„Ihr elender kleiner Giftzwerg! Wie könnt Ihr es wagen?“
Die Stimme des Fürsten von Cooh, Aleksar Vîbor, bebte vor kaltem Zorn und er spürte, wie seine Lippen zitterten.
„Ich wage gleich noch etwas ganz Anderes“, grollte Yo Valkja, der Anführer des dritten lanoischen Heeres, auf der anderen Seite des Tisches und die Augen seines Gegenübers verengten sich zu raubtierhaften Schlitzen.
Dann herrschte für einen Moment Stille und Aleksar war, als ob die Luft zwischen ihm und diesem Hund von einem General knisterte.
„Bruder, mäßige dich“, raunte Lŷsandro Vîbor, der Herrscher von Rooc, ihm zu und legte unbemerkt die Hand auf sein Knie. „Dies ist weder die Zeit noch der Ort für persönliche Empfindlichkeiten. Hier geht es um die Zukunft unserer beiden Reiche, vergiss das nicht. Oder willst du noch mehr Blutvergießen?“
Unmerklich schüttelte Aleksar den Kopf. Nein, das wollte er nicht. Doch dieser respektlose, arrogante Mistkerl auf der anderen Seite der Tafel stellte seine Haltung seit Sandgläsern auf eine ernste Probe.
„Dann halte deine Zunge im Zaum und hilf mir, das hier zu einem vernünftigen Ende zu bringen.“
Eindringlich sah der Herrscher von Cooh seinem Zwillingsbruder in die Augen und nickte. Ja, er half ihm. Er brachte das hier zu einem vernünftigen Ende. Allerdings anders, als Lŷsandro sich das vorstellte.
Es war allgemein bekannt, dass der bleiche Mann, der die feindlichen Truppen anführte, leicht reizbar und hitzköpfig war. Die Wutausbrüche des lanoischen Generals waren unter Freund und Feind gleichermaßen berüchtigt. Eine Charakterschwäche, die im Verlauf der heutigen Zusammenkunft für Aleksars Geschmack viel zu selten zum Tragen gekommen war, die er jedoch zu seinem Vorteil zu nutzen gedachte. Wie es schien, bedurfte es dazu allerdings weiterer Anreize und deutlicherer Worte.
„Vertrau mir, Lŷsandro“, flüsterte er seinem Bruder zu, „ich weiß, was ich tue.“
Dann wandte Aleksar sich wieder seinem Gegenüber zu und setzte ein ebenso mildes wie verächtliches Lächeln auf. Wäre doch gelacht, wenn er diesen Kerl nicht aus der Reserve locken konnte.
Seit dem frühen Vormittag saßen sie nun schon an dieser Tafel und verhandelten mit den Abgesandten Lanois über ein Ende der seit drei Wintern andauernden Kampfhandlungen, die die Erde seines Landes in Blut ertränkt, die grenznahen Landstriche nahezu entvölkert, sein Reich verwüstet sowie die einst blühende und fruchtbare Ebene vor den Toren seines Thronsitzes Aikasara in ein hässliches Schlammfeld voller Leichen verwandelt hatten. Doch obgleich der Fürst selbst diese Zusammenkunft offeriert hatte, entwickelte sie sich nicht wie gewünscht. Es war an der Zeit, das Ganze zu beenden. Bevor sein mildherziger und unwissender Bruder tatsächlich noch zu einer Übereinkunft mit dem Vizegeneral Lanois kam.
„Verratet mir eines.“ Aleksars spitze Worte zerrissen die angespannte Stille, während er sich in die samtene Polsterung seines prunkvoll verzierten Stuhls zurücklehnte. „Wie kommt eine zwergwüchsige, spitzohrige Missgeburt wie Ihr, der es offensichtlich an sämtlichen Qualitäten mangelt, die einen guten Heermeister auszeichnen, in diese Position? Ihr seid ja noch nicht einmal ein Mensch.“
Aus den Augenwinkeln sah der Herrscher Coohs, wie der Körper seines Zwillingsbruders sich versteifte. Schweißtropfen bildeten sich unter Lŷsandros rostrotem Haar und für einen Moment überlegte Aleksar, ob er ihn nicht hätte einweihen sollen. Dann fuhr er mit unbeirrtem Lächeln und geringschätziger Stimme fort.
