Am Ziel angekommen, wiesen Schwertmänner den vielen künftigen Bewohnern Bereiche zu, wo sie ihre Unterkünfte für die nächste unbestimmte Zeit errichten sollten. Zeit, bis sie es vollbrachten, genügend Wohnstädten zu bauen, um den zugigen Zelten Lebewohl sagen zu können. Dank des geschenkten Kartenmaterials der Naïns hatte Thanh die Möglichkeit sein eigenes Werk zu vervollständigen. Er legte jedoch Wert darauf die eingezeichneten Markierungen selbst in Augenschein zu nehmen und ritt so einmal pro Tageswende mit einer der patrouillierenden Scharen aus.
Aguschal und Yaeko waren bereits vor ihnen am Ziel angekommen und hatten die angewiesenen Naïns, die am Plateau nicht weiter benötigt wurden, abkommandiert. Ohne genaue Instruktionen zuvor bekommen zu haben, war doch eine gewisse Betriebsamkeit ersichtlich.
Die Baumeister des kleinen Bergvolkes hatten ihre Arbeitskräfte aufgeteilt und so wurde innerhalb der Bodenspalte, über eiligst gezimmerte Leitern, loses Geröll herausgeschafft. Der gezackten und unregelmäßigen Form eines Halbmondes des gesamten Taleinschnittes hinweg, brachen sie Unebenheiten, um eine halbwegs ordentliche Kontur herzurichten. Weitab der Spalte, im Westen, errichteten Arbeiter einen großzügig angelegten Steinbruch. Dieser sollte dazu dienen, die dringend benötigten Steinquader zu fördern. Die Übrigen waren damit beschäftigt die vorbezeichnete Höhle im Hintergrund des Tales mit Licht- und Kohlebecken zu versehen, um den vorderen auszubauenden Bereich derer für anstehendes Gewerk zu erhellen.
Holzfäller wie Schreiner lenkten beladene Karren nahe jener Spalte und begannen mit dem Bau einem stabilen Überweg. Dieser sollte so ausgerichtet sein, dass auch schwere Lasten gefahrlos über den Abhang hinwegrollen konnten.
Frauen wie ältere und kräftige Kinder halfen beim Errichten der Zeltstatt und schickten ihre Männer und Väter fort, um den fleißigen Naïns zur Hand zu gehen. Sobald die Karren entladen und abgestellt, begaben sich die Leute unaufgefordert zu ersichtlichen Aufgaben. Loses Geröll und Geäst anhäufen, helfen beim Brückenbau, anpacken beim Steinbruch, ebenso in und bei der Spalte. Arbeitende Naïns unterwiesen die helfenden Menschen in ihrem Tun und gemeinsam schufteten sie Seite an Seite, Hand in Hand.
»Ihr Pferdeherren seid schon ein erstaunliches Völkchen, mein Lieber.«
»Ihr Naïns hingegen wohl nicht? Ihnen hat niemand gesagt, was zu tun ist und schau, wo überall gewerkelt wird.«
»Hast du den deinen etwa mitgeteilt, was zu tun ist? Ich kann mich nicht daran erinnern. Außer das deine Schwertmänner die Bereiche für die Zelte zuvor abgesteckt haben.« Mit der Hand im Halbkreis weisend erklärte Goram seine Sichtweise. »Sieh doch, deine Leute bauen eine Brücke über die Kluft und gehen den meinen zur Hand. Überall wird sich die Hand gereicht, egal ob schmutzbeladen oder nicht. Alle teilen ein gemeinsames Ziel und das ohne jegliche Anweisungen.«
»Wir können Stolz sein, nicht wahr?«, kündete Ben zustimmend und schaute den werkenden zu. Dem Blick nach zu urteilen, sah er mehr, als es tatsächlich zu sehen gab – eine Burg, eine Stadt samt Mauern und Türme. Fahnen, die das Zeichen der Mark im Wind präsentierten. Geschäftige Männer wie Frauen, die ihre Erzeugnisse auf dem Markt Feilgaben. Umhertollende Kinder, die ungeniert auf den Straßen rannten und Ben selbst, wie er stolz auf der Zugbrücke stand und auf seine Stadt hinabsah.
»Wohl gesprochen. Dein oberster Schwertmann, Jarik, heißt er? Hat mir von dir erzählt und das du über massenhaft Ideen und verschiedensten Bauplanungen verfügst?«
Ben hörte ihm gar nicht zu und träumte vor sich hin.
Goram stupste ihn in die Seite. »Benjamin?«
»Was? Oh natürlich. Was sagtest du doch gleich?«
Goram schürzte die Lippen und grunzte vergnügt, wiederholte jedoch seine Worte.
