Allmählich kehrten seine Sinne zurück ins Hier und Jetzt.
Seine Ohren vernahmen ein Leises, beinahe zartes knistern. Brechen eines anzunehmen finger dicken Zweiges und das aufrauschen von gierig leckenden Flammen. Rauch schwängerte die Luft und das vermutlich seit Längerem.
Weitere Düfte stahlen sich in seine Nase. Erde, Moos, ein Hauch von Moschus ... er roch die Aromen der Natur und ... Essen. Es duftete intensiv nach frischgebackenem Brot. Etwas oder vielmehr irgendjemand nutzte die Wärme des Feuers. Er atmete lang und tief ein. Vorsichtig bewegte er seine taub gefühlten Glieder, in denen quälend, schmerzhaft und kribbelnd das Leben zurückkehrte.
Jemand rührte sich und trat heran. Eine Hand legte sich behutsam auf seine Seite. »Sachte Si'mon. Beweg dich nur langsam.«
Er mahnte sich zur Ruhe und öffnete vorsichtig die Augen. Auch wenn der Mantel der Dämmerung bereits ausgeworfen war, schmerzte das wenige Licht. Es stach wie winzig kleine Nadeln. »Alanel?«
»Sch. Alles zu seiner Zeit. Komm erst einmal zu dir«, beruhigte er ihn.
Allmählich gelang er wieder gewallt über seinen Körper und streckte sich vorsichtig, um sich daraufhin aufzusetzen. Sein Blick irrte unstet umher, er kannte diese Gegend nicht.
Sie befanden sich in einer von Felsen eingerahmten Senke, die in einer kleinen Aushöhlung endete. Aufmerksam betrachtete er jede Erhebung und jeden Winkel, ganz so, wie Ma'rit es ihm lehrte. Er hob die Hände und musterte die gegriffene Erde. Sein Kinn zuckte - nichts Besonderes. Mickrige Steinchen und Ästchen, verwittertes Laub von umstehenden Nadelbäumen. Alles so, wie es zu sein schien. Die Felsen Graublau mit grünen Moosen und Flechten bedeckt. Verwundert legte er den Kopf zur Seite, verengte die Augen und strengte sich an, den Blick auf eine ganz bestimmte Stelle konzentriert.
Alanel sah in dieselbe Richtung. »Du siehst es also?«
Er nickte Indies. »Was ist das?«
»Das, wovor uns der Bann Erebors all die Zeiten über beschützte. Wir nennen es nach dem, was es tut. Die graue Lähmung.«
Er erntete einen missverständlichen Blick. Si'mon kannte durchaus das bestehende Gebot, nicht weiter als bis zu vorbezeichneten Orten gehen zu dürfen, nicht jedoch weshalb. Zumindest erinnerte er sich nicht dran.
Nachdem er keine Einwände erhielt, erfuhr er, dass dieses gräuliche nur von Augen zu erblicken sei, die die Möglichkeit besaßen, bestimmte Farbgebungen zu unterscheiden. Gemeinhin Menschen, Naïns und ihr eigenes Volk. Tiere im Allgemeinen vermochten dieses eher nicht, sie verließen sich auf ihre Instinkte. Dieses Phänomen nahm ihren Ursprung vor vielen Jahreswenden und begann in den verbotenen Landen. Zu jener Zeit, als der Boden für beinahe eine gesamte Tageswende hinweg bebte.
Jedes Lebewesen, welches nicht im Bunde mit diesem verfluchten Land stand, verfiel je nach Konstitution in Starre.
»Demnach geschah das Gleiche mit den entsandten Boten, die Delevar ausschickte?«
Anstatt einer Antwort blieb ihm nur betrübtes Kopfnicken.
Si'mon verzog den linken Mundwinkel. »Wie lange war ich ohne Bewusstsein?«
Alanel hob den Blick. Er sah in blassblaue Augen, in derer sich der Tanz der Flammen spiegelte. »Seit zwei Tageswenden. Spar dir die Einwände, ich bin wohl auf und atme noch.«
»Aber ...«
Der Lynka und Wegbegleiter seines Onkels nickte und schenkte ihm ein lächeln, seine Augen funkelten wissend.
»Mhm, maximal zwei Tageswenden und auch unsere Körper erstarren im selben Grau ...« er deutete mit der Linken hinter sich. »... wie du es dort siehst. Jedoch verhält es sich in deinem Umfeld augenscheinlich anders.«
Abermals erfuhr der Junge von einer Weissagung, die in seinen Ohren klang wie frei ersponnen. Ausgerechnet er, könne sich in diesem fahlen Grau ungehindert bewegen, mehr noch. Dieser unsagbare Bann wich vor ihm und es dauerte lange, bis sich die Bresche neuerlich schloss.
Müde schälte sich aus einer der mitgeführten Taschen der Kopf eines Eichhörnchens und blinzelte mit seinen Knopfäuglein in Richtung Si'mon. Rasch sprang es auf seinem Schoß und flitzte in engem Kreis, bis Si'mon ihm behutsam die Rechte auf dessen kleines, felliges Haupt legte und mit den Fingern begann zu kraulen.
»Du siehst, auch deinem Begleiter geht es prächtig.«
Si'mon lächelte. »Was werden wir jetzt tun, Alanel?«
»Ich gehe und versuche mich zu einem der verschollenen Häuser durchzuschlagen. Von hier aus sollte ich unbehelligt das Nordwestlichste jener erreichen können, um zu erfahren, was dort vorging und herausfinden ob ...«
»Es noch Überlebende gibt«, vollendete Simon den Satz. »Ich begleite dich. Zusammen finden wir sie.«
Alanel jedoch lehnte ab und erklärte dem Jungen, dass es seine Bestimmung sei, weiter nach Westen zu ziehen. Er müsse das Volk seiner menschlichen Ahnen befreien, denn nur mit ihnen gäbe es eine reale Chance das Land von diesem Bann zu erlösen. Er solle ebenso Ausschau nach Überresten der Naïns halten. Mit deren Unterstützung es den Menschen gelingen könne, die Gebiete diesseits des großen Flusses für das Leben zurückzuerobern.