„Wen habt Ihr dafür umgebracht? Oder habt Ihr Euren Rang anderen Diensten zu verdanken? Gewiss haben Euch Euer knabenhafter Körper und Euer fein geschnittenes Gesicht den Aufstieg sehr erleichtert.“
Klar und deutlich hallten seine wohlbetonten Worte durch die Stille des Raumes und sofort zogen mehrere der Abgesandten Lanois scharf die Luft ein, ballten die Fäuste und rangen sichtbar um Haltung. Auch die Verhandlungsteilnehmer seines Reiches sahen verunsichert zu ihm und die Gestalt seines Bruders schien gänzlich zu Eis erstarrt. Der Fürst spürte die brennenden Blicke Lŷsandros und vernahm das besänftigende Flüstern seiner Berater. Dennoch zog er keines seiner Worte zurück. Stattdessen blickte er den gegnerischen General herausfordernd an und sein Lächeln wurde noch eine Nuance abfälliger.
Hatte sein Gegenüber bis eben noch lässig in dem Polstersessel gelümmelt und Aleksars Reden kaum Beachtung geschenkt, so saß er nun mit fest auf den Boden gepressten Füßen und auf die Armlehnen gestützten Händen aufrecht und schnellte ruckartig nach vorn. Bis zur Hälfte beugte er sich über den Tisch, bleckte die Zähne und knurrte den Regenten Coohs an.
„Du räudiger Hund spielst mit deinem Leben.“
Instinktiv wichen die Männer zu Aleksars Seiten leicht vom Tisch zurück. Er jedoch lehnte sich seinerseits nach vorn und blickte seinem Gegner direkt in die Augen.
Dieser Mann war ein Tier! Mochte seine Statur auch knabenhaft sein, in den schwarzen Pupillen funkelte die Aggressivität eines Schattenwolfes. Obendrein war er entgegen seinen Worten durchaus ein fähiger Heerführer und gefährlicher Gegner. Der Ruf des bleichen Generals eilte diesem weit voraus und kam nicht von ungefähr, wie Aleksar selbst erfahren hatte. Sein Feind war gerissen und bluthungrig, seine Kriegsführung ungewöhnlich. Öfter als ihm und seinem Bruder lieb sein konnte, hatten die Krieger Lanois ihre eigenen Streitkräfte trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit mit verwegenen Taktiken, die kein einziger ihrer Strategen und Kriegsberater vorhergesehen hatte, in Bedrängnis gebracht. Bisweilen grenzte diese Kriegsführung, wie beispielsweise der Frontalangriff auf seinen Thronsitz, zwar an Selbstmord und Wahnsinn, dennoch war sie erfolgreich und der Grund, warum sie heute hier saßen. Dazu kam, dass dieser spitzohrige Mistkerl das perfekt geplante Attentat auf ihn unbeschadet überlebt hatte. Nicht zuletzt war der General ein überragender Schwertkämpfer, der auf dem Schlachtfeld einer Naturgewalt glich. Mit eigenen Augen hatte Aleksar gesehen, wie er es allein mit einem Dutzend Krieger aufgenommen und sich nicht nur behauptet hatte, sondern fast bis zu ihm durchgedrungen war.
Doch all das konnte er unmöglich zugeben. Eher würde er sich die Zunge abbeißen. Denn so imponierend die Fähigkeiten des Generals auch waren, der bleiche Mann saß auf der falschen Seite der Tafel, stand auf der falschen Seite des Schlachtfeldes. Daher gab es nur einen Weg.
„Ihr leichenhäutiger Bastard wagt es, mir zu drohen?“, spuckte Aleksar aus und richtete sich zu voller Größe auf.
Augenblicklich knallte der Heermeister Lanois seine Fäuste auf den Tisch. Ein dunkles Grollen, das den Fürsten erneut an einen Schattenwolf erinnerte, ertönte. Wutschnaubend sprang sein Gegenüber auf, stieß seinen Stuhl nach hinten weg und packte Aleksar am Revers.
