In der Kammer rieben Madlaina und Ravena Roanas Körper zuerst mit Eis und danach mit Heu ab, bis ihre Haut gerötet war und beinahe dampfte. Roana stöhnte und wehrte sich, aber die beiden Frauen ließen sich davon nicht beirren. Mithilfe der Dienerin streiften sie der Kranken ein einfaches Leinengewand über und hüllten sie in warme Decken.
Ravena schüttete einen Scheffel Labdanum und Angelikawurzel in die Räucherschale und wedelte mit einem Fächer den reinigenden Rauch über das Bett.
»Bring mir zuerst warmen Wein mit Kumin«, befahl sie einer Dienerin. »Dann nimm Gerstenmehl, mische es mit dem Weißen vom Ei und gib Beifuß, Salbei und Poleiminze dazu, aber nicht die ganzen Blätter, sondern nur den Saft. Daraus bäckst du kleine Fladen und gibst sie der Frau mehrmals täglich zu essen.« Sie blickte auf die Kranke. »Und nimm eine Handvoll Persicaria zusätzlich«, fügte sie hinzu.
Die Dienerin lief eilig los.
Ravena ließ sich neben dem Lager auf einem Schemel nieder. Roanas Augen waren geschlossen, düstere Schatten umspielten sie. Ihr Atem ging schwer, ihre Lippen waren trocken.
Ravena kühlte ihr die schweißfeuchte Stirn mit einem feuchten Tuch. Als die Dienerin mit dem Becher kam, kniff die Kranke die Lippen zusammen und schüttelte mit gequältem Gesichtsausdruck den Kopf.
»Madda komm, hilf mir«, sagte Ravena und beugte sich über Roana. Sanft strich sie ihr über das kurze Haar. Dabei summte sie eine beruhigende Melodie, die sie oft benutzte, um die Kinder in den Schlaf zu singen.
Madda schob ihren Arm unter Roanas Nacken und hob ihren Kopf an. Und als Ravena den Becher mit dem Sud an ihre Lippen setzte, trank die Kranke tatsächlich, langsam und Schluck für Schluck. Ravenna gab ihr immer wieder Pausen, damit sie sich erholen konnte. Mit leiser Stimme wies sie die Dienerin an, ein Kügelchen Labdanum auf die Räucherschale zu legen. Sie hoffte, das kostbare Harz würde den Geist ihrer Patientin beruhigen, ihre Lebensgeister wieder aufrichten. Sie spürte deutlich, dass Roana nicht nur aus Trauer um das verlorene Leben nach innen flüchtete. Ob ihre Stimmung mit dem Medikus zusammenhing?
Ein seltsamer Mann war das, mit sich selbst nicht im Reinen. Sie musste einen Moment überlegen, bis ihr der Name einfiel, mit dem der verletzte Sänger ihn angesprochen hatte. Nael.
Sie vermochte sich nicht vorzustellen, was genau in ihm vorging. Unten im Flur hatte er die barbarische Wildheit eines Mannes ausgestrahlt, der nach Gewalt lechzte. Seine harte, düstere Miene war eine eindeutige Warnung gewesen, ihn nicht weiter zu provozieren.
Wovon sie sich für gewöhnlich nicht einschüchtern ließ. Sie hatte gelernt, sich Männern gegenüber zu behaupten. Aber mit ihm war plötzlich alles anders gewesen. Mit brennenden Wangen und wild pochendem Herzen hatte sie die Augen gesenkt, während seine Arme fest um sie geschlungen waren, sein Körper sich gegen sie presste. Binnen eines Herzschlags war sie in eine andere Welt katapultiert worden. Der Himmel brach über ihr zusammen. Die Zeit lief rückwärts. Schweine konnten fliegen. Er sah ihr ins Gesicht und aus der Nähe erschienen ihr seine Augen viel verletzlicher, als sie erwartet hatte. In ihnen las sie Unmut, Reue, Belustigung, Neugier – eine Fülle von Gefühlen, die die durch den Zorn hervorgerufene Kälte durchdrangen.
Ravena hatte reglos und mit offenem Mund dagestanden. Bebend, während Augenblick um Augenblick verstrich. Sein Verhalten verdiente eine scharfe Zurechtweisung, aber die passenden Worte hatten ihr nicht einfallen wollen.
