Der Plan
Hatora berichtete Bengolf, was sie im Sternenwald gesehen hatte.
"Alturin wird in einer Holzhütte gefangen gehalten und wird von zehn der Gnomm bewacht, die bis an die Zähne bewaffnet sind. Rincobal der mir als weisser Zauberer bekannt war, hat sich auf die dunkle Seite begeben. Der Grund ist mir nicht bekannt. Jedoch hat er das Volk der Gnomm unter seine Herrschaft gebracht und knechtet sie mit harter Hand. Er ist ein mächtiger Zauberer und dunkel sind seine Gedanken. Alturin ist unversehrt, ich habe ihn an der Tür durch die Gitterstäbe gesehen."
"Ihr seid so nahe heran gekommen?, fragte Bengolf.
"Undra und ich sassen auf einem Ast eines Sternenbaumes, Bengolf. Nun frag nicht weiter, es ist nicht wichtig. Wichtiger ist, dass wir einen Plan schmieden, wie wir ihn von dort befreien können."
"Ihr habt Recht Herrin," antwortete Bengolf.
"Der Boden ist durchsetzt von den Behausungen der Gnomm. Sie würden sofort bemerken, wenn sich jemand über den Waldboden zum Sternenwald bewegt. Dieser Weg wäre zum Scheitern verurteilt. Eine List muss her, Bengolf. Wir müssen es schaffen, sie abzulenken und dann..... aus der Luft vielleicht. Aber wie bringen wir Alturin zum Fliegen?"
Nachdenklich sahen sie sich an, aber an diesem Tag kamen sie nicht weiter.
Ein Monat ging ins Land und der junge Mikkel hatte riesengrosse Fortschritte gemacht. Sowohl in seiner Ausbildung als auch von seiner Grösse her. Er hatte mit Bengolf gleichgezogen. Vor ein paar Tagen hatte er die Prüfung im Bogenschiessen bestanden und im Schwertkampft stand er kurz davor. Bengolf war ungeheuer stolz auf seinen Schüler. Er saugte das Wissen förmlich in sich auf und eine einzige Erklärung reichte aus. Fragen stellte er selten. Bis auf heute.
"Bengolf, sag mal....glaubst Du dass meine Eltern wirklich tot sind?"
Bengolf war überrascht über diese Frage. Mikkel tat ihm leid. Er sah den Körper eines fast erwachsenen Mannes vor sich, der in geradezu kindlicher Manier nach seinen Eltern fragte. Er hatte es trotz der vielen neuen Eindrücke noch nicht verwunden. Natürlich nicht.
Freundschaftlich legte Bengolf seinen Arm um Mikkels Schulter.
"Weisst Du, nach dem was wir über die Umstände wissen, müssen wir zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass sie leider nicht mehr unter uns weilen. Aber letztlich wissen wir es nicht ganz genau und....... Hoffnung gibt es immer. Du solltest sie Dir von niemandem nehmen lassen Mikkel. Merkwürdige Dinge geschehen gerade jetzt in diesem Lande und wer weiss, was noch alles kommt. Ich kann fühlen, dass Du eine sehr starke Wunschenergie hast. Vielleicht hilft Dir dies weiter Mikkel. Stelle Dir einfach vor, dass Du sie eines Tages wieder siehst," sagte Bengolf.
"Meinst Du, dass hilft?," fragte Mikkel.
Bengolf zögerte einen Moment.
"Wäre doch möglich oder? Und schaden kann es auch nicht. Ich denke, wenn Du Hatora um Rat fragen würdest, könnte sie Dir helfen. Allerdings solltest Du nicht dauerhaft im Land der Wünsche bleiben, denn das Leben findet hier statt," sagte er.
Mikkel nickte nur und sie gingen weiter in Richtung der alten Eiche vor dem grossen Tor. Heute standen weitere Übungen mit dem Schwert an. Bengolf verband Mikkel die Augen und gab ihm sein Schwert. Seit einer Weile schon war es nicht mehr aus Holz.
"Und nun.....konzentriiiiiiere Dich Mikkel!" sagte Bengolf mit erhobener Stimme.