„Noch ein Wort und dein Blut tränkt nicht nur diese Tafel, sondern klebt fein verteilt auch an der Decke! Meine letzte Warnung.“
„Leere Worte“, antwortete der Herrscher Coohs gelassen und warf einen verstohlenen Blick reihum, um sich zu vergewissern, dass seine Krieger die gegnerische Absendung inzwischen unbemerkt umzingelt und den Versammlungsraum abgeriegelt hatten. „Meine Wachen töten Euch, noch ehe Ihr Eure Waffe ziehen könnt.“
„Wer sagt, dass ich eine brauche?“
Etwas Altes und Böses blitzte tief in den Augen des silberhaarigen Generals auf und die wutverzerrten Lippen entblößten ungewöhnlich spitze Eckzähne. Doch Aleksar ließ sich nicht einschüchtern und löste mit ruhigen Griffen die bleichen Finger von seinem Revers.
„Wenn Ihr mir drohen wollt, denkt Euch etwas Besseres aus.“
Stillschweigend starrten sie sich einen Moment lang an und alle Anwesenden schienen vor Spannung die Luft anzuhalten. Alle Augen waren auf sie gerichtet und ein jeder wartete auf den nächsten Zug der Kontrahenten. Dem Fürsten lagen bereits weitere Worte auf den Lippen, da sprang plötzlich einer seiner Befehlshaber auf und erging sich in einer wüsten Schimpftirade. Die Antwort des lanoischen Heerführers kam prompt. Mit einem gezielten Wurf seines Trinkbechers an die Schläfe des Tobenden brachte er diesen zum Schweigen und zu Fall.
Dann lehnte er sich erneut über den Tisch zu Aleksar vor und zischte mit verengten Augen, in denen der Fürst nunmehr unverhohlene Mordlust funkeln sah: „Das ist keine Drohung, du erbärmlicher Mensch. Das ist ein Versprechen!“
„Ruhig Blut, Meister. Bitte!“, mischte sich nun der Vizegeneral der Gegenseite ein.
Energisch zog der junge Mann seinen Anführer zurück, was offenbar auch Lŷsandro dazu veranlasste, abermals mäßigend auf Aleksar einzuwirken. Mit Nachdruck drückte der Regent Roocs ihn in seinen Stuhl zurück und seine Stimme zitterte vor Unverständnis und unterdrückter Wut.
„Bist du völlig übergeschnappt?“, raunte sein jüngerer Zwilling und sah ihn ungläubig an. „Verdammt, Aleksar, reiß dich zusammen! Denk an die Prophezeiung.“
Ohne den Blick von dem bleichen General, welcher sich ein hitziges Wortgefecht mit dessen Adjutanten lieferte, zu nehmen, schenkte der Fürst Coohs seinem Bruder einen warmen, beruhigenden Händedruck und nickte. Natürlich dachte er an die Prophezeiung. Den ganzen Tag schon tat er das.
„Um das Blutvergießen zu beenden, muss Stolz sich in Demut wandeln. Das Leben eines Mannes für das Überleben Tausender“, waren die hellseherischen Worte der Robinħa gewesen.
Ihre Auslegung war unter seinen Beratern umstritten, doch für ihn eindeutig, und er, Aleksar Vîbor, würde dafür Sorge tragen, dass sie sich erfüllten.
Indes wurde die Stimme des lanoischen Heermeisters immer lauter und aggressiver. Die Worte des jungen Adjutanten verstand Aleksar zwar ebenso wenig, wie er die weiteren mahnenden Worte seines Bruders und seiner Berater noch wahrnahm, die seines Feindes dafür umso besser.
„Vergiss es! Diese jämmerliche Witzfigur hat keine Ahnung, mit wem sie sich da anlegt!“
„Stolz und Demut“, wisperte der Fürst und schloss für einen Moment andächtig die Augen.
Der Stolz des bleichen Mannes, der es bereits den ganzen Tag für unnötig befunden hatte, sich angemessen an den Verhandlungen zu beteiligen, war unverkennbar ebenso groß und unbeugsam wie der des Hauses Vîbor. Ein Charakterzug, der unter anderen Umständen durchaus Aleksars Gefallen gefunden hätte, seinen Gegner heute aber teuer zu stehen kommen würde.