Bei der Heiligen Jungfrau! So etwas passierte ihr doch normalerweise nicht! Aber dieser Mann hatte irgendetwas an sich. Sein Blick belegte sie mit einem Zauber. Sie wollte ihm verfallen. Mit Leib und Seele. Sie war verloren.
Ravena fuhr sich mit einer unwirschen Handbewegung über die Augen und stemmte sich vom Bett hoch.
Ihre Patientin war in einen ruhigen Schlummer der Erschöpfung gefallen. Sie bat Madda, die Wache am Bett der Kranken zu übernehmen und verließ den Raum. Es gab ja noch einen zweiten Patienten, um den sie sich kümmern musste. Madda hatte ihr in groben Zügen berichtet, was dem Sänger zugestoßen war. Sicher hatte er Schmerzen und sie kramte in ihrem Gedächtnis nach dem passenden Rezept, um seine Beschwerden zu lindern. Vor allem benötigte sein Fuß Ruhe, eine Diagnose, die Madda sicherlich gefallen würde. Hieß es doch, dass der Sänger auf unbestimmte Zeit an ein Bett gefesselt war und nicht weiterreisen konnte. Ravena kannte ihre Zofe lange genug, um zu ahnen, wie gut ihr der unerwartete Gast gefiel.
Sie fand Tarun und den Sänger in eine angeregte Unterhaltung vertieft vor. Was bedeutete, dass Peire sprach, während Tarun aufmerksam lauschte und ab und zu eine Geste beisteuerte. Ravena blieb unbemerkt in der offenen Tür stehen und betrachtete die Szene. Peire erzählte von einer Grafenhochzeit und all den Wundern, die er dort gesehen hatte. Tarun saß zu seinen Füßen und sah gespannt zu ihm auf. In seinen Augen lag ein Glanz, den Ravena noch nie an ihm bemerkt hatte.
Sie trat vollends ein. Die Türangeln ächzten und die Stimmung im Raum schlug um. Peire verstummte abrupt und wandte das Gesicht der Tür zu.
Das ist Madonna Ravena, meine Mutter, gestikulierte Tarun. Sie ist eine Heilerin.
»Ich bin gekommen, um zu sehen, was ich für deinen Fuß tun kann«, ergänzte Ravena.«
»Die kleine Zerrung heilt schon von selbst«, erwiderte Peire ungeduldig. »Was mich im Moment mehr interessiert, ist Madonna Roana. Wie geht es ihr? Wird sie sich erholen?«
»Ich denke schon«, antwortete Ravena. »Sie ist jung und stark. Und sie hat Glück gehabt, dass wir sie so schnell gefunden haben. Im Moment ruht sie. Deshalb lass uns die Zeit nutzen. Zeig mir deinen Fuß.«
»Darum hat Nael sich schon gekümmert.«
»So? Hat er das? Nun, Gelenke zu bandagieren gehört nicht zu den üblichen Aufgaben eines Medikus«, sagte Ravena. »Du erlaubst, dass ich mir selbst ein Bild mache?«
Peire nickte. Ravena hockte sich dicht vor ihn und machte sich routiniert an seinem Fußgelenk zu schaffen. Doch schon nach wenigen Handgriffen musste sie anerkennen, dass es für sie tatsächlich nichts mehr zu tun gab. Der Verband saß präzise, ohne den Blutfluss zu behindern. Der Medikus schien sich nicht nur auf sein eigenes Fach, sondern obendrein auf das Handwerk eines Chirurgen zu verstehen.
Was für ein rätselhafter Mann, dachte sie, während sie den Raum verließ. Nael wirkte abweisend und unnahbar, aber Ravena beschlich der Verdacht, dass dies nur eine Rüstung war, hinter der er sich zu verschanzte. Verbarg sich hinter der harten Schale eine Verletzlichkeit, von der die Welt nichts wissen sollte?
Ganz offensichtlich hegte er Gefühle für Roana, die sehr stark waren. Ihr Anblick im Hof hatte ihn mit der Wucht eines Armbrustbolzens getroffen und seine Rüstung mühelos durchschlagen. Sie hatte das Entsetzen in seinen Augen gesehen, die Gewissheit, zu spät gekommen zu sein. Was sie, wie sie sich eingestehen musste, selbst jetzt noch mit Zorn erfüllte. Süßer Jesus, er war ein Medikus! Wie konnte er da resignieren, noch bevor er einen Behandlungsversuch unternommen hatte?