»Oh, hat er das? Ja durchaus. Ich habe mir im Vorfeld einige Gedanken zwecks einer Burganlage und Stadt gemacht. Ich möchte diese mit dir durchsehen und besprechen.«
»Gern. Ich rufe meine Baumeister zusammen und du entsendest mir Leute, die ihnen zur Hand gehen und ausgebildet werden sollen. Anschließend treffen wir uns zu Sonnenhoch drüben.« Goram deutete mit ausgestrecktem Arm und Zeigefinger auf das Gelände hinter dem Spalt. »Wir sollten dort dein Zelt als Anlaufstelle für unsere Vorhaben nutzen.«
»Auf dann.« Ben stimmte dem Vorgehen wohlwollend, mit einem Kopfnicken, zu.
Die beiden Ungleichen trennten sich und gingen eigener Wege. Goram stolzierte zu einem wartenden seines Volkes, der wild mit den Armen gestikulierte, in verschiedene Richtung wies und Erklärungen abgab. Ben beobachtete sie unauffällig beim Händereichen und zum künftigen Steinbruch hinüber marschieren. Die Zügel seiner Stute lose in der Hand haltend, streichelte er ihre Nüstern und winkte einen der Schwertmänner herbei.
»Nimm ihr das Zaumzeug und Sattel ab. Dort drüben scheint mir ein geeigneter Platz für eine Koppel. Lasst entsprechend Einzäunen und gewährt den Pferden Freilauf.«
»Herr.« Der Angesprochene griff zum üblichen Verständnis mit der geschlossenen Rechten zum Herzen und führte Artemis fort.
»Na, da bist du ja.«
»Jarik, was gibt es? Du warst so eilig abgehauen. Ich hoffe, dich nicht mit einer unüberlegten Aussage beleidigt zu haben.«
»Blödsinn. Ich war nur schlecht drauf, weil du mich nicht verstehen wolltest. Egal, anderes Thema bitte.«
»Was kann ich für dich tun?«
»Ich habe die fortlaufenden Patrouillen eingeteilt. Jetzt da Yaeko sein Kommando vorerst auf dem Plateau der Naïns führt und unsere Männer zu Schwertmännern ernannt wurden, benötigen wir entsprechend weitere Schar- und Oberscharführer.«
»Ich übertrage dir die Verantwortung darüber, geeignete zu erwählen. Du kennst sie besser und länger als ich es tue. Ernenne die benötigte Anzahl derer und notiere mir ihre Namen.«
»Ähm, du meinst aufschreiben?« Jarik verzog angewidert die Gesichtszüge.
»Ja, natürlich aufschreiben. Was denkst denn du?«
»Bitte. Wenn ich dir die Namen nenne, reicht das nicht aus? Ich meine, ein Fürst muss seine Leute doch über kurz oder lang eh kennen.«
»Warte.« Ben musterte seinen obersten Schwertmann und hob grinsend die Mundwinkel. »Du willst mir jetzt nicht weismachen, dass du nicht schreiben kannst«, fragte er verwundert und leicht belustigt.
»Dafür haben wir unsere Gelehrten«, wehrte dieser mit Achselzucken ab. »Wir Jäger brauchten die Schrift bisweilen nicht. Fendrik versteht ein wenig davon, aber ich?«, erklärte sich Jarik verlegen.
»Hm, ich kann dir aber nicht ständig einen Gelehrten an die Seite stellen und dein Bruder hält sich in Middellande auf. Du wirst es lernen müssen, da führt kein Weg daran vorbei. Wie steht es mit Yaeko?«
»Weiß nicht, aber ich habe ab und an gesehen, wie er es heimlich versucht.«
»Ich wünsche, dass du mit Thanh darüber sprichst. In deiner freien Zeit solltest du dir von ihm die Zeichen beibringen lassen. Du bist als oberster Schwertmann meine rechte Hand und wir müssen uns auch mittels schriftlichen Nachrichten verständlich machen können.«
»Das sehe ich ein. Ich werde mit ihm reden und ihn bitten mich zu unterweisen«, versprach er widerwillig.
»Sehr gut. Plane bitte ein, dass die Schwertmänner einmal im Mond mit den Lords zu gemeinsamen Waffenübungen antreten. Ich weiß um unsere Männer, jedoch nicht um die der Lords. Beide müssen aber zusammen funktionieren, wenn die Losung es verlangt.«
»Wird erledigt. Gibt es sonst noch etwas für mich zu tun, oder soll ich mich um den Beritt kümmern?«
»Entbinde, so viele Schwertmänner wie möglich vom Dienst. Wir brauchen kräftige Hände für den bevorstehenden Bau.«
»Einverstanden.« Jarik verabschiedete sich und begab sich zu den Zelten ihrer Männer.
Ben rief einige seiner begabtesten Handwerker zusammen und traf mit ihnen gemeinsam Entscheidungen darüber, wer bei den Naïns als Baumeister in Lehre gehen sollte und wer künftig welche Aufgaben übernahm. Eine Auswahl betreffender war schnell und diskussionslos gefunden, sodass jeder binnen kürzester Zeit erneut seinen Vorhaben nachging. Ben kletterte mittels der Leitern in den Spalt und auf gegenüberliegender Seite hervor, ohne die ausgelegten Balken, die als Grundlage der Brücke dienten, zu überschreiten und sah sich in diesem hinteren Bereich der Mark um.