feldschmiede für notwendige Reparaturen. Ich werde hier für neue Werkzeuge sorgen und verschiedene Baumaterialien verbessern«, war seine Aussage, als einer der Handwerker die frohe Kunde überbrachte. Die Schmiede war bereits befeuert und Halis schwang gekonnt seinen Hammer, der immer wieder auf den großen Amboss niedersauste. Mit freiem Oberkörper stand er verschwitzt davor und formte seine Metalle.