Doch dann schüttelte sie entschieden den Kopf. Sie war nicht unvoreingenommen. Sie war zornig und suchte ein Opfer, gegen das sich ihr Zorn richten konnte. Und sie grollte Nael, weil er sie geküsst hatte.
Entschlossen machte sie sich auf den Weg zur Küche, holte sich einen Korb und trat wieder auf den Hof hinaus. Sie würde ihren Kräutergarten kontrollieren, um zu sehen, welchen Schaden der Hagel an ihren kostbaren Pflanzen angerichtet hatte. Vermutlich würde sie einen Gutteil der Pflanzen wegwerfen müssen, was sie genauso gut auch später erledigen konnte. In Wahrheit, so gestand sie sich ein, wollte sie einfach nur ein paar ungestörte Minuten für sich haben, in denen sich Nael nicht ungebeten in ihre Gedanken schlich.
Nael saß in der Burgküche am Gesindetisch und schaufelte lustlos den würzigen Eintopf in sich hinein, den Jelscha ihm vorgesetzt hatte. Nachdem Peires Fuß versorgt war, hatte Tarun sich seiner erbarmt, und ihm den Weg zur Küche gewiesen. Die Köchin hatte ihm trockene Gewänder aus dem Besitz des verstorbenen Burgherrn beschafft, sodass er sich inzwischen beinahe wieder wie ein Mensch fühlte. Wenn er jetzt noch etwas von dem Enziangebräu des Wachsoldaten gehabt hätte …
Aber darauf durfte er vermutlich nicht hoffen. Nael seufzte und spähte angewidert in seinen Becher, der frische Ziegenmilch enthielt. Jelscha schien für betäubende Getränke nichts übrig zu haben.
Vor sich hin summend rumorte sie in der Küche herum, ohne dass Nael sehen konnte, was sie tat. Irgendwann entfernten sich ihre Schritte und eine Tür knarzte. Nael war allein. Er legte den Löffel weg und saß eine Weile reglos da.
Lastende Stille senkte sich über die Küche. Rafael beherrschte es meisterlich, diese Art von Stille zu ertragen. Nael konnte das in der Regel nicht. Er bevorzugte Bewegung, Schwung, Geräusche. Aber heute fühlte er sich erschöpft genug, um blicklos in den Raum zu starren.
Es war ein leises Rascheln und Scharren, das schließlich die Stille durchbrach. Etwas strich unter dem Tisch über seine Stiefel. Nael schüttelte unwirsch den Fuß, aber das Rascheln und Scharren blieb. Ungeduldig beugte er sich vor, um unter den Tisch zu sehen- und blickte in die strahlend blauen Augen eines Engels mit rotblonden Locken.
»Na, was haben wir denn da?«, frage er überrascht. »Wer bist du denn?«
»Alessa.« Der kleine Engel lächelte schüchtern. »Pinzessin Alessa.«
Nael hatte plötzlich das Gefühl, seine Kehle sei zu eng. Er hatte sich sehr bemüht nicht mehr an seine Familie, seine jüngeren Geschwister zu denken, aber mit dem Lächeln des Kindes überfluteten ihn die Erinnerungen wie ein Sturzbach. Er musste sich kräftig räuspern, um zu verhindern, dass seine Stimme bei der nächsten Frage zitterte.
»Warum sitzt du unter dem Küchentisch, Prinzessin Alessa?«
»Kein Tisch«, beschied ihm die Kleine. »Höhle. Komm gucken. Böser Drache hat Alessa gefangen. Komm, gucken!«
Nael ließ sich von seinem Schemel auf den Boden gleiten und spähte unter den Tisch. »Ich sehe hier keinen Drachen, Prinzessin.«
»Doch Drache. Da«, sagte Alessa ernsthaft und deutete mit dem Finger auf ihn. »Du großer böser Drache. Drache will Pinzessin Alessa fressen.«
»Oh nein, das will ich nicht. Ich habe heute keinen Appetit auf kleine Mädchen.«
Alessa zog einen Schmollmund. »Dann musst du König sein«, bestimmte sie. »König muss kommen und Pinzessin Alessa retten.«
»Nein«, sagte Nael streng. »Ich kann auch kein König sein. Ich habe keine Zeit, um mit dir zu spielen.«
»Warum nicht?«
»Erwachsene Männer spielen nicht«, gab Nael brummig zurück.
