Maybrid, 22.07.2069
Die ersten Strahlen der morgendlichen Sonne kletterten an den Bergen am Rande der Stadt hinauf und hinterließen eine rot-goldene Spur auf ihrem Weg, die die Berggipfel wie blutige Messer aussehen ließ. Langsam drängte sie die dunklen Schatten aus der Stadt und füllte diese mit hellem warmem Licht.
Einige Bürger waren zu dieser frühen Stunde schon auf den Beinen und überquerten eiligen Schrittes die vielen Straßen um ihrer Arbeit nachzugehen.
Andere lagen noch im Bett und schliefen einen teils unruhigen und von Alpträumen geplagten Schlaf, während andere selig lächelnd anscheinend von schönen Momenten träumten. Ferrah wälzte sich in dem weißen, von den gleißenden Strahlen unberührten Laken hin und her und stieß schmerzerfüllte Laute aus. Normalerweise säße sie jetzt schon am Küchentisch, von dem hektischen Lärm ihrer Eltern geweckt. Vor ihr würde eine dampfende Tasse Kakao und ein Teller mit einem Marmeladenbrot stehen. Sie würde die Zeitung ihres Vaters lesen und leise mitsprechen. Ihre Mutter würde geschäftig in den Räumen herumlaufen, die dreckigen Kleidungsstücke ihres Bruders aufklauben, der erst spät abends wieder auftauchte, und das Geschirr spülen. Doch heute war kein eifriges Geklapper oder das Rumoren der Maschinen im Keller zu hören. Heute war alles still. Einzig und allein die Vögel hatten die Hoffnung auf ein Wunder nicht aufgegeben und zwitscherten fröhlich in den Baumkronen vor dem Haus.
Ferrah schrie gellend auf, ihre Hände abwehrend in die Luft gestreckt und ihre Augäpfel huschten unter den geschlossenen Liedern panisch hin und her. Von ihrem eigenen Schrei geweckt schoss sie kerzengerade in die Höhe, mit von dem Schreck geweiteten Augen, die Hände nun auf dem rasenden Herz. Sie atmete hektisch ein und aus, sah sich ängstlich nach ihren Verfolgern aus den Träumen um und sank erschöpft und erleichtert auf das durchschwitzte Kopfkissen zurück.
Sie schloss müde die Augen um sie danach wieder panisch zu öffnen. Vor ihrem geistigen Auge waren wieder die schrecklichen Bilder der schwarzen Männer, die mit ausgestreckten Armen hinter ihr her liefen und ein Stück ihres Mantels zu erhaschen versuchten.
Ein Blick aus dem Fenster genügte und verwirrt runzelte das nun wache Mädchen die Stirn. Sie hörte das schrille Gekrächze der Raben und den Singsang der Amseln.
Komisch, dachte sie immer noch verwirrt. Sonst höre ich sie doch nie!
Alarmiert sprang sie auf, schlüpfte im Sprung in die Puschen am Bett und rannte eilig zur Treppe, die sie schnell herunter polterte. Auch in der Küche war es still, nur das Summen durchbrach die unheimliche Stimmung, die sich langsam aufbaute. Sie sah sich genau um. Auf dem Küchentisch stand eine Kanne mit kaltem Kaffee vom Vortag, wie Ferrah feststellte. Daneben lag eine aufgeschlagen Zeitung, die Seite der Sportanzeigen sprang in ihr Blickfeld. Als sie näher an den Tisch trat und die erste Seite aufschlug keimte kurz Hoffnung auf. Vielleicht war diese auch vom Vortag und ihre Eltern lagen einfach noch im Bett und schliefen tief und fest. Doch schnell wurde die kleine Flamme mit eisiger Erkenntnis ausgelöscht. Die Zeitung war von heute.
Ungläubig starrte sie auf das Datum. Tatsächlich. Das Datum des heutigen Tages war zu lesen. Verzweifelt fuhr sie sich durch die Haare, drehte sich um ihre eigene Achse. Vielleicht hatte sie ja etwas übersehen. Einen Zettel, auf dem ihre Eltern ihr mitteilten, dass sie gerade unterwegs waren. Aber ihr fiel nichts auf. Alles war wie sonst auch, abgesehen von der Stille und ihren verschwunden Eltern.
Verdammt, schrie sie in Gedanken, ihre innere Welt tobte und führte einen wilden Tanz der Verzweiflung, Angst und Panik auf.
Auch wenn der Gedanke, dass ihre Eltern noch schliefen, mittlerweile absurd war, ging sie in das Schlafzimmer, um mit der einzigen Erklärung konfrontiert zu werden, die jetzt noch übrig war: Ihre Eltern waren die nächsten Opfer der unbekannten Ereignisse.
Als diese Erkenntnis in ihr Bewusstsein vor drang schlug sie geschockt die Hände vor ihr Gesicht. Sie taumelte, hielt sich an der Wand fest und stütze sich schwer ab. Sie spürte, wie ihre Augen anfingen zu brennen und ihre salzigen Tränen eine nasse Spur auf dem Gesicht hinterließen. Sie schloss sie gequält und ließ ihrer stummen Trauer freien Lauf.
Sie hatte so wenig Zeit mit ihren Eltern gehabt und jetzt sollte alles vorbei sein? Sie war doch gerade erst siebzehn! Wieso mussten es ausgerechnet ihre Eltern sein?
Von diesem Gedanken angewidert schnappte sie keuchend nach Luft und hustete leise. Sie schleppte sich langsam auf das Bett ihrer Eltern und rollte sich zusammen. In die Decke eingewickelt schluchzte sie hicksend vor sich hin.
Sie dachte an die schönen Momente mit ihrer Mutter, wenn sie zusammen im Bad waren und neue Frisurenideen austauschten. Wenn sie eines ihrer Lieblingsgerichte kochten oder sie ihr von ihrem ersten Treffen mit ihrem Vater erzählte.
Sie dachte an die wenigen Momente, die sie alleine mit ihrem Vater verbrachte. Das stundenlange Angeln an dem See am Ende der langen Straße. An die Momente, in denen sie zusammen am Tisch saßen, ihr Vater ihr Anekdoten aus seiner Schulzeit erzählte und sie sich vor Lachen krümmten.
All das würde nie wieder so sein. Auch wenn ihre Eltern körperlich nach zwei Monaten auftauchen würden, so würden sie seelisch nie wieder die Personen sein, die sie mal waren. Auch wenn sie also die Körper der beiden wieder sehen könnte, so waren ihre Eltern gestorben. Annabeth und Coyde Metboyth gab es nicht mehr.
Sie nahm sich das Kissen und schrie ihre Wut und Trauer hinein. Ihr Körper wurde von Schluchzern geschüttelt und ihre Qual stieg ins Unermessliche. Ihre innere Stimme brüllte vor Schmerz ohrenbetäubend und doch stumm in ihrem Kopf.
Nach einer Weile versiegten die Tränen, ihr Körper entspannte sich und sie sank erschöpft in einen traumlosen Schlaf aus dem sie erst am Abend erwachen sollte.
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(A/N) Noch nicht besonders lang, lediglich 934 Wörter, aber das wird sich noch steigern :) Lobende/Kritisierende Kommentare sind gerne willkommen!
Habt einen schönen Samstag :D
Eure Tara
[04.03.17]