Rufus erwachte mitten in der Nacht, weil er durstig war. Jeremy schlief nach dem Bad und dem darauffolgenden, ausgiebigen Sex, tief und fest. Wenn er auf dem Rücken lag, dann schnarchte er manchmal auch ein wenig, nur ganz leise und irgendwie fand Rufus das süß und auch beruhigend. Ru lag, wie so oft, oben, weshalb er vorsichtig aufstehen konnte, ohne den anderen zu wecken. Er ging leise in die Küche, wo er einfach aus dem Hahn trank. Danach wollte er gleich zurück ins Bett, doch irgendeine innere Unruhe ließ ihn aus dem Küchenfenster schauen. Da war nichts. Was sollte da auch sein? Nur der kleine Vorgarten, um den er sich zu wenig kümmerte und in dem das Gras viel zu hoch war. Der Mond schien und eine Katze huschte vorüber. Unter der Straßenlaterne blieb sie sitzen. Ein Kribbeln im linken Arm konnte nicht real sein, ließ ihn aber dennoch kratzen, obwohl es eine Ewigkeit her war, dass er dort eine Spritze angesetzt hatte. Er kannte diese Art von Phantomschmerz oder auch den Geist einer Erinnerung schon, aber dass es jetzt kam, hatte sicherlich etwas mit Olivers plötzlichem Auftauchen zu tun. Wie konnte der es wagen, ihn so einfach anzusprechen, nach allem, was gewesen war? Hey Posh Boy… Das war keine Kokain-Halluzination gewesen. Er war seit Jahren clean und klar. Rufus wurde kalt, das war real. Und real war auch, dass er sich von dem Typen bedroht gefühlt hatte. Aber warum? Er war jetzt erwachsen und das Ringen wie in dem Shakespeare Stück hatte er tatsächlich auf der Uni gelernt. Er könnte diesen Typen mit bloßen Händen abwehren, sogar bis zum bittersten Ende. Die einzig logische Erklärung für Olivers Auftreten war wohl, dass der sich keiner Schuld bewusst war. Hatte der sogar damit gerechnet, dass Rufus sich über ein Wiedersehen freuen würde? Ru machte sich einen warmen Tee. Er kam ins Grübeln. Richard hatte vorgehabt, Anzeige zu erstatten. Gegen Oliver, gegen die ganze Schule, wenn es sein musste. Sie hatten darüber gesprochen, in halbwegs klaren Momenten. Aber die waren zu selten und da lag das Problem. Er war körperlich und psychisch ein Wrack gewesen, wollte nichts davon wissen, wollte nur, dass man ihn in Ruhe ließ. Und kaum, dass er begriffen hatte, was da eigentlich geschehen war, dass es so nicht hätte geschehen dürfen, schämte er sich, weil er so naiv gewesen war. Was hätte er sagen sollen vor Gericht? Hatte er deutlich nein gesagt? Ich weiß nicht wie,… Komm schon… Ich will nicht… Hier, das Zeug ist echt gut… Ich kann das nicht… Stell dich nicht so an… Na geht doch… Nei...n...? Rufus schaute nochmal aus dem Fenster. Was, wenn Oliver hier auftauchen würde? Der Arm kribbelte. Irgendwo musste seine Jacke sein, da war bestimmt noch eine Zigarette in der alten Packung. Beim Aufstehen kippte er die Teetasse um. Shit. Wo war das Handtuch? Er fand eins bei der Spüle. Als er sich umdrehte, stand da Jeremy mit einer Decke um in der Tür.
„Was machst du mitten in der Nacht, nackt, in der Küche?“ Das war kein Vorwurf, sondern eine Mischung aus Überraschung und Besorgnis, wie er das sagte.
„Ich hatte Durst und wollte dich nicht wecken. Der Tee…“
„Macht nichts. Komm ins Bett, du siehst kalt aus.“ Seine Stimme klang beruhigend.
Jeremy legte Rufus direkt die Decke über und ihm wurde gleich wärmer.
Sie gingen zurück ins Bett, und Jeremy legte seine Arme um Rufus, damit er warm genug war.
„Ist alles okay?“, fragte er noch.
„Ja sicher, geht schon.“ Mehr musste Rufus nicht sagen. Ihm war klar, dass Jeremy klar war, warum er nachts wach wurde. Jeremy küsste ihn auf die Stirn.
„Es ist alles gut“, flüsterte er Rufus zu. Der schmiegte sich an ihn und versuchte wieder einzuschlafen, aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis er sicher war, die aufsteigenden Bilder in seinem Kopf wieder verdrängt zu haben. Das hatte er in der Therapie gelernt. Ruhig atmen und auf andere Bilder konzentrieren. Er konzentrierte sich auf Jeremys Lächeln, den Klang seiner Stimme, den Duft seiner Haut, die Blinddarmnarbe und er stellte sich vor, wie sie unter der Eiche gelegen hatten. Dann endlich schlief er wieder ein.