Buntes Laub tanzte, aufgewirbelt durch kühlen Herbstwind, über den Kiesweg, der unter den Schritten des jungen Mannes knirschte. Das letzte Licht des Tages tauchte den malerischen Friedhof in ein warmes, diffuses Licht und der Mann ging langsam, aber zielstrebig auf den alten Teil des Gottesackers zu.
So wie er es seit Jahren tat. Immer um diese Zeit.
In der Stunde der Dämmerung, dem Ableben des Tages und der Auferstehung der Nacht.
Denn diese war die einzige Zeit, in der er bei seiner Liebsten sein konnte. Routiniert öffnete er das hüfthohe, schmiedeeiserne Tor zum historischen Teil des Friedhofes und begann unwillkürlich, zu lächeln.
Wie sehr liebte er diesen Ort, den er einst gefürchtet hatte.
Als er noch ein Teenager gewesen war, galt es unter seinen Freunden als größter Mutbeweis, in der Nacht hier her zu kommen und bei den alten Gräbern zu sitzen. Bevorzugt allein.
Er hatte es lange geschafft, sich vor dieser Mutprobe zu drücken, doch an seinem 18. Geburtstag hatten es seine Freunde von ihm verlangt. Und da er nicht weiter als Feigling hatte dastehen wollen, hatte er es getan.
Und er hatte es trotz der anfänglichen Angst, die er ausgestanden hatte, niemals bisher bereut. Denn in dieser Nacht traf er sie.
»Es zieht meinesgleichen stets in ihre Heimat zurück«, hatte sie ihm erklärt.
Egal, wie sehr sie wünschte, diesen Ort verlassen zu können, ihre Heimaterde fesselte sie hier.
Seinen dunklen Engel, schön wie der Himmel und die Sünde, mit seidigem roten Haar und dunklen Augen, die nur selten einmal einen Hinweis darauf gaben, dass sie ebenfalls rot waren.
Dachte er anfangs, sie wäre eine Art ruhelose Seele, erfuhr er später, dass es sich bei ihr um ein Kind der Nacht handelte, wie die Gemeinschaft der Vampire sich selbst betitelte.
Er fürchtete sie. Und gleichzeitig bedauerte er ihre Einsamkeit.
So begann er von dieser Nacht an, sie jeden Abend nach Einbruch der Dunkelheit an dem Ort ihrer Gefangenschaft zu besuchen.
Und er begann, sie zu lieben. Und sie ihn.
Seitdem waren sieben Jahre vergangen. Sieben Jahre, in denen er ihr nahe war und gleichzeitig so fern, als würden Welten sie trennen. Er konnte sie berühren, doch sie konnte niemals völlig ihm gehören.
Denn er war ein Mensch, sie ein Vampir. Sie fürchtete, ihm das Leben zu nehmen, würde sie seine Leidenschaft annehmen.
Doch das war ihm gleich. Er wollte ihr gehören, mit Haut und Haaren. Er wollte sein wie sie, damit nichts sie jemals wieder würde trennen können.
Mit einem Lächeln blieb er vor dem kleinen Mausoleum stehen und lehnte sich an die weiße marmorne Wand.
Die Sonne versank mit einem gleißenden Rot über dem alten Friedhof und samtene Dunkelheit stellte sich ein. Der Wind ließ die Blätter rauschen und die Haare des jungen Mannes tanzten.
Ein leises Knirschen erklang hinter ihm und er wandte sich um.
»Roman, du bist gekommen.«
»Wie immer, geliebte Asja.«
Der junge Mann zog die zierliche Frau in seine Arme und das letzte Licht verlosch in der Sekunde, in der ihre Lippen sich trafen.