Es vergingen weitere Tageswenden, in denen geschuftet und geschwitzt wurde. Trotz der äußeren Baustellen bei jenem Stollen, wo ein komplettes Schmiedegelände errichtet wurde sowie die zu errichtende Palisade, die den steilen Weg des Gebirges künftig sicherte, fand sich eine gewaltige Menschenmenge vor dem neuen Weiler ein. Vielerlei Gespräche wurden geführt und ungezwungenes Gelächter wogte durch die schiere Menge. Der nunmehr fertiggestellte Weiler war mit Fackeln hell ausgeleuchtet und weiträumig von umherliegenden Baumaterialien und Karren befreit. Beides wurde im Laufe der Tageswende verladen und bereitgestellt, um den Aufbruch der Menschenmenge Neumarks zu beschleunigen.
Direkt vor dem Weiler, wo sich die Leute versammelten, ließ Ben die Fuhrwerke Halis, beladen mit den Ausrüstungen und Waffen halbmondförmig aufstellen, flankiert von Wachen. Mittig hatten Schreiner einen ausgedienten Lastenkarren bäuchlings herumgedreht und als provisorisches Podium hergerichtet. Fackelstangen bildeten einem nahezu gerade ausgerichteten Spalier bis kurz vor diesem und reichten noch um einige Längen weiter hinaus. Die Menge wurde von Eingeweihten der Jäger unauffällig vor den aufgebauten Halbmond gedrängt und vor Ort unterhielten, um eine ungezwungene Atmosphäre zu schaffen.
Ein kleiner Junge, von vielleicht acht Sommern, drängte sich absichtlich und unter aufmerksamer Beobachtung der anderen, durch die Menge. »Hoppla, Vorsicht bitte.«
»Darf ich? Danke sehr.«
»He, ich bin noch zu klein, um von allen gesehen zu werden. Darf ich trotzdem vorbei? Danke schön.«
Er trug stolz beladen einen sauber zusammengefalteten Ballen vor sich her und schritt zielstrebig auf das Podium zu. Absichtlich sprach er Laut, sodass möglichst viele sein Tun verfolgten und andere auf ihn aufmerksam machten. Er betrat eine grob gezimmerte Treppe, schaute einem Pfahl hinauf, an dem ein loser Lederstrick baumelte und an oberster Stelle des Pfahles durch eine Öse, rückläufig hinab führte.
Der Abend brachte gegenüber den vergangenen heißen Tageswenden nur minimal Abkühlung, jedoch blies ein leichter aber steter Wind über die Gebirgskämme und trug eine seichte kühlende Briese mit sich. Fein umspielte dieser die Körper der Umherstehenden und viele genossen das Gefühl einer gehauchten kühlen Liebkosung der Natur. Diejenigen, die den Jungen nicht bemerkten richteten inzwischen ihren Blick auf diesen, bedingt des munkeln über dessen Auftritt. Er kniete sich auf ein Bein nieder und entfaltete behutsam den getragenen Ballen, an dem fleißige Frauenhände drei Ösen nähten, durch die er nun den Strick fingerte und an der obersten Öse achtsam verknotete. Er atmete tief ein, zog vorsichtig und beobachtete den hinaufgleitenden Leinenstoff, der sich begann zu entfalten. Auf halber Höhe wehte ein laues Lüftchen, erfasste den Stoff und lenkte diesen in seine wehende Richtung. In einem tiefen Grün gehalten und einem knallig dunklen Blau umsäumt flatterte dieser als Fahne. An den äußeren Seiten einer jeden wurden mit silbernen Faden zwei sich gegenüberstehende und auf Hinterhand stehende Pferdeleiber gestickt. Zwischen den Pferdeinsignien zierte eine aufgehende Sonne mit einem springenden weißen Pferd. Das Wappen der Pferdeherren mit dem Symbol Neumarks.
Raunen wallte durch die Menge und die Gespräche ebbten nach und nach ab. Finger wiesen in Richtung der Fahne und vielen, darunter auch gestandenen Männern, traten gerührt Tränen in die Augen. Nur noch vereinzelt war Geflüster zu vernehmen, als ein einzelner hochklingender Ton aus einem geblasenen Horn ertönte – das Horn Neumarks. Nur die Letzten des Nachschubtrosses hatten bereits diesen Klang vernommen, als Ben mit seinem Beritt in die feindlichen Linien der Invasoren einbrach, um das Schlachtenglück derer zu wenden.
Gekleidet des Anlasses wegen, in aufpolierter Rüstung beschritt der Fürst den Weg durch die Menge. Flankiert von je einer Schar zur Linken und einer zur Rechten, begaben sich die Männer durch eine Parade der Fackelständer, die eine nach dem anderen entzündet wurden, direkt zum umfunktionierten Karren.