„Deine diplomatische Höflichkeit kannst du dir sonst wohin stecken! Diese Ratte schreit doch geradezu danach, meine Fäuste zu küssen!“
Allmählich wurde die Lautstärke des Generals unschicklich und Aleksar gewann den Eindruck, dass dieser jeden Moment in Handgreiflichkeiten gegen seinen eigenen Adjutanten ausbrach.
„Mit solchen Hunden verhandelt man nicht, man schlitzt sie auf! Also geh mir aus dem Weg oder ich ...“
Geräuschvoll rückte der Regent Coohs seinen Stuhl zurück und erhob sich. Der Moment war gekommen. Es war an der Zeit, das blasse Spitzohr Demut zu lehren.
„Ihr langweilt mich und ich habe wahrlich Besseres zu tun, als meine Zeit mit Euch Hundsfott zu vergeuden.“
Erhobenen Hauptes wandte er sich ab und ging. Noch im selben Moment erklang in seinem Rücken ein furchterregendes Grollen und es krachte direkt hinter ihm. Ein finsteres Lächeln verzog Aleksars Mundwinkel, als er einen kurzen Blick zurückwarf. Sein Feind war offenbar mit einem Satz über die Tafel gesprungen und auf seinem verwaisten Stuhl gelandet, der unter der Wucht zersplittert war. Mit gezückter Klinge sprang der bleiche Mann nun auf die Füße und der Fürst beschleunigte seinen Schritt.
„Packt ihn! Haltet ihn auf!“, hörte er die Stimme seiner Untergebenen und hektisches Stuhlrücken brach aus.
Das folgende Fluchen verriet Aleksar, dass sein Jäger sich allen Händen, die nach ihm griffen, entwand. Während der Herrscher Coohs in den angrenzenden Gewölbegang rannte, der in den Thronsaal führte, brach hinter ihm die Hölle los. Alle Teilnehmer mussten gleichzeitig aufgesprungen sein und zu ihren Waffen gegriffen haben. Nun brüllten sie wild durcheinander, doch Aleksar kümmerte das nicht.
‚Alles läuft nach Plan‘, stellte er zufrieden fest.
Er spürte seinen Verfolger dicht im Nacken, vernahm die wüsten Flüche ganz nah und schluckte den plötzlichen Anflug von Angst hinunter.
‚Gleich ist es so weit‘, schoss es ihm kurz vor dem sechsten Kreuzgewölbe durch den Kopf.
Wie vereinbart geriet Aleksar ins Straucheln und stolperte noch einige Schritte vorwärts, bevor er sich fing und erwartungsvoll umdrehte. Die Klinge im Anschlag stürmte sein Verfolger auf ihn zu und erreichte soeben die kritische Stelle. Der Körper des Fürsten bebte vor Anspannung.
‚Jetzt oder nie‘, dachte er und hielt unwillkürlich die Luft an.
Da erklang plötzlich die den Tumult im Verhandlungssaal übertönende Jungenstimme des lanoischen Vizegenerals: „FALLE!“
Schlagartig bremste der Heerführer Lanois seinen wilden Lauf drei Schritte vor Aleksar ab und wandte sich um, verlor dabei beinahe das Gleichgewicht. Noch im selben Wimpernschlag rauschte ein Schatten aus dem Kreuzgewölbe über dem General hernieder, machte eine schnelle Bewegung nach vorn und stach zu. Des Fürsten Herzschlag überschlug sich fast. Zwar hatte der feindliche Anführer keine Zeit mehr, noch auszuweichen, doch instinktiv beugte er den Oberkörper noch in der Drehung rückwärts, worauf die Klinge lediglich den Oberarm traf, anstatt wie geplant mit voller Wucht den ungeschützten Rücken zu durchbohren. Der Schrei, der diesem Stich folgte, war unverkennbar kein Ausdruck von Schmerz, sondern rasendem Zorn und ließ Aleksar das Blut in den Adern gefrieren.