Zögernd rutschte Alessa näher. »Warum nicht?«
»Darum. Fragst du immer so viel?«
Riesengroße Kinderaugen sahen zu ihm auf. »Bist du jetzt böse?«
Ärgerlich auf sich selbst streckte er die Hand nach ihr aus, worauf sie ihn mit fragendem Blick ansah. »Ich bin nicht auf dich böse, kleine Prinzessin.«
»Wirklich?«
Er nickte. »Weißt du, was ein Medikus ist? Das ist ein Mann, der kranke Menschen wieder gesund macht. Ein Medikus muss ständig über viele Dinge nachdenken und deshalb hat er keine Zeit zum Spielen.«
»Mama spielt immer. Meine Mama ist auch ein Medi… Medi…«.
»Eine Medica?«
Alessa nickte eifrig.
Ausgerechnet, dachte Nael und richtete sich auf. Die Kleine war die Tochter der Burgherrin Ravena von Rocca d´Aquila. Das hatte ihm noch gefehlt. Mit Madonna Ravena wollte er nichts zu tun haben. Sie lenkte seine Gedanken nur von Roana ab. Von Roana, die wider Erwarten nicht gestorben war. Die laut Jelscha friedlich ihrer Genesung entgegen schlief. Wenn er ehrlich war, wusste er nicht so genau, wie er mit dieser Tatsache umgehen sollte. Seine Gefühle waren in Aufruhr. Einerseits war er unsagbar erleichtert über Roanas Rettung. Andererseits erfüllte ihn bohrende, nagende Wut, bei dem Gedanken, dass Ravena scheinbar mühelos eine Heilung gelang, bei der er kläglich gescheitert war.
Versager, höhnte Luccas Stimme in seinem Kopf. Nael presste sich die Handballen auf die Ohren, aber so leicht ließ sich sein Vater nicht zum Schweigen bringen. Mit einem frustrierten Stöhnen ließ Nael sich auf seinen Schemel fallen und hämmerte die Stirn auf das glatt gescheuerte Holz der Tischplatte. Versager, Versager …
Er hörte die Worte so deutlich, dass es ihm vorkam, als müsse er nur den Kopf drehen, um Lucca an seiner Seite stehen zu sehen.
»Du bist tot!«, knurrte Nael. »Ist es zu viel verlangt, dass du endlich mit diesen Spielchen aufhörst und mich in Ruhe lässt? Geh zurück in die Hölle, oder wohin Bastarde deiner Art verdammt noch mal gehen sollen. Verschwinde endlich!«
Ich will doch nur helfen, meinte Lucca nachsichtig. Du neigst dazu, zu vergessen, was du bist, mein Sohn. Jemand muss dich von Zeit zu Zeit daran erinnern.
»Du kannst mir nicht helfen!«, zischte Nael. »Du bist tot! Mich weiter zu foltern bringt nichts! Es hilft mir nicht! Das hat es noch nie!«
Lucca zeigte sich unbeeindruckt. Hör auf, dich wie ein aufsässiges Kind zu benehmen. Seine Geisterstimme nahm diesen irritierenden Tonfall an, in dem er immer mit Nael sprach. Es war dumm von dir, nicht auf mich zu hören …
»Du Lügner! Hör auf, mich zu quälen! Lass mich allein!«
Etwas zupfte an seiner Tunika und brachte ihn abrupt wieder in die Gegenwart zurück. Er hob den Kopf und sah sich Alessa gegenüber, die ihn still musterte. Ihre Augen waren so traurig, dass es ihm wehtat. Solche Traurigkeit hatte in Kinderaugen nichts verloren.
