Erschrocken schaue ich über meine Schulter, als ich Schritte hinter mir höre.
"Es ist grausam", sagt Noah und schaut, wie so oft, zu Boden, als er merkt, dass er mich erschrocken hat. "Tja, mit so etwas muss man wohl rechnen, wenn man zur Polizei geht.", gebe ich genervt zurück und hoffe, ihn damit zum Schweigen gebracht zu haben. Doch er lächelt nur und schaut mir direkt in die Augen. "Sie verstellen sich", sagt er und geht an mir vorbei zur Leiche.
Erschöpft will ich durch meine Haare fahren, bis mir einfällt, dass ich sie kurzgeschoren habe. "Was ist nur aus mir geworden?". Langsam streife ich mir die Latexhandschuhe an und beginne, den toten Körper neben mir zu untersuchen. "Es sieht so aus, als hätte ihn jemand von hinten erstochen. Es gibt keine Kampfspuren und ich glaube das Opfer hat seinen Mörder gekannt, denn so wie er liegt hätte er sehen müssen, wer auf ihn zukommt", stelle ich fest.
"Stimmt", war die einzige Reaktion, die ich meinem Kollegen entlocken kann.
"Sehen Sie sich in der Wohnung um, ich vernehme die Leute", sage ich und haste aus dem Raum.
Ich drehe mich nicht mehr um, auch nicht, als ich das verächtliche Schnauben Noahs hinter mir höre. Nach den Minuten in dieser finsteren Wohnung, treibt mir das Sonnenlicht Tränen in die Augen. Geschickt fische ich meine Sonnenbrille aus der Tasche meiner Lederjacke, setze sie auf und gehe den Weg, vorbei an den Wohnungen und hin zu der immer noch aufgeregten Menschenmenge, entlang. Es sind nicht wirklich viele Leute, da fast niemand in so einer abgelegenen Siedlung wohnen will.
Ich bitte die Leute, sich nicht zu entfernen und befrage dann nach und nach die Personen.
Niemand hat etwas verdächtiges gesehen oder gehört und auch sonst hat jeder ein Alibi. Nur bei einer Frau, Sonja, bin ich mir nicht sicher. Sie ist noch ziemlich jung, wahrscheinlich um die zwanzig . Ihre Augen glänzen feucht und sind verräterisch rot, als hätte sie die ganze Nacht nur durch geweint, doch nach ihren Angaben, kannte sie den Toten, der sich als Herr Rot herausstellte, nur flüchtig. Niemand hatte ihr da widersprochen.
Seufzend erlaube ich den Menschen, sich zu entfernen, doch Sonja halte ich zurück.
"Es tut mir leid junge Frau, aber ich muss Sie bitten, das Grundstück nicht zu verlassen."
"Oh, das hatte ich auch nicht vor!", kommt sogleich ihre feurige Antwort.
Kopfschüttelnd drehe ich mich um und steuere auf den Wald, nahe der Siedlung zu.
Vorsichtig gehe ich durch das Gestrüpp, bis ich mir sicher bin, dass mich niemand beobachten kann. Geschützt im Dickicht der Bäumen warte ich, an den Stamm einer alten Eiche gelehnt, auf Melanie Messner, eine Dame, ungefähr im gleichen Alter wie Sonja Riegler. Frau Messner hatte mir, als ich gerade dabei war, einen ihrer Mitbewohner zu befragen, ein Zeichen gegeben und vielsagend auf den Wald gedeutet, also nehme ich an, sie will mir hier etwas für den Fall hilfreiches sagen, das sie in der Anwesenheit anderer Personen nicht konnte.
"Wie ich sehe, haben sie mich verstanden!", dringt da Melanies Stimme an mein Ohr.
"Also haben sie einen Hinweis, der mir bei diesem Mordfall hilfreich sein könnte?", gebe ich mit gelassener Stimme zurück.
"In der Tat! Aber alles nach seiner Zeit". Plötzlich steht sie vor mir, bedrohlich wie ein Tiger, der zum Sprung ansetzt, um seine Beute zu fassen.
"Ich würde es sehr begrüßen, wenn sie mich aufklären würden, immerhin handelt es sich eindeutig um einen Mordfall!"
"Natürlich. Und nach meinen Informationen werden sie auch wissen, wer diese furchtbare Tat zu verantworten hat."
"Das will ich au-". Mit einer ruckartigen Handbewegung schneidet sie mir das Wort ab und beginnt dann selber zu sprechen.
"Der Tote hatte ein Verhältnis. Mit meiner Nachbarin. Sonja Riegler."