Jedem war deutlich anzusehen, wie die nächtliche Ruhe ihnen geraubte Kräfte rückerstatte. Matte und kraftlose Bewegungen wie auch zeichnende Augenringe gehörten der Vergangenheit an.
Wolff ließ seine Männer an Schlüsselpositionen Stellung beziehen und vergewisserte sich vom Turm des Haupthauses aus, dass alle korrekt standen.
Er nickte für sich allein und begab sich hinab zum Musterungspodest. Dieses wurde einst nahezu mittig des Garnisonshofes errichtet und schenkte dem Kommandanten einen allumfassenden Blick der zu musternden.
Auf dem Weg hinab durchquerte er einen längeren Flur, an welchem die Räumlichkeiten der Unterführer angrenzten, so an der Stirnseite jenes Ganges auch das großzügigere des Garnisonskommandanten. Er steuerte eben dieses an, wohl wissend, dass seine Männer dieser grauen Lähmung noch einen weiteren Moment standhalten konnten. Eine einzelne Person war in diesem Zimmer und diese saß mit einer Schreibfeder in der Hand an seinem Schreibtisch. Wie erwartend in seinem Tun erstarrt. Wolff trat heran und entzog dem Schreibenden vorsichtig die Nachricht. Diese war bereits stark vergilbt und die Tinte beinahe komplett verblasst.
Mein König, seit ihr Kommandant Wolff seinem Kommando enthoben und zu anderen Aufgaben berufen habt, steht der Zusammenhalt der Garnison auf einer harten Probe. Die Männer sind nicht nur ihnen und der Garnison unterstellt, sie sind oder besser waren ein Teil von Kommandant Wolff. Ihm allein gilt es zu verdanken, dass die Männer ihre Schuld dem König gegenüber begleichen. Ich empfehle mich und erbitte um ihre Einsicht. Setzen sie Wolff wieder ein und es besteht weiterhin Hoffnung, ›Tiefwald‹ zu halten. Ich hingegen kann es den Männern nicht begreiflich machen, weshalb wir uns hinter den Mauern verschanzen, während Flüchtende ihrem Heil ausgesetzt sind.
Mehr konnte Wolff nicht entziffern, da die Feder über den Rest der Schrift gerissen wurde. Vermutlich, als die Lähmung einsetzte.
»Deinem Gesuch wurde gehör geschenkt, Unterführer Klaas.«
Er ließ die Nachricht fallen und begab sich zu seinem Ziel. Angekommen hob er die linke Hand an den Mund und suchte Blickkontakt zu seinen Männern. Er blies zwischen seinen Fingern hindurch und ein gellender Pfiff erklang. Gleich darauf zersprangen zehn Röhrchen, dem Klang nach als würde jemand die guten Teller seiner Helena zerdeppern.
Was sie wohl gerade tat? Ob sie an ihn dachte? Wie stand es um Simon und Senkenthal?
Alle wussten, was und wie es geschehen würde und sie waren vorbereitet. Sie traten von Kamerad zu Kamerad und halfen jenen, die Hilfe bedurften. Nach und nach schlugen vollgerüstete Männer frei atmend die Augen auf und blickten in helfende und bekannte Gesichter. All jene, die noch unter Orientierungsverlust litten, wurde aufgeholfen und in den Hof geführt. Wolff stand auf seinem Platz, die Hände erwartend hinter dem Rücken verschränkt mit Blickrichtung zum Haupthaus.
»Wo bleibt ihr Taugenichtse?! Bewegt eure müden Knochen, ihr habt lange genug dagelegen und es gibt viel zu tun.« Bedächtig drehte er sich herum und blickte über die sich versammelnde Menge.
Unverständliches Raunen wallte über den Hof bis hinauf zu den Wehrgängen. Sie erkannten ihren Kommandanten und schenkten sich ungläubige Momente. Auch Unterführer Klaas betrat den Hof, als er gellende Rufe vernahm. Er glaubte die Stimme erkannt zu haben, als seine Sinne erwachten, und bemerkte erst auf dem zweiten Blick den entrückten vergilbten Zettel, den er im Begriff war zu schreiben.
»Unterführer Klaas. Lasst endlich antreten. Wir müssen die Zuwege nach Senkenthal herrichten und diesen Wald von seinem Übel befreien. König Simon wird bereits Arbeiter entsandt haben.«
Er sprach nicht aus, was er, wie viele andere auch, in diesem Moment dachten. Wer ist König Simon, wo der ihre doch Kilian sei.
Erst nachdem der Letzte unter den Schmerz der langen Lähmung antrat, erklärte Wolff den Männern mit knappen Worten, was sich während der vergangenen Jahreswenden zutrug.
Dies war seine Garnison und seine Männer. Er kannte beinahe alle mit Namen und wusste über nahezu jeden zu urteilen. Ihm oblag die Verantwortung und so benannte er drei Trupps.
Die einen hielten die Stellung und bereiteten die Garnison wie auch das Umland erneut vor. Entsatz, Nahrung und Materialien mussten eingewiesen, trainiert und beschafft werden. Sie waren es auch, die die Umgebung bestreiften und etwaige Überbleibsel ihrer Besatzer zu beseitigen.
Der zweite Trupp eilte jenen entgegen, die berufen wurden, ›Tiefwald‹ und die Verbindungswege zu bewirtschaften. Es stünde in einem jeden Pflicht, das gemeinsame Land, ihr Königreich, neu zu ordnen.
Den dritten Trupp, ausschließlich Berittene, führte er eigenst in angegebene Richtung. Alanel beschrieb ihnen den zu gehenden Weg und den Ort, an welchem sich einer dieser seltsamen Baumstümpfe befand, der für dieses Grau ausschlaggebend sein solle.