‚Versagt‘, war das einzige Wort, das ihm in den Sinn kam, als Yo Valkja die blaubefleckte Schneide des Attentäters flach mit beiden Händen umfasste und das Schwert dann mit Wucht gegen die Brust des Vermummten zurückstieß.
Aleksars Herzschlag kam kurzzeitig aus dem Takt und er hielt den Atem an, als der Maskierte daraufhin mehrere Manneslängen durch den Gang flog und mit ungesundem Knacken und einem stöhnenden Aufschrei gegen die Steinwand krachte. Doch noch mehr erschrak er, als sein Feind sich umdrehte und ihm bewusst wurde, dass er diesem nun ausgeliefert war. Er hatte sich so sehr auf seine Wachen, seinen ausgeklügelten Plan und Kedra Servenosa, seinen Leibwächter, verlassen, dass er selbst unbewaffnet war. Instinktiv suchte der Regent Coohs nun sein Heil in der Flucht, doch der Heermeister Lanois war mit einem Satz bei ihm und packte ihn von hinten.
„Du bist tot!“, zischte der zornige Mann, während er ihm die Klinge an die Kehle legte und ihn zu Kedra Servenosa herumriss. „Aber vorher rechne ich noch mit dieser feigen Ratte ab. Ein ehrlicher Kampf von Angesicht zu Angesicht!“
Zerknirscht rappelte seine glücklose Leibwache sich auf und wechselte intensive Blicke mit ihm. Aleksar ahnte, dass Kedra Servenosa dem silberhaarigen General nicht gewachsen war, dass er unterliegen und sterben würde. Und der Blick seines Untergebenen verriet, dass dieser ebenso dachte. Der Fürst seufzte. Er hatte versagt, das Attentat war gescheitert. Zum zweiten Mal. Und nun kam die Rache seines Feindes über sie.
„Stell dich endlich, Feigling!“, grollte der gegnerische Befehlshaber und erhöhte den Druck auf Aleksars Kehle.
Der Regent Coohs spürte einen brennenden Schmerz unter dem Kinn und Blut seinen Hals hinunter rinnen. Unwillkürlich zog er scharf die Luft ein, worauf sein Leibwächter untertänig den Blick senkte und das Gesicht enthüllte.
„Vergebt mir, mein Fürst“, waren die letzten Worte Kedra Servenosas, dann stieß der General Aleksar zur Seite und stürzte sich auf den Attentäter.
Der Kampf war kurz und unspektakulär, dauerte Aleksars Gefühl nach jedoch eine Ewigkeit. Eine quälend lange Zeitspanne, in der ihm all seine Fehler vor Augen gehalten wurden. Gebannt verfolgte er das ungleiche Duell und rührte sich nicht vom Fleck. Wie vermutet war sein Beschützer den Schwertkünsten Yo Valkjas nicht gewachsen und hatte auch dessen ungestümer Wut kaum etwas entgegenzusetzen. Bei jedem Treffer, den der Heerführer Lanois landete, wankte Kedra Servenosa und ein paar Finten und erschreckend wenige Streiche genügten, um ihn niederzustrecken.
Gekrümmt lag sein Leibwächter nun am Boden, das Schwert nur zwei Fingerbreit neben der matten Hand. Der Mann zitterte, stöhnte und unter seinem Körper bildeten sich zwei Lachen, die sich binnen weniger Augenblicke vereinten und seine Gestalt umrahmten. Mit verächtlichem Schnauben und einem herablassenden Lächeln ließ der bleiche General seine Klinge fallen, ging neben dem Geschlagenen in die Hocke und griff nach dessen Schwert. Knurrend betrachtete er die eigenen Blutspuren auf der Schneide.
