Hinter den Stämmen bewegte sich ein Schatten. Nicht wirklich schnell auch nicht sehr groß aber unzweifelhaft zu erkennen. Trotzig verschränkte er die Arme und schnitt sich an einem der Kletterhaken. »Autsch. Beim Baume, wieder die Handschuhe.«
Er zog sich diese von den Händen und verstaute sie in einem kleinen Täschchen an seinem Gürtel. Vorsichtig begutachtete er den blutenden Schnitt an seinem linken Oberarm und zuckte unter der Berührung.
Der Schatten bewegte sich abermals. »Bist du doll verletzt? Tut es sehr weh«, erkundigte sich eine zierliche Stimme. Vom tonal her, die eines Knaben.
Si'mon tat unschlüssig und versuchte es mit kindlichem Locken. »Eh, ich weiß nicht. Es blutet und zwackt. Magst du einen kundigen Blick darauf werfen?«
»Ich darf nicht mit Fremden reden ...« Si'mon war sich nunmehr sicher, dass er mit einem Jüngling sprach. »... außerdem ...« er verstummte.
»Hm, also wenn du dein Versteck verlässt, können wir uns doch kennen lernen. Schau, ich bin kein Feind und ich denke, ich kann deinen Leuten helfen.«
»Du siehst nicht aus wie einer dieser bösen Nordmänner, aber kennen tu ich dich trotzdem nicht. Du bist nicht von hier, oder?«
»Nein. Ich komme von weit her, um zu helfen, wie ich dir geholfen habe. Ich heiße Si'mon und du?« Er konnte spüren, wie unbehaglich sich der Knabe fühlen musste und so hockte er sich mit angewinkelten Beinen zu Boden. »Piwik, schnell komm zu mir«, sendete er seine Botschaft hinaus. Noch bevor er seinen Gedanken zu Ende dachte, kraxelte dieser kopfüber oberhalb des Lagers der Stämme, dicht über dem Kopf des Jungen und fiepte.
»Komm doch bitte hervor und bring Piwik mit, ja?«
Der Bursche lachte herzhaft und quiekte vergnügt. »Du meinst das Eichhörnchen. Gehört es dir?« Er kletterte über die Stämme hinweg und trat ins Licht der Sonne. Mit den Händen beschattete er die Augen und musterte seine Umgebung. Seine Kleidung war durch und durch mit Staub verkrustet. Er schüttelte wie besessen den Kopf und klopfte sich ungehalten die Kleider. Kurzzeitig blieb er in einem Schleier dichter Staubwolken und Schmutz verschwunden, als sich dieser über die Jahreswenden hinweg auf ihn niederlegte und brüsk von ihm wich.
»Piwik gehört mir nicht, er ist mein Freund und Begleiter.«
»Er ist lustig«, lachte er und trat vollends hervor. Er streckte ihm seine kleine rechte Hand entgegen. »Hallo, ich heiße übrigens Veit. Siehmoun, was ist das für ein Name?«
»Hallo Veit. Mein Name lautet Si'mon.«
»Si ...« Veit stockte und überlegend den Zeigerfinger an die Nasenspitze. »Darf ich Simon sagen? Das ist einfacher.« Betrübt sah er zu Boden und Si'mon musste lachen. Ein Lachen, welches ehrlich und herzhaft aber in der Stille des Ortes beinahe schaurig und deplatziert klang. Dennoch, Veit hob den Blick und sein schmutzverkrustetes Gesicht strahlte.
»Natürlich darfst du mich Simon nennen.«
»Oh prima. Aber wieso bist du hier? Ich meine ...» er wies mit dem ausgestreckten rechten Zeigefinger zurück zu seinem Versteck. »... ich habe mich versteckt, als dieses komische Grau immer näher kam. Ich habe gesehen, wie Craft und Ewalt ...« sein Blick richtete sich hinüber zum Tor. »... sich einfach nicht mehr bewegten. Papa hat gebrüllt, ich solle rasch ins Haus kommen und zeigte wie jetzt auch zum Tor. Dann war auch er einfach still und ich wurde Müde.«
Si'mon schluckte einen bitteren Kloß hinunter, als er die Tränen in Veits Augen erblickte. »Und bliebst weiterhin in deinem Versteck.«
Anstatt einer Antwort nickte der Junge zustimmend und eine einzelne Träne tropfte zu Boden, wechselte von betrübt zu heiter weniger Herzschläge und sah seiner neuen Bekanntschaft frohen Mutes ins Gesicht.
»Wieso bist du nicht erstarrt und wieso bin ich wieder wach und wieso bewegen sich die anderen nicht?«
Angesprochener zeigte ihm den Weg, den er gekommen war, erklärte ihn in knappen Sätzen, dass dieses Grau ein böser Bann sei und Veit erkannte auf Anhieb die Unterschiede. Auch bemerkte er, dass dieser lähmende Einfluss die geschlagene Bresche nicht wieder schloss. Gemeinsam gingen sie Hand in Hand hinüber zu dem Vater des Jungen, um ihn wie seinen Sohn zuvor aus der Starre zu erlösen. Es bedurfte keiner Berührung oder seltsamer Zaubersprüche, wie Veit es sich ausgemalt hatte. Beide taten sie nur einen einzelnen Schritt und der Bann wich im selben Augenblick vor ihnen zurück. Veit sah auf und zeigte nach vorn. »Du sagst die Wahrheit. Das, das ist ja ...« ohne Vorwarnung umarmte er seinen Retter und Erlöser. »... Prima.«
Si'mon hob die linke Hand über dessen Kopf, verharrte jedoch einen gestrichenen Moment und wuschelte ihm die Haare.
»Komm, lass uns auch die anderen aus ihrer misslichen Lage befreien.«