Einst gab es ein Königspaar, dessen König stolz und stark sein Land regierte und deren Königin nicht die Schönste, aber die Eitelste war. Tag um Tag verbrachte sie mit Blicken in den goldgerahmten Spiegel. Der König liebte seine Frau. Er sah über ihre Eitelkeit hinweg und regierte mit guter Hand. Sie hingegen ließ sich die teuersten Stoffe, Öle und Farben bringen. Ihr Haar wusste sie, kaum da eine graue Strähne spross, zu färben. Die Lippen sinnlich rot zu malen. Ihr Alter gab sie bald schon nicht mehr zu, auch um über ihre stete Kinderlosigkeit hinwegzutäuschen. Jahre vergingen, doch kein Erbe wurde geboren. Schließlich sandte der König nach einer Heilerin aus. In den Fernlanden erzählte man von einer weißen Hexe von elbischem Blut, die nicht nur schwere Wunden flickte, sondern Glücklosen den größten Wunsch zu erfüllen vermochte.
So kam es, dass eines Abends die Hexe von süßbitterem Kräuterduft umgeben in die Burg des Paares gelangte. Ihre Haut war beinahe weiß und rein. An den spitzen Elfenohren baumelten goldene Kettchen zwischen dem langen blonden Haar, das wie ein Weizenfeld so fruchtbar und stark erschien. Ihre Kleidung war lang, in dunklem Grün gehalten, geschmückt durch Ornamente und Borten. Sie war so hübsch und bewegte sich so grazil, wie nur eine ihres Blutes sich zu bewegen vermochte. Ihre Stimme klang hell und klar wie fließend Wasser an die Ohren derer, die ihren Worten lauschten, welche über die vollen Lippen schlichen.
Mit ihren Kräutern schuf sie Mixturen und Tränke, die eine Schwangerschaft garantierten. Von ihrer Art und Lieblichkeit angetan, begann der König sich in sie zu verlieben. Dies merkte die Königin und ward von Eifersucht gepackt. Kaum, da sie schwanger geworden, schlich sie in das Gemach, in dem die Heilerin schlief. Zu spät bemerkte jene den Dolch, der auf sie niederfuhr. Hämisch lachend ermordete die eitle Königin ihre Rivalin. Hatte sie doch gemerkt, wie sehr der König von dieser Frau bezaubert war. Sie lachte die Sterbende aus, zerkratzte ihr das zarte Gesicht, um die Schönheit mit Blut zu verwaschen. Die Heilerin fand ihr Lebenslicht schwinden. Ihr Blick wurde dunkel, doch beschwor sie ihre Mörderin mit letzten Worten: »Mae. Ich sterbe. Euer Kind wird leben, doch wird es der langersehnte Sohn, der heißersehnte Erbe, werdet Ihr Euren Mann verlieren und der Knabe Eure Eitelkeit mit sich tragen. Er wird sich einmal verlieben können, doch jene wird zu einer dornigen Rose, die er nie mehr finden kann. Im Wahn wird er Euch töten und verzweifeln.«
Die Königin tat diese Worte als Leere ab, denn sie glaubte nicht an die Rache der Toten.
So ward Monate später der Erbe geboren. Er wuchs zu einem feinen Knaben heran, jedoch verwöhnt und wurde so eitel wie die Mutter selbst. Nur vier Jahre konnte der Junge die Gesellschaft beider Elternteile genießen. Ein Krieg zog herauf. Das Land gewann, aber der Preis des Sieges war bitter: Der König erlag seinen schweren Wunden.
Schließlich wurde aus dem kleinen Jungen ein Mann, ein junger Prinz, dessen Eitelkeit und Selbstverliebtheit die der Königin weit übertraf. Keine der vorgeführten Damen zu Hofe, keine Prinzessin war ihm schön genug oder gut genug von ihm ein Kind zu empfangen und jede, die passend gewesen wäre, ließ er durch kleine Geschenke, in denen spezielle Mixturen waren, altern und hässlich werden.
Die Königin verzweifelte, denn sie war alt und gebrechlich geworden. Ihrem Sohn eine Braut zu verschaffen, um die Gewissheit, ihr Geschlecht würde nicht aussterben, zu bewahren, war ihr höchstes Ziel geworden.
Es schien, als hätte das Schicksal Mitleid mit der Königin, denn es kam im harten Winter eine Prinzessin aufs Schloss. Schön, jedoch nicht zu sehr. Das geflochtene schwarze Haar und die seltene gebräunte Haut gefielen dem Prinzen so sehr, dass sein eitles Herz über alle Selbstsucht vergaß und in Liebe zu dem Mädchen aufging. Die Vorbereitungen zur Hochzeit wurden eiligst getroffen und der Prinz lief zum Garten, wo er dem Mädchen seine Liebe offenbaren wollte.
Aber kaum war sein Schwur über die Lippen gelangt, wurde der Fluch der Heilerin Wirklichkeit: In entsetztem Aufschrei fühlte die Prinzessin wie ihr Körper schrumpfte. Die Glieder schwanden. Die Haut schälte sich und Holz kam hervor. Dornen bohrten sich ihren Weg ins Freie. Blütenblätter entfalteten sich bis zu letzt ihr Herz stehen blieb.
Mit vor Schreck geweiteten Augen blickte der Prinz auf die Rose. Jene verschwand im Wind und sein Verstand verschwand mit ihr.
Wahn ergriff ihn und er begann zu Schreien. Nach Tagen im Fiebertaumel erwachte er.
Ein Magier war gerufen worden und offenbarte dem Prinz, dass er drei Versuche hatte, seine Liebste zu finden und zu erlösen.
So suchte er unter den unzähligen Rosen des Gartens. Suchte die Prächtigsten hervor, aber keine war die Prinzessin. Da schlug von Neuem Verrücktheit über ihn.
Vom Wahn besessen ließ er sich nicht beruhigen. Er schlug um sich, packte das Schwert und rammte es in der Königin Herz.
Nach Stunden des Tobens fiel alles ab. Er sah wieder klar und im Erkennen seiner Tat, gab er sich selbst den Tod.
So wurde das Schloss verflucht und der Prinz als »Rosenprinz« bekannt in aller Munde.