„Du feige Ratte hast mich das letzte Mal aus dem Hinterhalt angegriffen!“
Schwungvoll trat der Sieger dem Unterlegenen in die Seite, worauf dieser auf den Rücken kippte und seine schutzlose Vorderseite präsentierte. Aleksar wurde leichenblass. Da konnte er Haltung bewahren, wie er wollte, der Anblick des blutüberströmten Mannes, der nur noch auf seinen Gnadenstoß wartete, schockierte ihn. Zwölf Winter lang hatte er ihm treu und mit bedingungsloser Loyalität gedient, ihn mit Leib und Leben beschützt und jeden noch so gefährlichen Auftrag ohne Widerworte ausgeführt. Zwölf Winter lang hatte Kedra Servenosa alle Feinde seines Herrn beseitigt, doch nun sollte er das Schicksal seiner Opfer selbst erfahren.
„Schönes Schwert“, murmelte der Bezwinger seiner Leibwache, strich über die Klinge und roch daran. „Es hat viel Blut gekostet, doch wurde es selten in einem ehrlichen Kampf geführt. Ein solches Schwert kann nicht gewinnen.“
Als er aufsah, verzerrte ein Grinsen die Züge des silberhaarigen Mannes und Aleksar lief es eiskalt den Rücken hinunter. Unwirklich laut und dröhnend klang der Tumult in der Versammlungshalle gegenüber der Stille im Gewölbegang nun. Für den Bruchteil eines Momentes fragte der Fürst sich, wieso ihm keine seiner Wachen zu Hilfe geeilt kam. Der Heermeister Lanois sah ihn mit bohrendem Blick an und ließ das Schwert seines Leibwächters eine zermürbende Zeit lang über dem Todgeweihten rotieren. Dann stieß er es ihm unvermittelt ins Herz. Aleksars Magen revoltierte, als die Klinge den Brustkorb seines Getreuen durchbohrte, doch sein Blick trotzte dem Yo Valkjas.
Ein kurzer, gequälter Aufschrei, ein letztes, schwaches Gurgeln, dann folgte Totenstille. Als der General das Schwert aus der Brust des leblosen Körpers zog, einige Blutstropfen von der Schneide leckte und es dann achtlos neben den Toten auf den Boden fallen ließ, wurde das Grinsen des bleichen Mannes noch perfider. In aller Seelenruhe hob er die eigene Waffe vom Boden auf, während Aleksar in Schockstarre verharrte. Erst als der Heermeister die Klingenspitze über den Boden zog, wurde er aus seiner Lethargie gerissen.
„Alle Wachen sofort zu mir!“, brüllte der Fürst und stolperte rückwärts.
Zwar klang seine Stimme dabei weitaus zittriger und panischer, als ihm lieb war, doch das war jetzt egal. Im Augenblick galt es nur noch, so viele Klingen wie möglich zwischen sich und den gegnerischen Befehlshaber zu bringen. Doch dieser schien keine Eile zu haben und absichtlich zu warten, bis sich etwa drei Dutzend Krieger der fürstlichen Leibgarde zwischen sie gedrängt hatten.
„Hah! Endlich kommt mal ein bisschen Schwung in diese lahme Veranstaltung!“, hörte Aleksar den blassen Mann noch lachen.
Gleich darauf erklang das Geräusch sich kreuzender Klingen und der Fürst sah eine Handvoll lanoischer Krieger ihrem Anführer zu Hilfe kommen. Eilig zog Aleksar sich in den Thronsaal zurück, während weitere Palastwachen nachrückten. Sein Herzschlag beruhigte sich erst wieder, als er das Schwert seiner Ahnen in den Händen hielt und sich hinter einer weiteren Riege seiner Leibgarde verschanzt hatte. Doch dafür saß er nun wie die Maus in der Falle, denn der einzige Weg hinaus führte über den Gewölbegang, in dem ein erbitterter Kampf tobte. Obgleich er auf den Stufen vor seinem Thron erhöht stand, konnte er über die Köpfe seiner Krieger hinweg nicht viel erkennen. Was vielleicht auch gut so war. Denn was er hörte, ließ ihn erschaudern. Dabei war es nicht das Klirren, wenn Schwert auf Schwert, oder das Scheppern, wenn Schwert auf Rüstung traf, das ihm den kalten Schweiß auf die Stirn trieb. Auch nicht das Gebrüll, das einen auf Grund der vielen Kreuzgewölbe fast taub machte, oder die Schreie, die sich dazwischen mischten. Es war dieses irre, freudige Lachen, das immer wieder durch den Kampflärm hindurch drang, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Mit einem freudigen Ausruf streckte Yo Valkja nur wenig später die letzten beiden Verteidiger Coohs nieder und trat aus dem Gang, in dem sich ein Bild des Grauens bot. Mann an Mann lagen alle viborianischen Wachen sowie die Krieger Lanois am Boden, dazwischen abgeschlagene Arme, Beine und Köpfe.
