Kalt, schon beinahe eisig, zerrten die immer wehrenden Winde durch die Klamm. Das Firmament, seit Tagen wolkenbehangen, ließ nur mancherorts, fernab am Horizont und weit landeinwärts die noch stetig am Himmel scheinende Sonne erahnen.
Der Kampf war gefochten, die Invasion zurückgeschlagen. Drei lange Monate entsendete die grausige wie kaltherzige Königin des tiefsten Nordens ihre Horden. Allein den Recken Belletristicas und jenen, die dieses Eiland ihre Heimat nannten, war es zu verdanken, dass ein jeder noch den Morgen, den Tag und den Abend erleben durfte.
Nun jedoch stand allen ein neuer Kampf bevor. Nach dem Frühling begrüßte sie ein außergewöhnlicher Sommer. Danach folgte der goldene Herbst und nun, nachdem die Invasoren geschlagen, vertrieben und zurückgedrängt wurden? Hart und müßig würden die Tage vergehen. Eiligst erntete man die Felder, die noch zu ernten waren. Sie alle ... ein jeder ... bereitete sich darauf vor.
»Ser?«
Gedankenverloren stand er nach wie vor da. Beide Hände auf die Brüstung liegend, stützten diese seinen vorgelegten Oberkörper. Es schien als beobachte er. Suche nach etwas oder jemanden, der nicht kommen würde.
Sein dunkelblondes, mehr ins bräunlich reichende Haar tanzte in den Böen des Windes. Sein Umhang wehte munter auf und ab.
»Ser, ihr steht seit Stunden hier oben. Es ist verdammt kalt. Kommt, ich habe ein Feuer entfachen und ein Mahl bereiten lassen.«
Endlich sah er auf. Blässe und ... war es Gram oder Trauer, die in seinen Augen zu lesen waren?
»Ser?«
Angesprochener nickte und stieß sich von der Mauerkrone ab. Er drehte sich und trat näher zum Sprecher. Seine Hand ruhte auf dessen vom alter hängenden Schulter. »Ich bin nicht dein Ser.«
Ein leichtes Beugen des Kopfes zeugte von Gehörtem. Ein Lächeln umspielte dessen Mundwinkel. »Ihr wart es, der uns hier ins Tal führtet. Unter euch haben wir diese schöne Burg und Grafschaft errichten können. Mit euch als Anführer haben wir dem Ansturm der Winterdämonen getrotzt. Erlaubt mir bitte, selbst darüber zu entscheiden, wen ich mit ›Ser‹ anspreche.«
»Wie ihr meint, mein Freund. Ist er schon da?«
»Ja Ser. Er wartet in eurem Arbeitszimmer.«
Wohlige Wärme und der Duft nach kürzlich verbrannten Fichtenzweigen strömte ihm entgegen. Er betrat den Raum und hing den Umhang über eine hohe Lehne seines hölzernen Stuhles. Leise knarzte der lederne Bezug, als er es sich bequem machte.
»So wollen wir beginnen? Ich freue mich, eurer Worte zu lauschen.«
Lautstark atmete er ein und wieder aus. Seine Hände ruhten auf stilisierten Falkenköpfen, die ein findiger Schreiner in die Armlehnen einschnitzte. »Ich habe noch nie über mich selbst gesprochen. Wo fange ich an?«
Es blieb ihm nicht verschlossen, dass sein Gegenüber sich offensichtlich auf seine Kosten amüsierte. Weiße und saubere Zähne blitzen in seinem geöffneten Mund hervor, sodass sein offenkundiges Alter deutlich geringer sein musste, als sein äußerer Schein gleichermaßen offenbarte. »Ich empfinde mit euch, Ser.«
»Und wieder dieses Wort.« Sein Kopf sackte ihm auf die Brust.
»Wie meinen?«
Ohne zu antworten, schüttelte er das Haupt und hob abwiegend die rechte. »Wie auch immer. Sagt mir bitte, wo und wie fange ich an, über etwas zu reden, was ich zuvor noch mit niemandem teilte?«
Abermals schmunzelte der ... Alte? »Um es euch selbst leichter zu machen, möchte ich auf Fragen zu eurem Leben absehen. Ihr habt so viel erlebt und durchgemacht.«
»Mhm ...«
»Erzählt mir von eurer Jugend. Wo wuchst ihr auf? Was habt ihr am liebsten gespielt?«
Nicken und aufwärts ziehende Mundwinkel bedeuteten den Fragenden, dass der Mann verstand.
Dieser schloss die Augen und lehnte sich zurück. »Ich war noch ein Junge ...«