»Magst du mein Freund sein?«, fragte sie zögernd. »Mama sagt, Freunde sind gut, wenn man traurig ist. Freunde machen, dass man keine Angst mehr haben muss. Magst du?«
Nael verschlug es die Sprache. Die Worte des Mädchens trafen ihn wie ein Faustschlag in dem Magen. Aber beinahe noch mehr erschütterte ihn, aus ihrem Mund plötzlich den Dialekt seines geliebten Stiefvaters zu hören.
»Du … du sprichst Veneziano?«, stotterte er.
Alessa sah ihn einen Herzschlag lang beinahe erschrocken an, dann breitete sich ein solch glückseliges Strahlen über ihr Gesicht, dass sein Herz einen Satz in seiner Brust machte. Die Kleine klatschte begeistert in die Hände und dann sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. Nael hörte ihr überrascht zu und mit jedem ihrer Worte wuchs die grausam ausgedörrte Enge in seiner Kehle, die sich anfühlte, als ob jemand einen Knoten fester zuzöge.
Das Mädchen war ein Waisenkind, das Ravena einer Gruppe umherziehender Gaukler abgehandelt hatte. Sie beherrschte drei Sprachen, die auf Rocca d´Aquila jedoch niemand verstand. Alessa wiederum konnte weder Latein noch den regionalen Dialekt. Trotz Ravenas liebevoller Fürsorge hatte das intelligente Mädchen sich schrecklich verlassen gefühlt, weil es erst mühsam erlernen musste, sich verständlich zu machen.
Jetzt tanzte sie um seinen Schemel herum und ihr fröhliches Lachen bewirkte, dass sich ihm der Magen umdrehte. Wie sehr er seine jüngeren Halbgeschwister vermisste!
Mit einem schnellen Griff fing er Alessa ein und hob sie auf seinem Schoß. Das Mädchen kuschelte sich sofort vertrauensvoll an ihn. Nael vergrub die Nase in ihren nach Sonne und Blumen duftenden Locken und schloss die Augen. Seine Kehle fühlte sich schon wieder eng und geschwollen an. Himmel! Er würde jetzt nicht anfangen zu weinen. Nein, er war vollkommen ruhig und gelassen. Als er die Augen öffnete, stellte er fest, das Tarun in der geöffneten Küchentür stand und ihn mit misstrauischem Blick ansah. Seine Mundwinkel zuckten. Seine reglose, starre Haltung drückte den gleichen Unmut aus. Mit den Händen malte er Worte, die Alessa mühelos zu verstehen schien.
»Mama sucht mich«, verkündete sie und sah Nael mit großen, traurigen Augen an. »Aber ich mag lieber bei dir bleiben.«
»Ein anderes Mal«, sagte Nael, hob die Kleine von seinem Schoß und stellte sie auf die Füße. »Seiner Mutter darf man keinen Kummer machen. Und wenn sie dich sucht, musst du zu ihr gehen, hörst du?«
Alessa maulte noch ein wenig, aber dann hüpfte sie auf Tarun zu und ließ sich von ihm an die Hand nehmen. Tarun warf ihm noch einen eindeutig warnenden Blick zu, bevor er das Mädchen aus der Küche führte.
Nael hätte beinahe gelächelt. Wahrscheinlich wusste Ravena gar nicht, dass sie angeblich nach Alessa suchte. Tarun war ihm von Anfang an mit Misstrauen begegnet und schien der Meinung zu sein, ein Auge auf ihn haben zu müssen.
Nael seufzte. Die Zeiten, in denen er selbst eifersüchtig über das Wohlergehen seiner jüngeren Schwester Helena gewacht hatte, waren lange vorbei. Inzwischen zählte sie fünfzehn Sommer und konnte sich vermutlich kaum noch an sein Gesicht erinnern.
Nael griff nach seinem Löffel und tauchte ihn die Schüssel mit seinem halb gegessenen Eintopf. Aber dann ließ er ihn wieder sinken, weil ihm der Appetit endgültig vergangen war. Hier saß er nun und fühlte sich wie ein großer, nutzloser Haufen Mist. Es wurde dringend Zeit, dass er etwas fand, womit er sich betäuben konnte. Er wollte an diesem Tag nicht mehr denken.
Er verließ die Küche und machte sich auf dem Weg zum Torhaus, um dem Wächter einen Besuch abzustatten. Vielleicht ließ sich dort etwas Trinkbares auftreiben.