‚Geister meiner Ahnen, steht mir bei!‘, schickte Aleksar ein Stoßgebet zum Himmel, als er begriff, dass es nun niemanden mehr gab, der zwischen ihm und seinem Feind stand.
Die Schritte des Generals hallten laut, als er den Thronsaal betrat und rote Fußspuren auf dem weißen Marmorboden hinterließ. Seine schwarze Klinge troff von Blut und zeichnete erst einen dünnen Strich auf den Boden, dann dicht aufeinanderfolgende Tropfen und Punkte. Die silbernen Haare des Mannes waren rot gesprenkelt, das bleiche Gesicht unter dem blutigen Schleier mehr zu erahnen, denn richtig zu sehen. Es mutete Aleksar an wie eine Maske. Eine dämonische Maske, hinter der ein nicht minder dämonisches Wesen lauerte.
„Nun zu uns“, sprach der Heermeister lächelnd und beinahe klang es, als ob er sänge.
Der Fürst schluckte, umfasste das Schwert seiner Vorfahren mit beiden Händen und festigte mit einem Ausfallschritt seinen Stand.
„Ihr Hundsfott werdet mich nicht bezwingen!“, spie er seinem Gegner, so selbstsicher er konnte, entgegen.
Dieser warf einen kurzen Blick hinter sich und lachte. Unwillkürlich folgte Aleksars Blick und das Gemetzel im Gang ließ seinen Mut sinken. Doch dann sah er noch etwas Anderes. Lŷsandro stürmte mit eingestecktem Schwert dicht gefolgt von dem Adjutanten Lanois auf den Thronsaal zu. Sofort erstarb jedwedes Angstgefühl und der Herrscher Coohs drückte das Kreuz durch. Wenn das hier sein letzter Kampf werden, wenn er tatsächlich im Angesicht seines geliebten Zwillingsbruders sterben sollte, dann nur erhobenen Hauptes und mit äußerster Gegenwehr. Er verkaufte seine Haut so teuer wie nur irgend möglich.
„Sprecht Eure letzten Worte, Bastard!“, rief er in herrischem Tonfall und richtete seine Schwertspitze nach vorn.
Erneut lachte sein Kontrahent laut auf. Dann fletschte er die Zähne und schlug mit einer Kraft, die Aleksar nie für möglich gehalten hatte, los. Die heftigen und flinken Attacken des bleichen Mannes waren nicht vorherzusehen und schwer abzuwehren. Ein eigener Angriff schien nahezu unmöglich. Nach einem weiteren harten Schlag, den der Fürst erst kurz vor seinem Körper abfangen konnte, war er dem gegnerischen Heermeister nun so nah, dass er meinte, eines feuerroten, hungrigen Scheins um diesen gewahr zu werden.
„Hohekönigin meines Blutes“, entfleuchte es Aleksar geschockt. ‚Mit welch dunklem Wesen hat der naive Herrscher Lanois sich da bloß verbündet?‘
Im nächsten Moment spürte er, wie eine uralte Macht nach ihm griff. Er hatte sich geirrt. Yo Valkja war kein Tier. Er war ein Dämon in menschenähnlicher Gestalt. Ein blutrünstiges Monster!
