Der Bus holperte unentwegt auf eine mehr oder minder passierbare Strecke, die hiesig als Straße galt. Fahrgäste beurteilten diesen Weg hingegen als Ackerpfad.
»Schauen Sie dort, vor uns«, erscholl die bassmonotone Stimme des Fahrers. Mit der Linken wies er aus dem Fenster in eben jene Richtung.
Von Weitem konnte man ein riesiges Gefälle erspähen. Unzählige LKWs fuhren auf dieses zu oder kamen hervor. Dies musste die Kohleförderung sein, von der er gelesen hatte.
»Dort entreißen sie dem Land die Kohle, die andere zu Hause verbrennen. Es dauert jetzt nicht mehr lange und Sie können das alte Kloster, die Schule der Schönen und reichen sehen.«
Robert fiel auf, wie abschätzend ihr Fahrer von dem Kloster sprach und vor allem jenen, die dort für Geld lernen durften. Ihm war bewusst, wenn dem nicht so wäre, das Kloster wäre längst nicht mehr. Scheiß auf Denkmalschutz, wenn darunter doch soviel Wertvolles ruhte, mit dem man Geld machen konnte. Irgend ein Unglück wäre geschehen. Er konnte sich bildlich ausmalen, wie die Insel wie ein Schweizer Käse durchlöchert wurde, um schlussendlich auch den letzten Rest der Kohle fördern zu können. Eine Sprengung würde ein Beben initiieren. Den Rest überlasse ich Eurer Fantasie.
Kurz nachdem sie aus der Ferne das uralte Gemäuer betrachten konnten, welches an sich eher einer Burg als einem Kloster glich, steuerten sie auf ein riesiges Ruinenfeld zu. Mauerreste, die wie Skelette in der heißen Sonne verblichen und einem Mahnmal gleich ihrer alten selbst Zeugnis schuldeten. Mitten in diesem wirr tauchten hinter einer Kuppe wahrhaftig richtige Häuser auf und darüber hinaus auf einem Kamm eine Burg.
Einst musste diese bewehrt gewesen sein. Hohe Mauervorsprünge zeugten davon und bot einer noch dahinter errichteten Anlage einen bewährten Schutz. Die vorgelagerte Anlage musste einst als Wehr- und Arbeitsbereich gedient haben. Dahinter die eigentliche Burg samt Palast. Schade nur, dass die Politik es augenscheinlich nicht für nötig hielt, dieses Umfeld als schützenswert zu erachten.
»So meine wehrten Damen und Herren. Da vorne ist Ihre Herode Unterkunft für die kommenden Tage«, spottete der Chauffeur ihres Luxusbusses. »Ich hoffe, Sie sind angenehm mit Brigaair gereist und beglücken uns in wenigen Tagen erneut.«
»Was ein blödes Arschloch«, entschied Robert in Gedanken. Er schultere sein Rucksack und trat als erster aus der Reihe neue angekommener Touristen. Begrüßt wurden sie alle von einer jungen Brünetten. Sie stand so, dass Robert sie lediglich vom Profil her mustern konnte. Dass was er abzuschätzen vermochte, war ganz nett.
Das Mädel dürfte so circa 1,67m groß sein, wobei die Länge ja gewissermaßen nichts mit Größe zu tun hat. Sei's drum, ich möchte Euch nicht mit Kleinigkeiten belangen.
Also, nebst ihrem durchschnittlichen Wachstums, nannte sie schulterlanges Haar ihr Eigen, welches sie zu einem lockeren Zopf gebunden trug. Ihre Haut schimmerte der schönen Wetterzone zart Braun und ihre Nase ... mhm ... zuckersüß.
»Ich heiße sie im Namen des ›Vogt‹ von Briga wie auch dem wahren Herrschersitz des Königs willkommen. Mein Name ist Lika und bin für sie die erste Ansprechperson, wenn es um die Geschichte dieses Ortes geht.«
»Ein wahrer Herrschersitz?« Erscholl eine ernsthaft klingende Frage von einem recht untersetzten Mann, der drei Plätze hinter Robert saß und gefühlt ohne Pause mit seiner Kamera Fotos anfertigte.
»Oh ja«, Likas Stimme klang enthusiastisch. Das was sie hier von diesem Ort sehen, wie auch die Burg im Hintergrund, ist nur noch ein trauriges Abbild von der einst stolzen Stadt. Briga war einst, bevor König Robert die Krone aus einem Erbstreit übernahm, nicht sonderlich größer, als das, was sie hier sehen«, begann sie zu erzählen.
Erst als sein Namensvetter die Königswürde übertragen bekam, wandelte sich das Antlitz der Stadt. Nach und nach erlangte das kleine Königreich an Macht, Position und Stärke. Zu jener zeit habe es lediglich den Palast gegeben, welcher zur Burg und sodann zu einer schieren Festung erweitert wurde. Das Stadtzentrum wurde verlegt, da die Menschen sich um diesen Mann scharten.
Sechs weitere Königreiche unterlagen seiner Politik. Wo dieser Mann mit derlei nicht weiterkam, stach er mit raffinierten Zügen hervor und zog die Bevölkerung auf seine Seite. Alle sechs Könige traten ihre Kronen ab und bewirtschafteten fortan als Herzoge das Land. Das vereinte Reich erblühte unentwegt und bescherte auch den Königen von Einst, nunmehr Herzoge, mehr Macht, Einfluss und gewinn als jemals zuvor.
Mehrere Viertel unterteilten die riesige Stadt mit ebenso vielen umlaufenden Mauern, deren Tore nur ein einziges mal geschlossen wurden. Es war der Tag, an dem Briga seinen stolzesten Mann verlor.
»Als König Robert dieses Land verließ, verließ uns etwas, was wir dringend benötigten.«
»Und was war das Lika?« Verlangte nunmehr Robert zu wissen, der nur noch um eine Armeslänge von ihr entfernt stand. Er bräuchte nur noch seine Hand ausstrecken und hätte sie berühren können.
Sie drehte sich ihm zu und erschrak. Kaum merklich, aber seine Augen erhaschten den Bruchteil dieses Momentes. Er wollte nach ihr greifen, sie umarmen und einfach trösten. Obgleich, er harrte aus und wartete ab.
Angesprochene lächelte und zeigte ihr wahres Strahlen. »Es heist, dass seit seinem Verschwinden, das Land seiner Magie beraubt wurde.«
»Magie?« Die Brauen runzelten zum Nasenansatz und sein Kopf neigte sich aufmerksam zur Seite.
»Seht euch um. All diese Trostlosigkeit. Soweit das Auge reichte, gab es üppiges Grün und hinreichend Waldbestand.« Sie stockte und sah zu ihren Füssen hinab. »Es ist alles weg. Ausgezerrt und gestorben. Lediglich ein paar wenige Touristen und diese gierigen Archäologen halten uns am Leben.« Abermals wirkte Lika traurig und Robert hätte sie gern in die Arme genommen.