Träge zogen tief hängende Regenwolken dahin und reichten von Ost nach West wie von Nord nach Süd. Dickbauchige Wölbungen hoben sich Dunkel bis hin zum vollkommenen Schwarz von der durchgängigen Bedeckung hervor. Der gesamte Horizont schien ihnen unhold.
Seit Tagen vollbrachte es die Sonne nicht, ihre wärmenden Strahlen gen Boden zu richten.
Auf offener See zuckten grelle Blitze, Donnerhall erscholl nur wenige Sekunden darauf und zeugte von wütendem Gewitter. Gemeinhin war bekannt, dass die Winde für das auf- und abwallen der lautstarken Tosen Verantwortung trugen und das tobende Unwetter, welches tags zuvor über sie niederging, nicht zurückkehrte, sondern davongetragen wurde. Dennoch geißelten die zurückbleibenden Regengüsse Land wie Leute. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Wassermassen den Boden weiträumig unterspülten und die Ernten davonschwemmte.
Lediglich die Alten mahnten nach wie vor und bestanden auf aus grauer Vorzeit stammender Überlieferungen, dass ihnen der Himmel auf den Kopf stürze und man den Göttern Opfer darbieten müsse. Diese Männer hingen noch immer irgendwelchen uralten Traditionen nach, die die wenigsten für bare Münze hielten. Würde man diesen Gedankengängen wahrhaftig Glauben schenken, wären die Thulenen auf Göttergeheiß erschienen, um sie alle zu strafen.
Gleichwohl, gäbe es so etwas wie Gottheiten, hätten diese niemals gewollt haben können, dass man getreuen Dienern jeglicher Lebensgrundlage beraubte.
Ihre Frauen und Kinder bis zum Tode misshandelte.
Schützende Häuser und Festungen bis auf den Grund zerstörten.
Das Vieh abschlachtete und das Land samt Pflanzenwelt bis zur Unkenntlichkeit verbrannte; niederträchtig sogar salzte.
Diesen Tagen war es geschuldet, dass nur noch wenige an die Sagen und Sitten glaubten oder festhielten. Die Alten behaupteten, dass die vielen unzähligen Holme einst mit den Inseln wie auch den Riffen eine große Landfläche ergaben. Die Götter stritten jedoch, waren erzürnt über die sinnlose Vermehrung der Menschen und ließen den Himmel auf derer Köpfe herabstürzen, um sie zu sühnen. Dies sei der Grund, weshalb der Meeresspiegel angestiegen sei und die Geburtsstunde der Inselgruppe.
Rau war einst, als die ersten Mannen anstrandeten, die See. Ungestüm ebenso das Wetter und unbeständig das Land und Wild.
Im Laufe der Jahreswenden gewöhnten sich die neuen Bewohner der Inseln an das schrundige Leben und begannen sich zu arrangieren. Niemand wusste glaubhaft zu erklären, noch wurde eine Niederschrift gefunden, die darüber Bericht führte, woher die anfänglichen Siedler damals kamen. Dass deren Anzahl hingegen stetig anwuchs und durch Neid wie Zwistigkeiten auseinandergingen, war wiederum bekannt. Jene, die es vollbrachten Fuß auf eine der Inseln zu setzten, blieben. Schlossen sich zusammen und erwuchsen zu raubeinigen Seefahrern.
Die Inseln waren von jeher alles andere als ein lobenswertes Paradies. Weite grüne Flächen mit ausladenden Wiesen und Ackerflächen, durchaus. Großzügige Bewaldung und ausreichend Wild für die Jagd, zweifelsfrei. Darüber hinaus jedoch blieb der Boden von der salzigen Meeresluft spürbar belastet. Meterhohe Gischt versauerte das nahe Umland und beeinträchtigte das Leben, sodass an Ufernähe nur Stätten der Arbeit anzufinden waren.
Starke Anbrandungen und zerklüftete Untiefen machten das Anlanden mit Booten wie Schiffen für Unerfahrene zu einem schwer wiegenden Unterfangen. Tosende Wellen schlugen unbarmherzig gegen die Wandung der Seefahrzeuge und drückten diese gnadenlos auf felsigen Grund. Die gefahrlose Durchfahrt glich einem Labyrinth, welche die Lotsen der See von klein an zu lernen aufgetragen bekamen. Die alte Seewacht, die äußerste Burgenanlage der Inseln war nicht nur ein Bollwerk, ein Rückzugsort, sobald Gefahr drohte, es war den Mannen ein Leuchtfeuer. Ein Hinweis, dass die Fahrt durch Riffe und Untiefen begann.
All jenem zum Trotz lebten und gediehen dort ein grobschlächtiger schlag Mensch. Lebende, welche sich das Land widerstehend aller Widrigkeiten zu Nutze machten. Was die Inseln nicht zu bieten erbrachten, zogen sie aus der See. Sie kultivierten beständigeres Getreide und züchteten widerstandsfähiges Vieh. Selbst ihre Ziegen schienen robuster als auf dem Land. Jegliches Übrige hingegen wechselte den Besitz von gern gereichten Gaben von fremden besuchten Schiffsplanken. Mal mehr, mal weniger ... freiwillig.
