»Wenn ihr Pferdeherren fertig seid, können wir dann das Portal sichern?«, erkundigte sich Goram mürrisch. »Wir sind noch nicht fertig.«
Ben und Jarik nickten und führten ihre Männer wie Goram seine Naïns in Schussweite des Zuganges. Tiron wies die seinen an und begab sich zu ihnen hinüber. Er erklärte die augenblickliche Situation und deutete auf zwei Stellungen, direkt neben dem offen stehenden Portal. Dort waren blau eingefärbte Rosshaarschweife zu erkennen, unzweifelhaft Schwertmänner der Mark. Tiron hatte unter Deckung der Schützen zwei seiner Scharen voraus beordert, die innere Lage in Augenschein zu nehmen, als einer von ihnen winkend Zeichen gab.
»Der Zugang ist sicher. Kein Feindkontakt«, bestätigte Tiron.
Kabar und Galoth rannten, auf Fingerzeig von Goram, nach vorn und verschwanden sogleich hinter den Torflügeln. Die Anderen folgten auf sicheren Abstand. Mit gezogenen Schwertern, Äxten und aufgelegten Pfeilen, betraten die Kämpfer den Berg. Ihre Schritte hallten im Echo und schwere Atemzüge begleiteten jeden ihrer Bewegungen.
»Halt«, flüsterte Aguschal und hob die Linke weit nach oben.
Die beiden vorausgeeilten Brüder kamen zurück und berichteten, dass bis zum Stellwerk des Brückenkopfes keine Gefahr lauerte und die eingelegten Betriebsachsen, nach wie vor in Stellung lagen.
Nachdem Ben fragend drein blickte, erklärte Goram worum es sich dabei handle. Voraus überspannt der einzige Weg, zwischen Oberwelt und den heimeligen Hallen die ›tiefe Schlucht‹. Diese wurde überbaut von der ›Brücke der Heimkehr‹, die bei eingerasteter Achse, voneinander in zwei Brückenteile getrennt werden konnte. An jedem Brückenkopf befand sich ein solches Stellwerk, mit dem die jeweilige Brückenhälfte schwenkbar war. Ben besprach sich mit den beiden Kundschaftern und schickte diese mit den Bogenschützen voraus. Es war zu erwarten, dass zumindest einer der geflohenen bleichen Wesen, es geschafft haben mag, ungesehen über diese Brücke zu schleichen, um Verstärkung zu holen. Die Naïns blieben gleich hinter der Vorhut und die übrigen Schwertmänner bildeten den Abschluss. Am Brückenkopf angekommen, erweiterte sich der hohe wie breite Tunnel von nahezu zwei Längen, in eine riesige Höhle.
Fein gemeißelte Felssäulen reichten vom geglätteten Boden, bis hinauf zur Decke. Natürlich gewachsen aussehender Efeu rankte sich um diese. Bei näherer Betrachtung und dem Betasten der einzelnen Blätter wurde jedoch deutlich, dass es sich hierbei ebenso um Stein handelte. Erstaunte Gesichter in einem jeden der Schwertmänner und bewundernswerte Laute säumten die Geräusche der Höhle. Knacken und Ächzen mischten sich hinzu.
»Es funktioniert noch«, hauchte Aguschal und schüttelte Ben unvermittelt die Schulter. Er zeigte mit ausgestreckter Hand voraus zur Brücke, die sich etwa auf halber Länge begann, voneinander zu trennen.
»Wahrhaftig, sie haben die Betriebsachsen nicht verstellt«, antwortete Kabar und klatschte freudig. Jubelrufe wallten auf und die Naïns klopften ihre Äxte hoch über den Köpfen aneinander. Die Schwertmänner sahen sich verwundert an. Ben, der die Geste verstand, griff sein Rundschild fester, hob sein Schwert und trommelte mit dem Heft auf diesem. Jarik überlegte kurz, macht es ihm gleich und die Übrigen fielen mit ein. Das Klopfen und Trommeln glich dem widerhallenden Echo einem erzürnten Donnerschlag, in dem sich freudige Jubelrufe mischten. Nach und nach verhallten die lauten Geräusche und die Kämpfer senkten die Waffen. Der Widerhall trug ihren Ruf noch eine gefühlte Ewigkeit weiter, bis in ungeahnte Tiefen der Schlucht.