Die Brutalität des Kampfes und seine drohende Niederlage machten den Fürsten taub und blind für alles andere als seinen Gegner. So spürte er weder Verletzungen noch Schmerz. In einer Lache Blut geriet er plötzlich ins Schlittern, verlor das Gleichgewicht und ruderte mit den Armen. Sofort stieß sein Feind nach vorn und durchbohrte seine ungeschützte Brust. Ächzend sackte Aleksar auf ein Knie und spuckte Blut auf die schwarze Klinge, die dieses regelrecht aufzusaugen schien. Der Heerführer Lanois stand direkt vor ihm. Das spürte er, wenngleich er ihn durch den Nebel der Pein nicht sah. Vermutlich grinste sein Feind zufrieden und dieser Gedanke machte den Regenten Coohs so wütend, dass er seine letzten Kräfte mobilisierte. Blitzschnell zog er sein Schwert nach vorn und stach es dem bleichen Krieger glatt durch den Oberschenkel.
Die Antwort waren ein Tritt gegen die Schläfe, der Aleksar gegen eine Steinsäule schleuderte, und ein Schrei, den er ob des Dröhnens in seinen Ohren nur wie von weiter Ferne vernahm. Benommen rappelte er sich halb auf und erstarrte. Yo Valkja stand erneut direkt vor ihm und dieses Mal sah er klar. Die Augen irr und das Gesicht vom Furor verzerrt, hielt der General das Schwert zum vernichtenden Schlag über sein Haupt erhoben.
„Das ist nicht möglich“, flüsterte Aleksar und sah seinen Kopf schon über den Marmorboden rollen. ‚Eine Robinħa irrt nie. Wie also kann sein, was gerade geschieht?‘, fragte er sich.
Gebrochen blickte er zu seinem Feind, der die von Blut triefende Klinge hinter den Kopf zog, auf. Aleksar hielt den Atem an und kniff die Augen zusammen.
‚Verzeih mir, geliebter Bruder‘, dachte er und sein Körper verkrampfte sich in Erwartung des finalen Hiebes.
„NEIN!“
Mit gellendem Aufschrei warf Lŷsandro sich zwischen ihn und seinen Henker, fiel vor dem Heermeister Lanois auf die Knie.
„Schont meinen Bruder, General! Bitte!“, flehte sein Zwilling, faltete die Hände und beugte sein Haupt vor ihrem Feind.
„Steh auf, du Narr“, flüsterte Aleksar unter Schmerzen und spuckte Blut. ‚Ein Vîbor buckelt nicht vor dem Feind! Ein Vîbor bettelt nicht um Gnade!‘, fuhr er seinen Bruder in Gedanken an. ‚Und ein Vîbor senkt nie demütig sein …‘ In diesem Moment begriff Aleksar die wahre Bedeutung der Prophezeiung.
„Mein Bruder handelte nicht rechtens und Ihr habt allen Grund, ihm zu zürnen“, sprach Lŷsandro mit zitternder Stimme, „doch ich flehe Euch an: Beweist Größe und lasst Gnade für Recht ergehen! Ihr bekommt alles, was Ihr verlangt! Die Kapitulation des Zwillingsreiches und üppige Siegesbeute für Euren Herrn, freies Geleit und ausreichend Verpflegung für Euer Heer, Titel und Ämter, Ländereien, Frauen und Gold für Euch. Bei meinen Ahnen und meiner Ehre: Ich gebe Euch mein Wort! Was immer Ihr begehrt, Ihr sollt es bekommen. Nur bitte, verschont Aleksars Leben! Bitte!“
Regungslos sah Yo Valkja auf ihn herab und machte nicht den Anschein, als wollte er dem Flehen seines Bruders nachkommen. Der Blick des Generals war entrückt und für einen Moment fragte Aleksar sich, was seinen Gegner davon abhielt, ihm den Todesstoß zu versetzen. Da sah er die Hand des jungen Adjutanten, der hinter dem Heerführer stand, auf dessen Schulter ruhen. Unaufhörlich flüsterte der Jüngling dem General eindringliche Worte ins Ohr, die jedoch lediglich mit einem unwilligen Knurren beantwortet wurden.
Dann zuckte die Schulter seines Henkers.
‚Die Worte einer Robinħa bewahrheiten sich immer‘, schoss es Aleksar durch den Kopf. Verzweifelt klammerte er sich an diesen letzten Hoffnungsschimmer und umfasste das Bein seines Bruders. „Eine Robinħa hat immer recht“, flüsterte er noch, da sauste die schwarze Klinge Yo Valkjas nieder.