Ich war der allerletzte erbärmlich site Angsthase. Wäre ich damals nicht gerannt, dann...dann...
Mir schnürte es die Kehle zu und heiße Tränen hinterließen brennende Spuren auf meinem Gesicht. Diesmal weinte ich nicht aus Selbstmitleid, sondern aus Selbsthass und Bedauern.
Wieder zuckte der Schmerz, der Erinnerung durch meinen Kopf und Stimmen hallten mir in den Ohren.
"Wo bist du, Anna?! Ich kann dich nicht sehen!"
"Sophie! Ich bin hier! Ich versuche das verdammte Ding von dir runterzureißen!"
Ein widerliches Schmatzen und Saugen durchbrach die Schreie.
"Anna! Es tut so weh, Anna! Ich... ich kann nicht mehr..."
"Sophiee?! Nein, Sophie! Bitte, bleib bei mir!"
"...renn An...na..."
Und ich bin gerannt... wie ein verschrecktes Reh, bis die Schreie hinter mir verklungen waren, bis meine Beine taub wurden. Und mit jedem Schritt wurde ich mir einer Sache mehr bewusst: Ich war nun vollkommen allein.
Und ich würde für immer hier drin bleiben.
Und in Anbetracht meiner derzeitigen Lage, würde mich hier etwas Schlimmeres als der Tod erwarten. Meine Seele und alles, was mich je ausgemacht hatte, würde im Schlund des über mir kauernden Wesens verschwinden.
Und ich hatte es verdient. Sophie konnte ich damals nicht retten, das bedauerte ich am meisten. Wenigstens dem Jungen hatte ich helfen können. Somit würde ich immerhin nicht sinnlos ausradiert werden.
Trotz allem war ich nicht scharf darauf, ausgesaugt zu werden. Im Gegensatz zu der knurrenden Masse über mir, die sich demonstrativ nach vorne beugte und eine weitere Salve Speichel auf mich herabregnen ließ. Schwer und kalt klatschte sie mir auf die Wangen. Mir blieb beinahe das Herz stehen. Nicht wegen des brennenden, stinkenden Speichels oder des fauligen Atems. Das Gesicht vor meiner Nase, das vom spärlichen Licht des zerkratzten Handy-Displays beschienen wurde, ließ mir den Atem stocken und brachte meinen ganzen Körper zum zittern. War das denn möglich? Stechend blaue Augen bohrten sich mit voller Intensität in meine eigenen. Sie hatten etwas Wildes an sich, etwas Gefährliches. Die Augen einer ungezähmten Bestie, die gnadenlos und ohne Zögern töten würde. Und doch waren es auch ihre Augen. Ehe ich mir dessen bewusst wurde, formten meine trockenen, zittrigen Lippen einen Namen.
"Sophie?!"