»Wir haben euch viel zu verdanken. Mehr als euch bewusst ist. Der erste Schritt in unsere Heimat ist getan.« Goram steckte seine Axt zurück ins Futteral, welches an seinem Rücken geschnallt trug.
»Goram, du und die deinen habt uns mindestens ebenso viel gegeben«, erwiderte Ben und griff die ausgestreckten Hände des Naïnkönigs.
»Ja, das mag stimmen. Nur haben die deinen viel Leid erlitten, um unsere Gunst zu erwidern.«
»Wir befinden uns in kriegerischen Ausmaßen, die niemand von uns überblicken kann. Dieser Sieg hier ...« Ben löste seine Hände und umschloss die Höhle. »... ist ein Sieg, der nicht nur den meinen Opfer abverlangte. Dennoch ist es ein wichtiger Sieg, der Neumark von weiteren Zugriffen Lord Inat einstweilen schützen wird.«
»Vater, Benjamin hat recht. Über die tiefe Schlucht hinweg schaffen es nur die Morroval und ich bezweifle, dass diese mit den Gouwors zusammenarbeiten. Wir müssen das Portal, aber auch die Schmiede wiedererrichten«, pflichtete Aguschal bei.
»So sei es. Die Anlagen werden wieder in neuem Glanz erstrahlen und die Ummauerung den Gipfel und das Plateau abermals umrunden. Aguschal, bereite die notwenigen Schritte vor. Wir haben viel zu tun.«
Sein Sohn nickte und erteilt Befehle, woraufhin einige der Naïnschar sogleich ausrückten.
»Wir müssen die Mauern und das Tor nach Westen neu errichten, um uns von dieser Seite her zu schützen. Ich kann euch daher nur noch begrenzt Arbeiter zur Verfügung stellen. Dieses Plateau hat für uns alle absoluten Vorrang.«
»Ich verstehe nur zu gut, mein Freund.« Ben legte Goram die Linke auf die herabhängende Schulter. »Die Pass-Wacht wie die Bauten an der Burg können von den meinen vollendet werden«
»Dennoch, die Passwacht wird weiterhin von meinem Baumeister überwacht und weitere Fünf sollen bei deiner Burg verbleiben. Die Übrigen werden fortan hier ihrer Aufgabe nachgehen.«
»Ich danke dir. Um unseren Teil beizutragen, werde ich Arbeiter freistellen. Anfassen, tragen und aufräumen, das können wir auch.«
»Unterschätze die deinen nicht, Pferdefürst Benjamin. Meine Baumeister berichten mir übergangslos und du verfügst über solide ausgebildete Handwerker.«
Schwertmänner und Naïns errichteten ein grell aufloderndes Feuer, dem sie die Kadaver der erschlagenen Gouwors wie auch die der bleichen Wesen zuführten. Gefallene der Verbündeten wurden aufgebahrt und auf Tragen ins Tal – nach Neumark hinab – getragen, wo sie ehrenvoll vor dem Klippenstieg zu Grabe gebettet wurden. Traditionell geleitete der einhergehende Schildtrommel die Opfer der Schlacht in die Hallen der Ahnen. Die neben ihnen begrabenen Naïns sollten sie auf ihrem Weg, Seite an Seite, begleiten.
Zwölf ehrenvolle Schwertmänner und neunzehn tapfere Naïns ließen bei dem Sturm der Schmiederuinen ihr Leben. Es galt als Jariks Aufgabe, die Lücken zu zwei vollen Beritten abermals zu schließen.