Anders als auf dem Festland lebten diese Leute ausschließlich in familiären Ansiedlungen, welche sie mit hölzernen Palisaden umgaben. In Sippen zusammengeschlossen, beherbergten die kleinsten Gemeinschaften nicht weniger als zwanzig Köpfe und galten eher als Gehöft. Gemeinhin fanden sich in den Siedlungen zumeist bis zu zweihundert Menschen zusammen, die einander halfen und beieinanderstanden. Die größten Zusammenkünfte zählten hingegen bis zu sechshundert Seelen, von derer es einst stattliche Elf gab. Ein gewählter, mehrheitlich männlicher Jarl, vertrat die Interessen seiner jeweiligen Siedlung vor dem Rat.
Die Bewohner waren naturell robuster als jene des Festlandes und legten gleichauf wenig Wert auf Vornehmlichkeiten noch Attraktivität.
Das Wetter, welches sie alltäglich umgab, war ungestüm wie unberechenbar. Es gab Tage, an denen schien die Sonne heiß wie gleißend und es gab jene, an denen trieben Stürme frostige peitschende Regenmassen übers Land.
Ein jeder kleidete sich einfach wie funktionell. Ihnen reichte der raue Leinenstoff vollkommen aus, da die Männer zugleich sich in schützendes ebenso grob verarbeitetes Leder hüllten, welches mit eisernen Plättchen verstärkt wurde. Einzig Zierde trugen sie Felle erlegten Wildes. Alltäglich umgaben sie sich in voller Rüstung, bereit jederzeit standhaft zu sein. Aus diesem Grunde entwickelte sich aus diesen Leuten ein breitschultriges wie kraftstrotzendes Volk.
Als wesentlich und zierlich erachteten viele Männer ihren Bartwuchs, den sie oftmals geflochten trugen. Je länger ein Bart, je grobschlächtiger und kräftiger galt dessen Träger.
Die Frauen hingegen vermochten ebenso wie das starke Geschlecht der Inseln sich zur Wehr zu setzen, wenngleich diese die Funktion des Heimschutzes übernahmen. Sie hielten nicht nur den Hausstand auf Vordermann oder schenkten den Ihren eine ausreichende Anzahl Kinder, sie standen mit dem Speer in der Hand auf den Palisaden, wenn die ihren auszogen.
Es waren die Frauen und Mädchen im gebärfähigen Alter, die die Last und Sorge trugen, dass das Volk der Seemannen nicht vollends ausstarb, als die Thulenen mit ihren Häschern anbrandeten.
Falsche versprechen und trügerische Zungen bedingt, gelang es diesen blauen Schergen Fuß auf ihre heimeligen Inseln zu setzen.
Mit jedem getanen Schritt wüteten die Invasoren, als wären diese das Licht, welche die Schatten zu vertreiben habe. Egal was lebte, ob Mensch oder Tier, fiel ihren klingen und begehren anheim. Dasjenige, dass keinem Zweck dienlich zu sein schien, wurde unduldsam zerstört.
Tagelang loderten unzählige Feuer, einem Inferno gleich. Die üblichen Winde fachten kleinste Flammen stetig an und sorgten für ausreichend Zunder. Ackerflächen, ganze Wälder sogar die ausgiebig wachsenden Grasflächen brannten bis zur Unkenntlichkeit nieder. Aus der Ferne betrachtet, so wussten Vorbeifahrende zu berichten, sah es aus, als brenne am Horizont die gesamte verdammte Inselgruppe. Als wäre das Tor zur Unterwelt an eben jenem unheiligen Ort hervorgebrochen und Gehörnte tanzten dort ihren Reigen.
Frauen trugen in Hast das wenige Gut, welches noch zu retten, in nasse schwer zugängliche Grotten, die Seeseits nicht zu erreichen gar einzusehen waren. Kinder hingegen trieben eine stattliche Anzahl Vieh, Ziegen und Hühner hinterher, die ihrer Wesensarten geschuldet die beschwerlichen Pfade nur unter beschwerten Bedingungen zu treiben bereit waren.
Ihre Männer wie Väter kämpften auf verlorenem Posten, erbrachten hingegen ihr notwendiges Opfer und zogen sich geschlagen zurück. Sie überließen ihr Heim den Invasoren, auf der Hoffnung, diese würden, bevor sie alles vollends zerstörten, wieder gehen. Niemand vermochte sich ihnen mehr entgegenzustellen und die zugesprochene Verstärkung aus dem Reich der ›Siebenkönigsgrenze‹ traf niemals ein.
Die wenigen, die sich vehement weigerten zu weichen, wurden vollständig aufgerieben. Den Alten, Kranken und Schwächsten schenkten die Thulenen das Leben und nannten es Nachsicht. Sie überließen den Gebeutelten sich selbst, wissend, dass das Volk der Seemannen niemals mehr erstarken würde.