Mikkel stand kerzengerade mit dem Rücken zu ihm und hatte seinen Kopf gesenkt. Die Schwertspitze stand auf dem Boden und seine Hände lagen oben auf dem Griff. Nach kurzer Zeit hob er den Kopf, umfasste den Schwertgriff mit beiden Händen und nahm es vor die Brust.
"Und los!," rief Bengolf.
Er bewegte sich auf Mikkel zu, hob sein Schwert und liess es auf ihn niedersausen. Mikkel zog das Schwert hoch und blockte den Schlag ab. Geschickt drehte er sich zur Seite weg und ging zum Gegenangriff über. Seitlich führte er das Schwert in Richtung Bengolfs Körper. Bengolf blockte ab und stach nach vorne auf Mikkels Körper. Mikkel lies sich fallen, hakte in Bengolfs Beine ein und warf ihn im Drehen um. Blitzschnell sprang er auf die Beine und brachte seine Schwertspitze an Bengolfs Hals zum Stehen. Bengolf war völlig überrascht worden. Es ging alles so schnell. Er forderte Mikkel auf, seine Augenbinde abzunehmen und hielt ihm die Hand entgegen. Mikkel zog ihn hoch. Sie lachten sich an.
"Der Zusatzunterricht beim Hauptmann der Lichtkrieger hat Dir gut getan Mikkel. Das war sehr gut. Du führst eine gute Klinge und bist zu einem passablen Kämpfer gereift. Ich bin stolz auf Dich! Der Unterricht ist zu Ende. Und nun......empfange Dein Schwert. Komm mit in die Waffenkammer," sagte Bengolf.
Sie gingen zurück in die Glasburg und kurz darauf standen sie vor dem Eingang der Waffenkammer. Ein Wachsoldat öffnete ihnen. In der Mitte der Kammer stand Hatora und hielt ein in wertvolles Tuch eingewickeltes Schwert in der Hand. Sie forderte Mikkel auf näher zu kommen. Mikkel verbeugte sich vor ihr. Ein feierlicher Moment. Hatora legte das Schwert in Mikkels geöffnete Hände und nahm das Tuch ab. Ein silbernes, blitzendes Schwert kam zum Vorschein. Am Ende des Griffes war ein gelber Edelstein eingearbeitet. Die Enden des gekreuzten Schlagschutzes über dem Griff waren mit zwei roten Edelsteinen besetzt. In der Mitte des Griffschutzes war zu beiden Seiten ein Symbol eingearbeitet. Eine goldene Sonne mit zwölf Diamanten ringsum.
"Empfange nun Dein jungfräuliches Schwert Mikkel, sagte Hatora mit erhobener Stimme, möge es Dich beschützen und Dir immer gute Dienste leisten. Mögest Du es stets mit Weisheit führen und zum Wohle der Menschen einsetzen."
Mikkel bedankte sich und verbeugte sich erneut vor Hatora. Voller Stolz hielt er sein eigenes Schwert in der Hand und sah es sich ganz genau an. Ein Bediensteter kam heran und übergab Mikkel die dazugehörige Scheide für sein Schwert. An Bengolf gab er ein kleines Beutelchen herüber, in dem etwas eingepackt war. Bengolf wandte sich an Mikkel.
"Und dies hier ist ein kleines Geschenk von mir für Dich. Ich habe es für Dich anfertigen lassen," sagte Bengolf.
Er holte einen ledernen Gürtel aus dem Beutel heraus und reichte ihn Mikkel. Mikkel bedankte sich und sah sich den braunen Ledergürtel genau an. Er rollte ihn aus. Es waren verschiedene Situationen aus dem Leben dort eingearbeitet. Ein kleines Dorf, dass Mikkels Dorf darstellen sollte. Eine alte Knorreiche auf einer Lichtung, die ein Sonnensymbol trug mit zwölf Sternen drum herum und die Kristallstadt mit der Glasburg.
"Das sind gleich zwei wunderschöne Geschenke, sagte Mikkel, ich danke Euch von ganzem Herzen!" Er verbeugte sich zuerst vor Hatora und dann vor Mikkel.
"Legs mal an, sagte Bengolf, nicht dass es noch Staub ansetzt."