Das Geraune und Getuschel wurde weniger und verstummte komplett, als Ben das Podium betrat und sich mit erhobenen Armen vor ihnen aufbaute.
»Freunde, Bewohner Neumarks. Ich danke für euer zahlreiches Erscheinen. Wir begrüßen unsere Freunde aus dem Pass-Weiler sowie den Familien vom Horduz- und Martram-Gehöft. Wir haben uns heute hier versammelt, um drei Dinge zu vernehmen. Drei äußerst positive Dinge möchte ich eingestehen.«
Ben senkte seine Arme, drehte sich halb zum Weiler und deutet mit der Linken in dessen Richtung. »Gemeinsam haben wir es geschafft diesem Tal, welches ihr Neumark getauft habt, eine Heimat abzuringen. Bereits zweimal mussten wir mit Verlusten, die Einreise unserer Siedler, dem Zugriff der dunklen Brut abrinnen. Beider Male blieben wir siegreich. Unser Volk ist nunmehr auf eine stolze Anzahl von weit mehr als eintausend Seelen angewachsen. Viele jedoch, so auch ich, verbringen ihre Freizeit in Zelten wie im Freien. All dies nehmen wir billigend in Kauf. Wir alle sehnen uns nach einer lebenswerteren Zukunft.«
Die Menge hing an seinen Worten und viele Blicke forderten ihn auf fortzufahren.
»Ich möchte euch, ...« dabei richtete er seinen Blick und seine ausgestreckte rechte Hand zur Menge hin, »... mein tapferes Volk, nun eine weitere Heimat bieten. Wohl wissend, dass bereits einige mit Kindern Unterkunft bezogen, sind doch noch Wohnstätten unbewohnt auf Bezug warten. Wie wir es schon beim Pass-Weiler handhabten, sollen die Bewohner auch hier einen eigenen Namen für ihr Heim nennen sowie ein eigenes Wappen führen. Wimpel für die Masten sind durch die Hände unserer fleißigen Frauen gefertigt und erwarten bestickt zu werden. Sagt mir, ihr ehrenvollen Leute, wie sollen wir eure Heimat fortan nennen?«
Eine leicht untersetzte junge Frau trat näher und fiel auf eines ihrer Knie. Sie hob ihr Haupt und lächelte, strahlende Augen unterstrichen ihre liebevolle Geste. »Herr, ihr erweist uns nun zum wiederholten Male die Ehre. Wir schulden euch mehr, als wir jemals bereit sein können zurück zugeben. Wir, die hier unsere Heimat beziehen oder auch bereits bezogen, haben uns auf einen passenden Namen geeinigt.«
»Gute Frau, erhebt euch. Ich erkenne die körperliche Last eurer vorgeschrittenen Schwangerschaft und die brütende Sonne der letzten Tageswenden wird sicherlich nicht sonderlich hilfreich gewesen sein.«
Die junge Frau folgte der Anweisung schwerfällig, weswegen zwei nahestehende der Wachbegleitung ihr aufhalfen und bedankte sich mit einem vielsagenden Lächeln in den glücklichen Gesichtszügen. »Danke Herr, ihr seid zu gütig.«
»So sagt uns bitte, wie soll euer Weiler künftig genannt werden?«
»Herr, wir möchten ihn Fischgrund-Weiler nennen. Bedingt durch die Nähe des Sees und dessen reichhaltigen Fischvorkommen. Unser Wimpel soll daher auch einen Fisch als Zeichen tragen.«
»So soll und so wird es sein. Ihr habt es vernommen, das zweite Heim der unseren wird fortan Fischgrund-Weiler genannt.«
Die Menge jubelte und beglückwünschte die Bewohner des neu eingeweihten Ortes. Kein Laut über Gram gar Neid war zu vernehmen oder wurde vorgetragen. Die, die weiterhin ihr Leben in Zelten fristen würden, wussten um den Weiterzug gen Norden. Die letzte Patrouille fand einen weiteren Platz zum Siedeln und die ersten beladenen Karren mit Geleitschutz waren dorthin unterwegs. Nur noch wenige Fuhrwerke standen bei den provisorischen Lagerstätten umher und sollten zur Morgendämmerung aufbruchbereit sein.
»Da wir nun zweihundert Bewohnern so zu einem seligen Heim verholfen haben, ist es für uns Übrigen an der Zeit, weiterzuziehen. Viele von euch wissen um die Geschichte des letzten Hofschmiedes aus Bregeran. Der gute Herr Halis hat sich uns angeschlossen und uns ein prächtiges Geschenk bereitet, welches sich hier hinter mir befindet. Wir haben um dieses ein wahrlich gut gehütetes Geheimnis gemacht und niemandem dessen erklärt. Ich möchte euch nun zwei meiner Freunde vorstellen, die ihr alle bestens kennt, und nutze die Gelegenheit, diese beiden förmlich und dank meines Amtes zu ernennen.«