Mikkel lachte und schnallte sich den Gürtel um. An seiner linken Seite hatte er die Schwertscheide angebracht, in die er nun sein neues Schwert einsteckte.
"Das sieht mir recht vielversprechend aus, meinte Hatora. Heute ist ein besonderer Tag und ich denke, dass wir diesen Tag ein wenig feiern sollten. Ich habe ein Mahl herrichten lassen. Lasst uns speisen gehen."
Sie ging voran in Richtung des Speisesaales und Bengolf und Mikkel folgten ihr. Kurz darauf nahmen sie an einer festlich gedeckten Tafel Platz und liessen es sich schmecken. Nach dem Essen sprachen sie gerade über Mikkels Schwert, als ein Diener hereinkam und sich an Hatora wandte.
"Herrin, Undra ist mit einer Botschaft zurückgekehrt," sagte er.
"Führe sie herein," wies ihn Hatora an.
Kurz darauf flatterte Undra herein und nahm auf einer freien Stuhllehne Platz. Sie verbeugte sich vor Hatora und wippte mit dem Köpfchen auf und ab.
"Ich habe Undra zur weisen Eulenmutter geschickt und sie um Rat und Hilfe gebeten. Nun Undra berichte uns. Was hat die weise Eule für Nachricht?"
Bengolf fragte Hatora, ob Mikkel dabei bleiben solle.
"Er ist nun einer von uns, Bengolf und er soll hören, was Undra uns an Kunde mitbringt."
Undra ergriff das Wort und berichtete Hatora und den anderen von ihrer Reise zur weisen Mutter Eule.
"Die Mutter Eule lässt Euch grüssen Herrin. Auch sie hat Kenntnis davon, dass merkwürdige Dinge geschehen sind und sie weiss darum, dass gewisse Dinge im Umbruch sind in unserer Welt. Der weisse Zauberer Rincobal hat zur dunklen Seite gewechselt und scharrt immer mehr Verbündete um sich herum. Er wurde bei anderen Völkern gesehen sucht deren Anführer auf, um sie für sich zu gewinnen. Er ist von niederen Absichten geführt und seine Gier nach Macht und Verderbnis scheint immer grösser zu werden. Verblendet von seinem eigenen Schmerz wird sein Zorn auf die glücklich und zufrieden lebenden Menschen immer grösser. Die Mutter Eule sagt Euch ihre Hilfe zu in der Angelegenheit um Alturin und den Sternenwald. Einen Tag vor dem nächsten Neumond werden sie hier bei Euch eintreffen."
"Das sind gute Nachrichten Undra. Richte der weisen Mutter Eule bitte meinen Dank und meine Grüsse aus und sage ihr, dass wir sie mit Freude erwarten."
Mit einem leichten Kopfnicken hob Undra ab und flog gleich aus einem offen stehenden Fenster heraus.
"Was habt Ihr vor Herrin," fragte Bengolf.
Hatora offenbarte Bengolf und Mikkel ihren Plan. Die Befreiung von Alturin aus den Händen des wahnwitzigen Rincobal sollte bald beginnen. Bei Neumond würde die Eulenschar in den Sternenwald eindringen und mit Hilfe einer List für die Befreiung von Alturin kämpfen. Mikkel sollte derweil in der Glasburg bleiben und mit einer weiteren neuen Ausbildung beginnen, die sein Wissen um den Umgang mit den Kristallen erweitern sollte.
Der Tag des Neumondes nahte heran und alle Vorbereitungen waren getroffen. Die Kristallstadt war angefüllt mit Hunderten von Eulen. Einige Lichtkrieger standen bereit und auf einem Karren, der von einem schwarzen Rappen gezogen wurde, waren unter einer Decke Dinge verstaut, die Hatora für den Angriff benötigte. Bengolf führte den Zug an mit Hatora an seiner Seite. Die Schar der Eulen erhob sich in die Luft und begleitete den Zug.
Auf dem etwas holperigen Boden des Vorplatzes der Kristallstadt wackelte der Karren hin und her und unter der Decke bewegten sich die mitgeführten Dinge.
Doch führte der Karren noch etwas mit sich, von dem niemand hier wusste.....